Schrumpfende Schafe
Vom Zusammenspiel von Ökologie und Evolution: Eine neue Studie zeigt, dass der Klimawandel schottische Schafe schrumpfen lässt
Die Evolution findet ständig um uns herum statt. Wenn Tiere ihr Erscheinungsbild ändern, dann geschieht das meistens, weil sich daraus ein Überlebensvorteil ergibt. Ein aktuelles Beispiel für eine sehr schnelle Veränderung ihrer Form zeigen die Aga-Kröten, die immer schneller den australischen Kontinent erobern (vgl. Langbeinige sind schneller).
Auch das Phänomen der Verzwergung von Tieren auf Inseln ist längst bekannt und wird als „Island Dwarfing“ bezeichnet – die beschränkten Ressourcen lassen Tierarten schrumpfen, ein urzeitliches Beispiel ist der Mini-Saurier Europasaurus holgeri, der einst auf Inseln lebte, wo sich heute der Harz erhebt (vgl. Zwergdino aus Norddeutschland), oder der philippinische Zwergbüffel Bubalus cebuensis. Der kleine Mensch von Flores, auch schlicht Hobbit genannt, ist als eigene Art dagegen noch heftig wissenschaftlich umstritten (vgl. Streit bei den Hobbits).
Was aber lässt heute schottische Schafe schrumpfen? Ein Britisch-amerikanisches Forscherteam untersuchte jetzt die dynamische phänotypische Veränderung der Soay-Schafe auf der abgelegenen schottischen Inselgruppe St. Kilda und veröffentlichte die Ergebnisse (vgl. The Dynamics of Phenotypic Change and the Shrinking Sheep of St. Kilda) im Wissenschaftsmagazin Science.
Die uralte Hausschaf-Rasse wird seit 25 Jahren genau beobachtet und wissenschaftlich analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Tiere stetig kleiner geworden sind, sie sind im Durchschnitt in dem Vierteljahrhundert um ungefähr fünf Prozent geschrumpft.
Arpat Ozgul vom Imperial College London und seine Kollegen standen zunächst vor einem Rätsel, denn die Schrumpfung bringt auf den ersten Blick keinen Vorteil für die Tiere, denn größere und stärkere Schafe haben auf den eher unwirtlichen, isolierten Insel im Norden Europas eigentlich die besseren Karten.
Warum werden die Tiere kleiner statt größer?
Die Analyse der Wissenschaftler ergab, dass die globale Erwärmung dafür verantwortlich zeichnet. Die Winter auf der Sturm umtosten Inselgruppe sind deutlich milder geworden, der Frühling beginnt früher im Jahr, das Grün ist üppiger geworden, und dadurch haben auch schwächere und kleinere Lämmer eine verbesserte Überlebenschance.
Die Forscher vermaßen die weiblichen Tiere, verfolgten ihr Wachstum und ihre Lebensabschnitte – dabei zeigte sich, dass die Schafs-Mütter immer jünger werden, und ihre Lämmer sind zarter, als sie es selbst bei der Geburt waren. Früher überlebten schwache Tiere den ersten Winter nicht, durch den Klimawandel erleben die Kleineren öfter ihr Erwachsenwerden und dadurch sinkt die durchschnittliche Größe der ganzen Population. Es gibt nicht weniger große Tiere, aber immer mehr kleinere und zarter gebaute Schäfchen.
Selbst auf den entlegenen und unbewohnten St. Kilda-Inseln weit vor der schottischen Küste verursacht die Erderwärmung deutliche Effekte. Das Klima der Inseln ist weniger rau als früher, die Ökologie hat sich verändert, der Selektionsdruck hat sich vermindert. Co-Autor Tim Coulson vom Imperial College erklärt:
Die Schafe werden kleiner. Nun, zumindest die wilden Soay-Schafe, die auf diesen abgelegenen schottischen Inseln leben. Aber nach der klassischen Evolutions-Theorie sollten sie stetig größer werden, weil große Schafe eher überleben und sich eher fortpflanzen als kleinere Exemplare – und der Nachwuchs tendiert dazu, den Eltern ähnlich zu sein.
Unsere Untersuchungsergebnisse haben ein Paradox aufgelöst, das die Biologen seit Jahren quälte: Warum die Vorhersagen nicht mit den Beobachtungen übereinstimmten. Die Biologen haben begriffen, dass Ökologie und evolutionäre Prozesse beinahe unauflöslich miteinander verflochten sind, und jetzt haben sie einen Weg, um die einzelnen Anteile aufzuschlüsseln. Unglücklicherweise ist es noch zu früh, um vorauszusagen, ob eine weitere Erwärmung der Welt letztlich zu Schafen im Westentaschenformat führen wird.
Auf jeden Fall wird es milder, auch auf der St. Kilda-Inselgruppe. Eine brandaktuelle Studie des Deutschen Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) zeigt, dass die Nordsee sich stetig erwärmt (vgl. Warmer Juniausklang trieb Nordsee- und Ostsee-Temperaturen in die Höhe).