Scholz in Moskau: "Ein Vermittler braucht eine eigene Agenda"

Seite 2: Mediation müsste "über das Bekannte und Besprochene hinausgehen"

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz besucht an diesem Dienstag Moskau und sagt, er möchte zum Frieden in Europa beitragen. Wird Deutschland in Moskau noch als gesprächsbereiter wahrgenommen als andere westliche Staaten?

Fjodor Lukjanow: Hierzu gibt es in Moskau unterschiedliche Meinungen und Wahrnehmungen. Allgemein wird es so wahr genommen, aber diese Wahrnehmung halte ich nicht für wichtig. Wichtiger ist, dass Deutschland seine Rolle in Europa und der euro-atlantischen Gemeinschaft wahrnimmt. Denn irgendeine Vermittlerrolle - egal ob durch Deutschland, Frankreich, die Türkei, wen auch immer - kann nur entstehen, wenn ein Staat und seine Führung eine eigene Agenda haben. Sie können nicht nur eine gemeinsame Meinung der Nato und EU transportieren.

"Es herrscht kein Mangel an Kommunikation"

Es reicht nicht zu sagen "hier haben wir eine Meinung, die müssen Sie berücksichtigen und Ihr Verhalten irgendwie ändern". Das ist sinnlos. Es wurde schon versucht, es funktioniert nicht. Vor allem, wenn es um eine Position geht, zum Beispiel der USA, die die westliche Gemeinschaft dominiert, das macht keinen Sinn. Mit den USA spricht Russland direkt, es werden keine Vermittler benötigt.

Es herrscht kein Mangel an Kommunikation. Wir sind nicht im Kalten Krieg. Im Kalten Krieg gab es manchmal Fälle, in denen der Kontakt so abbrach, dass jemand helfen musste, ihn wieder herzustellen. Das war sehr nützlich. Oder vor sechs Jahren gab es den Fall, dass türkische Streitkräfte ein russisches Flugzeug abschossen und die Beziehungen zur Türkei vollständig abbrachen. Hier brauchte es die Vermittlung Kasachstans um die Kommunikation wiederherzustellen. Das war sehr nützlich.

Wir haben aktuell kein solches Problem mit den Vereinigten Staaten. Die Kommunikation ist sehr intensiv auf den Ebenen der Präsidenten, Minister und der Beamten. Mediation ist also sinnvoll, wenn sie etwas hinzufügt, sie etwas bringt, die über das Bekannte und Besprochene hinaus geht.

Und nachdem man sich von einer Seite Unterstützung und Zustimmung geholt hat, wendet man sich an die andere mit dem Vorschlag, das ebenfalls zu berücksichtigen. Wenn Olaf Scholz so eine Idee hat, wird ihm aufmerksam zugehört werden. Wenn wir nur davon sprechen, kollektive Standpunkte zu wiederholen, dann ist das in Ordnung, wird aber nicht funktionieren.

Ist dann aktuell nur eine Vereinbarung zwischen den großen Playern eine Lösung? Halten Sie sie für wahrscheinlich?

Fjodor Lukjanow: Ich sehe da noch keine Perspektive, da es eine große Vereinbarung sein müsste. Ein politisches Abkommen, vergleichbar mit den großen Verträgen , die wir aus der Zeit unmittelbar nach dem Kalten Krieg kennen. Die bisherige Ordnung wurde zuerst 1975 in Helsinki und dann 1990 in Paris gefestigt. Tatsächlich hat sich das Modell, das seit 1990 praktiziert wird, erschöpft.

Es hatte Licht und Schatten, wer recht hatte und wer nicht, das ist jetzt nicht von Belang. Die Möglichkeiten wurden ausgeschöpft, aber nichts wird wieder so sein, wie es damals festgehalten wurde. Dort wurde tatsächlich fixiert, dass die Nato gleichbedeutend mit Sicherheit ist. Deshalb brauchen wir jetzt eine politische Einigung in der gleichen Größenordnung, die bisherige ist nicht bindend.

Russland besteht aktuell auf rechtsverbindlichen Übereinkommen, aber ich sehe keine Möglichkeiten welche abzuschließen. Weder die Akte von Helsinki noch die Charta von Paris waren rechtlich bindend. Es waren große politische Erklärungen. So etwas bräuchte es jetzt.

Natürlich ist das, worüber jetzt die Amerikaner zu reden bereit sind, Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen, strategische Stabilität, alles sehr wichtig. Aber die russische Position ist hier sehr bestimmt: Zuerst eine politische Vereinbarung, die festlegt, dass die Nato nicht mehr erweitert wird. Auf die eine oder andere Weise, vielleicht nicht über eine rechtliche Garantie.

Man muss versuchen, das irgendwie zu lösen. Dann erst folgt dieses ganze Thema mit der Kontrolle über die Waffen. Es kann diskutiert, etwas angenommen, erweitert werden. All das ist schwierig, aber lösbar, weil es Erfahrungen mit diesem Thema gibt. Aber zuallererst ist ein politischer Neustart erforderlich und dieser hängt leider weitgehend von der ukrainischen Frage ab. Das größte Problem besteht darin, wie sie gelöst werden kann.

Münchner Sicherheitskonferenz: "Parade der transatlantischen Einheit"

Am kommenden Wochenende findet die Münchner Sicherheitskonferenz statt. Russland hat seine Teilnahme abgesagt. Vergibt man damit nicht auch die Chance auf einen Dialog?

Fjodor Lukjanow: Nein, das denke ich nicht. Ich wurde dieses Jahr gar nicht eingeladen, also werde ich auch nicht gehen. Aber ich war auf dieser Konferenz in München mehrfach. Sie ist recht interessant, ereignisreich, informativ. Die Organisatoren geben sich große Mühe, es herausragend zu gestalten. Aber diese Münchner Konferenz war schon früher und ist heute noch mehr eine Parade der westlichen, transatlantischen Einheit.

Mal aufrichtig, mal weniger, auf unterschiedliche Weise. Russische Teilnehmer treten auf, der beste Auftritt war vor 15 Jahren der von Präsident Putin, Iwanow war einige Male dabei, auch Lawrow in den letzten Jahren. Unsere Vertreter sprachen dort anders, mal sehr erleuchtend, mal weniger, mit unterschiedlichem Ergebnis.

Aber wichtig ist: Es geschah nie etwas anderes als die formale Feststellung, dass inklusive der russischen Standpunkte alle vertreten sind. Aber die Konferenz an sich ist eine der atlantischen Gemeinschaft. Das ist okay. Mit ist da aber nicht klar, warum es dann überhaupt dort Außenstehende braucht, die mit ihren Aussagen nur nerven und sich entschlossen gegen etwas wehren.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.