Schlussworte im NSU-Prozess: Zschäpe vertut die letzte Chance

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Die Angeklagten bleiben in den seit Jahren abgesteckten Rahmen - Viele Fragen bleiben offen - Urteilsverkündung am 11. Juli 2018

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Der NSU-Prozess ist zu Ende. Die Angeklagten haben ihre Schlussworte gehalten. Neues oder Überraschendes gab es nicht. Vor allem Beate Zschäpe hat ihre letzte Chance verspielt, noch Einfluss auf das zu erwartende Urteil zu nehmen. Dieser 437. und letzte Verhandlungstag war ein seelen- und teilnahmsloser Auftritt von (früheren) Neonazis, die für den Tod von zehn Menschen mitverantwortlich gemacht werden. Das Urteil spricht der Senat des Oberlandesgerichtes München kommenden Mittwoch, den 11. Juli 2018.

Zu den erwarteten Schlussworten war die Presse- und Zuhörertribüne wieder vollbesetzt. Die ersten Interessierten hatten sich bereits um 6 Uhr morgens vor dem Gerichtsgebäude eingefunden.

Um 10:25 Uhr erklärte der vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung für geschlossen und wandte sich an die Hauptangeklagte Beate Zschäpe: "Frau Zschäpe, wollen Sie?" Die Angesprochene nickte und begann nach den Worten "hoher Senat, sehr geehrte Anwesende" fünf Minuten lang einen Text abzulesen.

Sie wolle diese letzte Chance nutzen, so Zschäpe, was ihr nicht leicht falle. Sie habe während des Prozesse immer das Gefühl gehabt, jedes Wort von ihr werde falsch und zu ihrem Nachteil ausgelegt. Deshalb habe sie ihre Einlassung vom 9. Dezember 2015 auch schriftlich abgegeben. Nach den Jahren der U-Haft fehle ihr die nötige körperliche und seelische Kraft. Außerdem sei es ihr schon immer schwer gefallen, frei und vor großer Runde zu sprechen. Trotzdem wolle sie den Schritt jetzt tun. Ihr Schlusswort enthalte keinerlei anwaltliche Formulierungen.

Nach dem 4. November 2011, dem Tag als ihre Gefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos starben und sie die gemeinsame Wohnung in Brand setzte, habe sie sich nach viertägigen Irrfahrt durch Deutschland der Polizei gestellt, um einen Schlussstrich unter ihr bisheriges Leben zu ziehen. Ihr Satz von damals: 'Ich habe mich nicht gestellt, um nicht zu reden', gelte bis heute. Sie entschuldige sich für das Leid, das sie verursacht habe, sie habe Mitgefühl für die Angehörigen. In den letzten Jahren habe sie Stück für Stück erfasst, unter anderem durch die Fotos der Opfer an den Tatorten, was Böhnhardt und Mundlos getan haben.

Ihre Einlassung im Dezember 2015 sei ernst gemeint gewesen. Sie könne den Hinterbliebenen ihre Angehörigen aber nicht zurück geben. Sie betonte erneut, sie "habe und hatte" keinerlei Kenntnis, warum genau die ermordeten Menschen als Opfer ausgesucht wurden. Wenn sie Kenntnis hätte, würde sie es spätestens jetzt preisgeben. Sie wolle nur noch eines, einen Abschluss finden.

Dann wandte sich Zschäpe direkt an Ayse Yozgat, die anwesende Mutter des ermordeten Halit Yozgat, die die Angeklagte an einem Gerichtstag gefragt hatte, ob sie noch ruhig schlafen könne, sie könne es seit dem Tod ihres Sohnes nämlich nicht mehr. Auch sie, so Zschäpe, sei ein mitfühlender Mensch, was geschehen sei, belaste sie. Sie habe gravierende Fehler gemacht. Das habe sie in einem langen Lernprozess eingesehen, der schon vor dem 4. November 2011 eingesetzt habe. Sie habe sich von der rechten Szene distanziert und bereue zutiefst ihre Schwäche, sich nicht von Uwe Böhnhardt getrennt zu haben.

Zum Schluss wandte sie sich an den Senat und bat, ein Urteil zu fällen, das unbelastet von öffentlichem Druck sei, und sie nicht für etwas zu verurteilen, was sie nicht getan habe.

Fünf Minuten hatte ihr Schlusswort gedauert, mit dem sie ihre letzte Chance verspielte. Sie blieb inhaltlich in dem Rahmen, der mit ihrer Einlassung vom 9. Dezember 2015 exakt abgezirkelt war und der sowohl bei ihren Gesprächen im Gefängnis mit dem Psychiater Joachim Bauer als auch in den Plädoyers ihrer Verteidiger eingehalten worden war. Danach will sie von den Morden stets erst hinterher erfahren und sie verurteilt haben. Sie habe aber nicht die Kraft gehabt, sich von Böhnhardt, den sie liebte, zu trennen.

Im Grundsatz stützt die Angeklagte die offizielle Version der Anklagebehörde

Im Grundsatz stützt die Angeklagte die offizielle Version der Anklagebehörde, nach der der NSU lediglich aus drei Personen bestand und sämtliche Taten - zehn Morde, fünfzehn Raubüberfälle und drei Sprengstoffanschläge - einzig und allein von den beiden toten Männern begangen worden sein sollen.

Sowohl diese Version der Bundesanwaltschaft als auch Zschäpes anwaltlich formulierte Erklärung kann in verschiedenen Punkten als widerlegt gelten. Auch deshalb konnte man der Angeklagten die geäußerte Reue nicht abnehmen. Und auch die von ihr zum Ausdruck kommende Haltung passte nicht zu diesem Reuebekenntnis. Zum ersten Mal hörte das Publikum etwas länger Stimme und Sprechweise dieser 43-jährigen Frau, die das Gegenteil von Mitgefühl nahelegte: eine fundamentale Teilnahmslosigkeit.

Warum sie die tendenziöse Anklage prinzipiell stützt, und warum sie sich so schlecht verteidigt, bleibt bisher ein Rätsel. Man kann den Eindruck gewinnen, das Kapitel Zschäpe ist noch nicht zuende.

Der Angeklagte André Eminger verzichtete auf ein Schlusswort. Holger Gerlach erklärte in zwei Sätzen, er wolle sich bei den Hinterbliebenen dafür entschuldigen, dass auch sein Handeln für die Taten verantwortlich war. Ralf Wohlleben sagte noch knapper, alles, was zu sagen sei, habe er bereits am 16. Dezember 2015 in seiner Einlassung vorgetragen. Im Übrigen schließe er sich den Ausführungen seiner Verteidiger in deren Plädoyers an.

Der geständige Angeklagte Carsten Schultze erklärte in seinem etwa einminütigen Schlusswort, er sei damals nicht er selbst gewesen. Er sei in jener Zeit auf der Suche nach sich in die falsche Richtung gelaufen. Er habe seine Fehler ausbügeln wollen, doch sie hätten ihn eingeholt. Er müsse nun lernen, mit seinen Fehlern zu leben und Schuld abzuarbeiten. Er bedanke sich für das Treffen mit der Familie Boulgarides, den Angehörigen des Mordopfers Theodoros Boulgarides. Das habe ihm sehr viel bedeutet, ebenso das Schlusswort von Abdul Kerim Simsek. Der Sohn des ersten Opfers Enver Simsek hatte Schultzes Entschuldigung ausdrücklich angenommen.

Die Bundesanwaltschaft hat für Zschäpe eine lebenslange Haftstrafe plus Sicherungsverwahrung gefordert, für Eminger und Wohlleben 12 Jahre Haft, für Gerlach fünf Jahre und für Schultze nach Jugendstrafrecht drei Jahre Haft. Das Urteil wird am Mittwoch kommender Woche erwartet.

Opferanwälte der Nebenklage und Angehörige gingen mit den Angeklagten hinterher hart ins Gericht. Ismail und Ayse Yozgat, die Eltern von Halit Yozgat aus Kassel, zeigten sich sehr enttäuscht. Ihrem Eindruck nach, so Ayse Yozgat, versuche sich Zschäpe herauszureden, sie wisse genau, wie der Mord abgelaufen sei.

Ihr Anwalt Alexander Kienzle erklärte, Zschäpe behaupte zwar, Verantwortung zu übernehmen und sich zu entschuldigen, aber eben für Dinge, die sie nicht zu verantworten haben will. Das bleibe deshalb hohles Gerede. Die Hauptangeklagte habe die Chance nicht genutzt, Licht ins Dunkel des Falles zu bringen - beispielsweise die Umstände aufzuklären, warum der Verfassungsschützer Andreas Temme zur Tatzeit am Tatort war. Unter das Münchner Verfahren sei zwar ein Schlusspunkt gesetzt, es blieben aber viele Fragen offen, bei denen nicht klar sei, in welchem Forum sie beantwortet werden können.

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler meinte, es sei bei Zschäpe eben nicht erkennbar, dass sie sich von ihrer Vergangenheit distanziere. Bis heute ziehe sich eine Regie durch, ihre eigene Rolle innerhalb des NSU-Kerntrios kleiner zu machen. Reinen Tisch habe sie ihm Gegenteil zu ihrer Erklärung nicht gemacht.

Rechtsanwalt Yavuz Narin, der die Familie Boulgarides vertritt, meinte, er habe sich von den Angeklagten keine wesentlichen Beiträge zur Aufklärung erwartet, weshalb seine Mandantinnen auch zuhause geblieben seien. Zschäpe habe eine vorgefertigte Erklärung emotionslos verlesen und darin ihr vermeintliches Bedauern über die Geschehnisse geäußert. Er nehme ihr das nicht ab und gehe davon aus, dass sich auch der Senat davon nicht beeindrucken lasse. Zschäpe dürfe sich auf ein hartes Urteil gefasst machen. Lediglich dem Angeklagten Carsten Schultze glaube er sein Bedauern, er wünsche ihm ein mildes Urteil.

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer bezeichnete Zschäpes Schlusswort als "banal". Es sei die letzte Chance gewesen, noch etwas gerade zu rücken, wirklich Mitgefühl zu zeigen und aufzuklären. Das habe sie nicht gemacht. Die Hoffnung bleibe, dass Zschäpe nach dem Urteil, wenn sie merke, dass es in die falsche Richtung gelaufen sei, sage, wer alles dabei war.

Seine Mandantin Gamze Kubasik, deren Vater Mehmet Kubasik in Dortmund ermordet wurde, wolle zwar, dass der Prozess zuende gehe, aber nicht die Aufklärung, so Scharmer. Es gebe weiterhin Mitglieder, Unterstützer, Helfer, die frei herumliefen und denen sie jeden Tag auf der Straße unerkannt begegnen könne. Sie habe ein Gefühl der Verunsicherung. Für Gamze Kubasik sei das Aufklärungsversprechen der Kanzlerin nicht eingehalten worden. Für sie gehe der "Kampf" weiter.

Es könne nicht Schluss sein mit der Aufklärung, wer am Mord ihres Vaters mitbeteiligt gewesen sei. Man müsse diejenigen finden, die vor Ort unterstützt haben, die Waffen geliefert haben, die ausgekundschaftet haben - und die möglicherweise "gedeckt, vertuscht, geschreddert" haben. Das sei jetzt der nächste Schritt und den würden sie angehen. Zum Beispiel gebe es ja immer noch Untersuchungsausschüsse zum NSU-Komplex. Darüber hinaus würden sie neue Anzeigen prüfen, und sie würden versuchen, den Generalbundesanwalt unter Druck zu setzen, die noch laufenden Verfahren zur Anklage zu bringen.

Gegen neun Personen wird wegen Unterstützung des NSU weiterhin ermittelt. Weil sich unter ihnen nachweislich mindestens eine V-Person einer Sicherheitsbehörde befindet, beinhalten auch die Folgeverfahren Brisanz, wie schon dieses erste Hauptverfahren zum ungeklärten NSU-Komplex.

Zur Urteilsverkündung am 11. Juli wird mit großem Presse- und Publikumsandrang gerechnet. Geplant ist zu diesem Tag X auch eine Demonstration gegen Rassismus und Rechtsterrorismus. Der Senatsvorsitzende Manfred Götzl erklärte, für Medienvertreter eine Tonübertragung in einem Nebenraum organisieren zu wollen. Das wäre ein Novum. Im Saal 101 des OLG München finden lediglich 100 Zuschauer Platz. Anwälte rechnen damit, dass die Urteilsbegründung des Gerichtes zwei volle Tage in Anspruch nimmt.