Schnittmengen: Ein Polizeichef, die Kiesewetter-Familie, der Verfassungsschutz und der NSU

Seite 2: "Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird"

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Hatte das Trio Verfassungsschutzkontakte? Seit Jahren taucht diese Frage immer wieder auf, ohne das sie abschließend beantwortet werden kann. Offiziell wird sie bestritten. Doch Aktenfunde des Bundestagsausschusses geben ihr neue Nahrung: Protokollnotizen über die Lagebesprechungen in der Polizeidirektion (PD) Gotha am 5. und 6. November 2011, die Menzel geleitet hatte. Am 5. November war schriftlich festgehalten worden: "[...] Die Zielfahndung nach dem Trio wurde 2002 eingestellt. Es wurde bekannt, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) die Zielpersonen abdecke." Am 6. November wurde notiert: "Der PD-Leiter will alles tun, um Frau Zschäpe zu finden, bevor sie vom LfV abgezogen wird." An anderer Stelle heißt es: "Zumindest eine Person des Trios soll bis 2003 Mitarbeiter des Staatsschutzes gewesen sein." Wieder an anderer Stelle kann man lesen: "Das Trio oder ein Teil war nah an den Verfassungsschutz oder den Staatsschutz angebunden, hatte mit denen zu tun, was auch immer."

"Nur eine Vermutung Wunderlichs"

Ob er sich erinnere, dass bei den Lagebesprechungen solche Sätze gefallen sind und wenn ja, in welchem Zusammenhang, wollte der Ausschuss vom Zeugen Menzel wissen. Der bestätigte das, relativierte es aber. Er habe damals veranlasst, seine Maßnahmen zu protokollieren. Die zitierten Äußerungen seien aber nicht von ihm gekommen, sondern vom Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA), Sven Wunderlich.

Wunderlich sei bei der Besprechung am 5. November dabei gewesen und habe die These vertreten, das Trio sei vom LfV geschützt worden. Das sei aber nur eine Vermutung Wunderlichs gewesen. Den Satz "mindestens eine Person des Trios war Mitarbeiter des Staatsschutzes" bestritt Menzel nachdrücklich. Der polizeiliche Staatsschutz habe im Bereich Rechtsextremismus keine eigenen Quellen geführt, sollte es nicht, um nicht mit dem Verfassungsschutz ins Gehege zu kommen.

Überzeugend war diese Stellungnahme nicht, denn sie erklärt zum Beispiel nicht die Äußerungen am 6. November, als Zielfahnder Wunderlich nicht mehr bei den Lagebesprechungen dabei war.

Schulterzucken

Im Besprechungsraum der Polizeidirektion Gotha hing damals ein Fahndungsschaubild mit den Fotos und Namen des Trios Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe und allen möglichen Querverbindungen zu anderen Personen. Eine war Andreas Rachhausen, Neonazi aus Saalfeld, Mitglied des Thüringer Heimatschutzes (THS) und zugleich V-Mann des LfV. Wie kam dieser Name auf die Tafel?, wollte der Ausschuss jetzt von Menzel wissen. Der passte und zuckte nur mit den Schultern.

Am 5. November - also einen Tag nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos, der Brandstiftung in der Wohnung in Zwickau und der Flucht von Beate Zschäpe - rief Menzel einen Verfassungsschützer an, der bereits im Ruhestand war: Norbert Wießner. Das kann als gesichert gelten, selbst wenn Wießner ursprünglich dachte, dieses Telefonat sei am 4. November gewesen. Wießner war einmal V-Mann-Führer von Tino Brandt sowie von Andreas Rachhausen.

Menzel fragte den Pensionär nach Hinweisen auf frühere Aufenthaltsorte des Trios und wo Zschäpe sein könnte. Wießner soll geantwortet haben, - auch das deckt sich weitgehend - er solle bei Ralf Wohlleben oder André Kapke nachfragen, zwei bekannte THS-Aktivisten aus Jena. Umstritten ist, ob es ein zweites Telefonat einen Tag später zwischen Menzel und Wießner gab.

Gegenteil der Behauptung vom Februar 2013

Vor dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte Wießner genau das im Februar 2013 behauptet. Menzel soll dabei gedroht haben: "Wenn du jetzt nichts sagst, gehe ich ins Landesamt [für Verfassungsschutz] und beschlagnahme die Akten!" Menzel bestritt das vor dem Ausschuss in Berlin entschieden. Es habe nur ein einziges Telefonat zwischen ihnen gegeben.

Offiziell soll die Leitung des Thüringer LfV am 7. November 2011 von der Dimension des Falles erfahren haben. SoKo-Leiter Menzel selber wandte sich erst am 8. oder 9. November an das Amt, um es über die Ermittlungen zu informieren. Warum nicht früher?, wollte der Ausschuss wissen. Das sei noch nicht nötig gewesen, antwortete Menzel, es habe "keinen sachlichen Grund" dafür gegeben.

Ausschuss: "Aber einen pensionierten Verfassungsschützer haben Sie doch Tage vorher angerufen und Auskunft verlangt." Menzel: "Weil er mir persönlich bekannt war." Ausschuss: "Aber warum wenden Sie sich an einen Ex-Verfassungsschützer und nicht ans LfV?" Menzel: "Ich wollte jemand haben, der einmal Kontakt zu der Szene gehabt hatte." Ausschuss: "Und das war nützlich im Jahr 2011?" Menzel: "Ja."

Die Antworten des höheren Beamten sind weder plausibel noch glaubhaft. Hat sich Menzel inoffiziell an Wießner gewandt, damit dessen mögliche Informationen nicht in die Akten kommen und dort Spuren hinterlassen? Oder weil er davon ausging, es stimmt, dass das Trio Kontakte zum Verfassungsschutz hat und geschützt wird? Das LfV also Gegenspieler ist. Doch eine Aufklärung dieses Hintergrundes lassen Menzels Aussagen nicht zu. Von Amtswegen hat er trotz seines widersprüchlichen Aussageverhaltens nichts zu befürchten - diese Erfahrung dürfte er inzwischen verinnerlicht haben.

Vielleicht spielt auch folgendes Datum dabei eine Rolle: Am 7. November 2011 wurde Polizeichef Michael Menzel zum Innenministerium nach Erfurt einbestellt. Er sollte über seine Ermittlungen zu den Ereignissen vom 4. November berichten. Anwesend war der Innenminister persönlich sowie die Behördenspitze: Der Abteilungsleiter Polizei, der Referatsleiter und ein Beamter für die Öffentlichkeitsarbeit. Hat sich der Mann danach gewandelt? Gibt es einen Menzel vor dem 7.11.11 und einen danach? Erklärt das vielleicht sein widersprüchliches Verhalten?