Schlägt jetzt die Stunde der Philosophen?

In Krisenzeiten wird vermehrt die Sinnfrage gestellt - auch in der Wirtschaft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach dem Platzen der New-Economy-Blase brach in der Wirtschaft Katzenjammer aus. Bis dato weiß niemand so recht, wann der Konjunkturaufschwung endlich um die Ecke biegt. Die Flaute nutzen viele "Werktätige" aber offensichtlich zum Nachdenken. US-Manager lassen sich plötzlich von Philosophieberatern coachen, Firmen nehmen Fragen zu Moral und Weisheit in ihre Unternehmensleitlinien auf und Managementberater bieten Konzepte zur "sozial verträglichen Kündigung" an. Immer häufiger wird in der Arbeitswelt die Frage nach Sinn und Vernunft aufgeworfen. Und das sind eigentlich Stammthemen der Philosophen.

Doch welches deutsche Unternehmen heuert tatsächlich einen Philosophen an? Dabei wäre das gar nicht so abwegig. Immerhin sollten Analyse- bzw. Abstraktionsvermögen, Kritikfähigkeit, Lösungskompetenz und vernetztes Denken zu den Kernkompetenzen dieser Profession zählen. Eigentlich alles Eigenschaften, die angeblich im Management ausgesprochen gefragt sind. Während in den USA, England und Frankreich die Philosophie-Berater Branche im privaten ebenso wie im wirtschaftlichen Bereich derzeit einen regelrechten Boom erlebt, nähern sich im deutschsprachigen Raum der philosophische Elfenbeinturm und die Wirtschaftsfraktion erst zögerlich an.

Einer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Gebiete Ökonomie und Philosophie zusammenzuführen ist Prof. Rainer Hegselmann (Die wirkliche Welt ist viel zu kompliziert). An der Universität Bayreuth richtete er im Wintersemester 2000/2001 den Studiengang P&E (Philosophy & Economics) ein. Dabei geht es nicht darum, Moralapostel auszubilden, sondern "das ökonomisch Machbare mit dem gesellschaftlich Wünschenswerten zu verbinden", erklärt Hegselmann gegenüber Telepolis. Die Absolventen sollen in Zukunft helfen, "etwas mehr Vernunft in die Unternehmen zu bringen." Inzwischen gibt es bereits 170 PE-Studenten in Bayreuth.

Der Studiengangprospekt benennt den Bonus gegenüber reinen Betriebs- oder Volkswirtschaftlern. Das außergewöhnliche Qualifikationsprofil würde PE-Absolventen dort einen Vorteil verschaffen, "wo nicht nur die Kenntnis ökonomischer Zusammenhänge, sondern darüber hinaus (...) andere Fähigkeiten gefragt sind: Grundsatz- und Grundlagenreflexion, Strukturierung und Analyse komplexer Argumentations- und Entscheidungslagen bzw. systematische Berücksichtigung normativ-ethischer Gesichtspunkte oder auch eine an strikten Sachlichkeitsnormen orientierte Moderationsfähigkeit."

Besonderen Wert legt Hegselmann auf "Verzahnungsseminare", also Veranstaltungen in denen bestimmte Themen sowohl von Ökonomen als auch von Philosophen behandelt werden. Die Palette reicht dabei von fairen Verhandlungslösungen über Effekte staatlicher Regulierung und Generationengerechtigkeit (z.B. Altersvorsorge) bis hin zu Gesundheitspolitik (z.B. Organverteilung in der Transplantationsmedizin). Weiter ausgebaut werden soll der Human Ressource-Bereich.

Was in Deutschland als innovativ bezeichnet werden kann, ist im angelsächsischen Raum bereits seit langem Praxis. Die "London School of Economics" bietet einen Studiengang zu "Philosophy and Economics" an und PPE (Philosophy, Politics, Economics) an der Universität Oxford gilt ebenfalls als Kaderschmiede. Absolventen gehen später in die Wirtschaft, arbeiten als Politikberater oder schlagen einen wissenschaftliche Karriere ein. Probleme am Arbeitsmarkt haben sie im Gegensatz zu traditionell ausgebildeten Philosophen hierzulande kaum. Dass Philosophie durchaus eine gute Grundlage für Business sein kann, erkannte auch der Amerikaner Howard Sherman (1924-2002). Er startete seine Karriere als Philosophie-Professor und gründete später gleiche mehrere erfolgreiche Unternehmen. "Business is applied philosophy", also angewandte Philosophie, pflegte er zu sagen.

Von der angewandten Philosophie scheinen sich viele Unternehmen heute entfernt zu haben. Oft werden Entscheidungen getroffen, die BWL-Modellen oder kurzfristigem Profitkalkül sklavisch folgen, ohne die Sinnhaftigkeit im speziellen Kontext zu prüfen. Doch in letzter Zeit tauchen auch in Wirtschafts-Publikationen vermehrt kritische Stimmen auf und Fragen nach den human values. "Viele Unternehmen missachten das Bedürfnis der Menschen nach einem warmen, sozial-emotionalen Klima, einem fairen Interessensausgleich und einer legitimen, von der Mehrheit der Menschen gestützten Unternehmenspolitik", kritisierte etwa der Managementberater Reinhard K. Sprenger gegenüber den Autoren der Studie "Future Work - Personalmanagement in der Arbeitswelt der Zukunft"

Die Top Ten, so bestätigen auch Headhunter, würden immer häufiger nach den ethischen Leitlinien eines Unternehmens fragen. Mancherorts werden Unternehmens-Werte bereits in die Corporate Identity aufgenommen. Eine generelle Trendwende in der Unternehmenskultur will Ulrike Wölfl-Schöflinger von der Managementberatung Mühlenhoff + Partner noch nicht erkennen:

Wenn es um Einstellungen und Werte geht, die auch oftmals unkonventionelles Verhalten fordern, delegiert man das eher nach außen. In den Unternehmen intern sieht man gerne fachliche Experten, die sich dem Unternehmensziel konform verhalten. Um so sensibler sind inzwischen Mitarbeiter geworden und verlassen oft ein Unternehmen, wenn dieses nicht mehr ihren Einstellungen und Werten entspricht. Führungskräfte suchen ab der Lebensmitte häufig aktiv ein berufliches Umfeld in dem sie ihre eigene Sinngebung finden.

"Mühlenhoff + Partner" bietet bereits seit einigen Jahren Outplacement-Beratung in Deutschland, Österreich und der Schweiz an. Firmen, die Mitarbeiter abbauen, übernehmen dabei die Kosten für ein Karriere-Coaching. Entlassene Führungskräfte aber auch "der einfache Arbeiter" werden in der schwierigen Kündigungssituation nicht allein gelassen, sondern entwickeln mit den Managementberatern neue Lebensperspektiven. Danach kontaktierten die Consulter auch Personalberater und betreiben gezieltes Networking für ihre Klienten.

Wurden in der New Economy Mitarbeiter oft buchstäblich vor die Tür gesetzt (Mitarbeiter werden behandelt wie Kriminelle ...), so haben andere Branchen wie Industrie und Handel den Wert der Outplacement-Beratung bereits seit geraumer Zeit für sich erkannt. Nachfrage stark steigend. Der Arbeitgebeber vermeidet dadurch mögliche Rechtsstreitigkeiten und damit verbundene Kosten, profitiert imagemäßig bei den verbleibenden Mitarbeitern und steigert die Reputation in der Branche. Für den gekündigten Mitarbeiter ergeben sich neue Perspektiven, die ihm ein "golden handshake" nicht unmittelbar eröffnet hätte.

Einmal abgesehen von der Frage, ob die Kündigung aus betriebswirtschaftlichen Sachzwängen, tatsächlich notwendig war oder nicht, ist die Form der sozial verträglichen Kündigung "ökonomisch vernünftig und moralisch wünschenswert", wie es ein PE-Absolvent eventuell ausdrücken würde. Und wer weiß, vielleicht wird irgendwann einmal noch das Berufsbild des Betriebsphilosophen populär - zuständig für "Vernunft und Moral".