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Seite 3: Kost und Logis in Algerien
Jacques Perrin, dem Costa-Gavras die Rolle des Photoreporters versprochen hatte, war gerade dabei, die Leitung der Firma Reggane Films zu übernehmen. Er schlug vor, Z in Algerien zu drehen, wo man seit einiger Zeit versuchte, eine eigene Filmproduktion aufzuziehen und er einen direkten Draht zum Kulturminister hatte. Dort zeigte man sich sehr aufgeschlossen. Das ist nicht ohne Ironie, weil Algerien seit der Unabhängigkeit zu einem Polizeistaat geworden war, mit einem durch einen Militärputsch an die Macht gekommenen Staatschef. Der Minister war interessiert an guten Beziehungen zu Frankreichs Intellektuellen und wollte Algerien als das fortschrittlichste Land Arabiens präsentieren. Die finanzielle Unterstützung durch die Algerier blieb überschaubar, aber sie stellten Drehorte, Komparsen und Logistik zur Verfügung, sorgten für Verpflegung und Unterbringung. Ohne sie hätte Costa-Gavras den Film vermutlich nie drehen können.
Mit Algerien als Partner und einer eindrucksvollen, von Yves Montand angeführten Besetzungsliste kratzte Perrin bei verschiedenen französischen Quellen rund eine Viertelmillion Dollar zusammen. Montand landet also gefühlt in Dallas, als Lambrakis in Thessaloniki und in der Realität in Algier, wo Ende Juli 1968 die Dreharbeiten begannen. Sie dauerten siebeneinhalb Wochen, gefolgt von zehn Tagen für Innenaufnahmen in einem Studio in Paris. Seit der blutig erkämpften Unabhängigkeit von den französischen Kolonialherren waren erst ein paar Jahre vergangen. Es war kein ganz gewöhnlicher Drehort, zu dem das französische Filmteam da reiste. In einem Gespräch zwischen Costa-Gavras und Vassilis Vassilikos, das 2001 für eine der DVD-Ausgaben von Z aufgenommen wurde ("Masterworks Edition"), sagt Vassilikos, dass ihm Algiers beim ersten Sehen des Films wie eine umgekehrte Version von Thessaloniki erschienen sei, mit dem zwischen den beiden Städten liegenden Mittelmeer als Spiegelachse.
In diesem poetischen, allerlei Assoziationen weckenden Bild ist auch die Kolonialmacht Frankreich versteckt, die sich auf dem Wasser spiegelt. Die während der Dreharbeiten entstandenen Fernsehaufnahmen vermitteln einem den Eindruck, dass es eine verschworene Gemeinschaft war, die sich da unter außergewöhnlichen Umständen zusammengefunden hatte. Costa-Gavras sagt, dass die Algerier voller Begeisterung und Hilfsbereitschaft waren. Einige in seinem Team scheinen aber auch den Druck gespürt zu haben, der sich durch die Besonderheit der Situation allmählich aufbaute. Peter Cowie erzählt im Audiokommentar zur Criterion-DVD, dass Charles Denner die Nerven durchgingen, als er noch einmal nach Algier fliegen sollte (für seine Szene mit dem Untersuchungsrichter) und dort kurz vorher ein Flugzeug entführt wurde. Weil Denner die erneute Anreise verweigerte, musste das Büro des Richters in Paris nachgebaut werden. Wenn man genau hinschaut, kann man es sehen. Die Kamera hat durch die beweglichen Atelierwände mehr Freiheiten als in echten Innenräumen.
Mit Jesus im Dschungel der Obristen
Mit der Chansonlegende Yves Montand trat nicht nur ein seit Clouzots Der Lohn der Angst auch international bekannter Schauspieler vor die Kamera, um Grigoris Lambrakis zu verkörpern. In Frankreich und darüber hinaus war der Unterzeichner des Stockholmer Appells gegen Kernwaffen eine Institution. Wie wichtig Montand für Z ist merkt man gleich bei seinem ersten Auftritt. Er bringt sowohl die Aura des Kinostars wie die Glaubwürdigkeit des politisch engagierten Künstlers in die Rolle ein, wenn er am Flughafen von seinen Anhängern empfangen wird. Obwohl in weniger als 15 von insgesamt 127 Minuten Leinwandzeit zu sehen, bleibt er doch stets präsent. An ihn erinnert man sich am meisten, wenn die zwei Stunden vorbei sind. Besonders amerikanische Kritiker haben Costa-Gavras vorgeworfen, die Figur des Doktors zur Heiligengestalt zu verklären und so eine Tendenz des Films zur Schwarzweißzeichnung zu verstärken, mit den Guten auf der einen und den Bösen auf der anderen Seite. Es ist aber doch komplizierter.
Die Mitstreiter des Doktors sind Angehörige der Mittelschicht, die sich an die Gesetze halten und für mehr Freiheit und Demokratie demonstrieren. Mit ihnen kann man sich viel leichter identifizieren als mit gewaltbereiten Chaoten oder den Popanzen aus der Polizeiführung und ihren Schlägern. Schon die Szene mit dem Verteilen der Flugblätter vor dem Picadilly-Kino macht jedoch deutlich, dass sich mit demokratischen Tugenden wenig ausrichten lässt, wenn der Prügeltrupp mit seinen Knüppeln kommt. Im Angesicht der Repression und einer Warnung, dass der Doktor ermordet werden soll, ist man sich im inneren Zirkel der Freunde des Friedens über die richtige Vorgehensweise keineswegs einig. Die einander am stärksten entgegengesetzten Positionen vertreten zwei Anwälte. Der von Bernard Fresson gespielte Matt will jegliche Provokation vermeiden, bleibt den Behörden gegenüber von einer an Unterwürfigkeit grenzenden Höflichkeit und hält die Gesetzestreue für die größte Stärke der Opposition. Charles Denner als Manuel will den Kampf annehmen und zeigen, dass man sich von Schlägern nicht den Schneid abkaufen lässt. Einer der Aktivisten pflichtet ihm bei und meint frustriert, dass einem die Gesetzestreue gar nichts nützt, wenn das Gesetz des Dschungels herrscht.
Costa-Gavras sagte mit Blick auf die Pariser Studentenunruhen im Mai 1968, dass er als 18-Jähriger auch auf die Straße gegangen wäre. Er sei aber doppelt so alt, und darum habe er stattdessen Z gedreht. Semprún, sein Drehbuchautor, hatte im Widerstand gegen Spaniens Faschisten und die Nazis gekämpft und das KZ Buchenwald überlebt. Der Film dieser beiden verbirgt nicht, dass sie eher auf Manuels als auf Matts Seite stehen, gibt aber keine klare Antwort auf die Frage, wie man sich als Oppositioneller in einer autoritären, nur dem Namen nach demokratischen Gesellschaft verhalten soll, weil es die einfache Antwort, die man sich wünschen würde, nicht gibt. Der Doktor scheint sich entschlossen zu haben, der Situation mit stoischem Gleichmut zu begegnen, die Risiken zu akzeptieren und unbeirrt seinen Weg zu gehen. Das kannte man von Lambrakis.
Am 21. April 1963 organisierten die griechischen Pazifisten einen Friedensmarsch von Marathon nach Athen. Die Polizei verbot die Demonstration und verhaftete alle, die trotzdem an ihr teilnahmen. Lambrakis war durch seine Immunität als Abgeordneter geschützt und marschierte allein weiter, mit einem Friedensschild vor der Brust. Der Film erinnert in einer seiner kurzen Rückblenden an dieses Ereignis. Costa-Gavras ist sich bewusst, dass es schlechterdings unmöglich ist, solche Bilder zu zeigen, ohne den Doktor zur jesusgleichen Erlöserfigur zu machen. Er konterkariert das mit Flashbacks, die den Supermann zurück auf die Erde holen, aus dem Heiligen eine Person mit menschlichen Schwächen machen.
Einmal steht der Doktor auf dem Platz, auf dem man ihn wenig später ermorden wird. In der Auslage eines Kosmetikladens ist eine junge Frau damit beschäftigt, die Perücke auf dem Kopf einer Schaufensterpuppe in Fasson zu bringen. Ein kurzer Blickkontakt signalisiert, dass eine gegenseitige Anziehung besteht. Der Doktor ist ein Ladykiller (wie Jack Kennedy), es gibt Gerüchte über eine baldige Scheidung. Jetzt schießen ihm Erinnerungsfetzen durch den Kopf. Eine Szene in seiner Gynäkologenpraxis. Eine junge Patientin mit Perücke, eine verfängliche Situation. Hélène, die Frau des Doktors, öffnet unerwartet die Tür zum Sprechzimmer, ertappt die beiden in flagranti. Oder sieht es nur so aus wie ein peinlich endendes Doktorspiel unter Erwachsenen, war es doch eine harmlose Untersuchung auf dem Gynäkologenstuhl? Der Film überlässt die Reaktion dem Zuschauer, weil es hier um Sein und Schein geht, um die der Öffentlichkeit dargebotene Persona und den privaten Menschen dahinter, um Rollenspiele mit Perücke.
Dem Doktor verursacht die Erinnerung an seine Patientin ein schlechtes Gewissen. Darum ruft er als erstes seine Frau an, sobald er im Hotelzimmer ist. Dabei legt er seinen Pyjama für die Nacht zurecht, stellt ein Familienphoto auf den Nachttisch. Mit Shoula von den Freunden des Friedens scheint er ein Verhältnis zu haben. Ob er plant, die Nacht mit ihr zu verbringen, bleibt wieder offen. Costa-Gavras belässt es bei Andeutungen, weil diese völlig ausreichen, das öffentliche Politdrama mit dem privaten Drama um eine Ehe, um Untreue und Verstellung zu verknüpfen. Idealisiert wird hier nichts.
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