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Seite 4: Auf der place Maurice Audin

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Costa-Gavras durfte zwölf Nächte lang einen Platz im Zentrum von Algier absperren lassen, damit er dort die Geschehnisse rund um das Attentat drehen konnte. Dieser Ort verbindet den Film auf eine Weise mit der Wirklichkeit, wie es bei Atelieraufnahmen kaum möglich ist. Die französischen Kolonialherren hatten ihn so angelegt, dass wichtige Verbindungsstraßen dort zusammenliefen. Das war ein Unterdrückungsinstrument, weil sich so mit geringem Aufwand der Verkehrsfluss im Zentrum der Stadt kontrollieren ließ. Bei Anschlägen der FLN konnten die Sicherheitskräfte den Platz abriegeln und so die Fluchtwege der Freiheitskämpfer blockieren. Wie das damals gewesen war konnte man erahnen, als wegen der Sperrung für Z der Verkehr zusammenbrach. Viele der Statisten, die im Film die Polizisten, die Demonstranten oder die Gegendemonstranten spielen, hatten es selbst miterlebt. Das trug zur Intensität der dort gedrehten Szenen bei.

Der Mathematiker und Universitätsassistent Maurice Audin, nach dem der Platz benannt ist, war KP-Mitglied und unterstützte die FLN in ihrem Kampf um die Unabhängigkeit von den Kolonialherren. Am 11. Juni 1957 wurde er von französischen Fallschirmjägern aus seinem Haus geholt und tags darauf zum letzten Mal gesehen. Der offiziellen Version nach konnte er fliehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit starb er in einem Foltergefängnis der Fallschirmjäger, wie der Historiker Pierre Vidal-Naquet in seinem Buch L’Affaire Audin nachweist. Er hinterließ eine Frau und drei Kinder. 1962 verkündete Frankreich eine Generalamnestie für alle von französischen Militärs und Polizisten im Algerienkrieg begangenen Verbrechen, eine im selben Jahr durchgeführte gerichtliche Untersuchung zum Fall Audin endete ohne konkretes Ergebnis. Der Einspruch der Witwe wurde 1966 abgewiesen. Alle Versuche der Familie, den französischen Staat zur Aufklärung des Falles und zur Übernahme der Verantwortung für Audins Ermordung zu bewegen, blieben vergeblich. Noch Nicolas Sarkozy zog es vor, einen Brief der Witwe nicht zu beantworten. Erst sein Nachfolger im Präsidentenamt, François Hollande, äußerte 2012 sein Bedauern, als er Algerien besuchte. Er tat das auf demselben Platz in Algier, wo Costa-Gavras im Sommer 1968 das Attentat auf Grigoris Lambrakis nachstellte. Im Hotel Cosmopolit, wo die Freunde des Friedens ein Zimmer für den Doktor reserviert haben, trafen sich übrigens Delegationen Frankreichs und der FLN zu Verhandlungen, die dann zur Unabhängigkeit Algeriens führten.

Costa-Gavras wollte einen dokumentarisch wirkenden Film drehen, ohne Dokumentaraufnahmen zu verwenden. Das gelang sehr eindrucksvoll, weil in Raoul Coutard einer der besten Kameramänner Europas mit an Bord war. Bei seiner Zusammenarbeit mit Godard (A bout de souffle, Le Mépris, Bande à part), Truffaut (Jules et Jim, La peau douce) und Demy (Lola) hatte er die Bilderwelten geschaffen, die wir mit der Nouvelle Vague assoziieren, und auch Jean Rouchs und Edgar Morins Chronique d’été, der Klassiker des Cinéma Vérité (entstanden in Paris vor dem Hintergrund des Algerienkriegs), würde anders aussehen, wenn Coutard nicht dabei gewesen wäre. Bei Z musste er viel improvisieren, wie er es von Godard gewohnt war, dies allerdings im Rahmen eines Gesamtkonzepts, in dem die einzelnen Szenen und Sequenzen präzise aufeinander abgestimmt waren. Der Drive des Films, dem man sich schwer entziehen kann, ist das Resultat eines genau bedachten Planes, des überlegten Zusammenwirkens von Regiearbeit, Kamera und Schnitt.

Auf der place Maurice Audin setzte Coutard eine Handkamera ein, eine fahrbare Kamera und einen Kran. Im fertigen, von Françoise Bonnot montierten Film wirkt das, als sei man mitten drin, wenn der Doktor den Platz überqueren muss, um von seinem Hotel zum Veranstaltungsort zu kommen. Schon der Hinweg ist lebensgefährlich. Uniformierte sichern das Gelände, oder sie tun zumindest so, damit die Verantwortlichen hinterher sagen können, dass sie sich nichts vorzuwerfen haben. Die blauen Helme erinnern an die der griechischen Armee. In diesem Film weiß man nie genau, wer zur Polizei gehört und wer zum Militär. Wenn man ihn gesehen hat ist einem klar, wie froh man sein kann, in einem Land zu leben, wo das anders ist. Eine aufgebrachte Menge schreit, dass alle Politiker korrupt sind und man sie töten sollte. Ein Offizier wendet sich ab, als der Doktor das Hotel verlässt, statt ihn gegen die Menge abzuschirmen. Es gibt wenige Filme, die einem so eindringlich ein Gefühl davon vermitteln, wie es wohl ist, wenn man in einem Polizeistaat lebt, in dem die Sicherheitsorgane nicht das Recht und die Bürger schützen, sondern die Interessen bestimmter Cliquen.

Costa Gavras: "Z"

Beim Überqueren des Platzes kommt ein junger Mann von hinten und schlägt dem Doktor mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf. Kein Polizist greift ein. Halb benommen und halb ungläubig geht der Doktor weiter. Er und seine Anhänger sind in Gefahr, auf offener Straße niedergeprügelt zu werden - unter den Augen der Sicherheitskräfte, die den Mob erst zurückdrängen, als die Freunde des Friedens das Veranstaltungslokal erreicht haben und ihnen die Schläger kein Leid mehr zufügen können. Im Saal fragt der Doktor seine Anhänger, warum Leute zu solchen Mitteln greifen, wenn man die Idee von Frieden und Abrüstung vertritt - in einem Land, in dem es kein Geld für Krankenhäuser und Schulen gibt, weil der Militäretat so hoch ist. Der Redner gibt darauf eine Antwort (die wir nicht zu Ende hören), und der Film gibt eine andere, indem er den General und den Oberst vorfahren lässt, die beiden Vertreter einer mit Rechtsextremen durchsetzten Polizei- und Militärkaste, die mit üppigen Ausgaben für die Verteidigung gegen echte oder imaginäre Feinde gnädig gestimmt wurde und kräftig die Paranoia schürte, damit es auch so blieb.

Costa Gavras: "Z"

Mord mit Musik

Schulen und Krankenhäuser statt Kasernen: Das klingt nach linkem Populismus mit leichtem Jesus-Touch. Costa-Gavras hat ein feines Gespür für solche Fährnisse und geht vom Saal zurück nach draußen, wo die per Lautsprecher übertragene Friedensbotschaft auf eine brutale Wirklichkeit trifft und sich die Frage stellt, wie praktikabel das Hinhalten der anderen Wange ist, wenn man gewaltbereiten Schlägern gegenübersteht. Während der Doktor weniger Waffen fordert, lassen die Gegendemonstranten draußen auf dem Platz die Armee hochleben. Jemand hat einen Korb mit Steinen mitgebracht, weil das keine spontane Entladung des Volkszorns ist, sondern von langer Hand geplant. Der Abgeordnete Pirou (Jean Bouise, bekannt aus Die Haut des anderen und Der Krieg ist vorbei) will die Verantwortlichen für den Polizeieinsatz an ihre Pflicht erinnern. Ein muskulöser Mann schlägt plötzlich auf ihn ein, mit blutigem Gesicht geht er zu Boden. Ein falscher Krankenwagen erscheint und transportiert ihn ab. In einer Seitenstraße will man ihm den Rest geben. Schon wieder wird auf ihn eingeprügelt, als einer erkennt, dass Pirou gar nicht der Abgeordnete ist, der ermordet werden soll. Also kommt Plan B zur Ausführung.

Costa Gavras: "Z"

Nach der Friedensveranstaltung muss der Redner zurück zum Hotel. Die Polizei hält den Platz weiter abgesperrt (was keinen der Oppositionellen vor gewalttätigen Übergriffen schützt), und der General und der Oberst als die hochrangigsten Offiziere vor Ort verschwinden rasch hinter den Reihen der Uniformierten, als sie der Doktor gezielt anspricht. Dann kommt der Kleinlaster mit Yago und Vago angefahren. Vago schlägt dem Doktor mit einem Knüppel auf den Kopf. Mit einer schweren Schädelverletzung geht der Angegriffene in die Knie, fällt dann in ein Koma, aus dem er nicht mehr erwachen wird. Z vermittelt einige seiner Botschaften durch die Parallelität der Ereignisse. Als Vagos Knüppel den Kopf des Doktors trifft, endet die Vorstellung des Bolschoi-Balletts. Im Theater ist die High Society versammelt, gibt sich als Kulturnation und tut so, als hätte sie mit dem Anschlag auf den Mann, der das Land reformieren und den Reichen ein paar von ihren Privilegien wegnehmen will, nichts zu tun. Am Ort des Attentats johlen die aufgehetzten Verlierer des Klientelsystems, wenn Oppositionelle verprügelt werden, und im Theater applaudieren die Profiteure des Systems russischen Tänzern. Das Ballett repräsentiert die UdSSR, als deren Agent der gegen amerikanische Polaris-Raketen protestierende Doktor verteufelt wurde. Costa-Gavras und sein Co-Autor Semprún haben die Geschichte so konstruiert, dass ein komplexes Geflecht aus Schuld, Verantwortung und Heuchelei entsteht.

Costa Gavras: "Z"

Das die rohe Gewalt der Höhlenmenschen mit der perfiden Planung skrupelloser Hintermänner verbindende Attentat wäre an sich schon schlimm genug. Es wird noch schlimmer, wenn man es in Bezug zur griechischen Geschichte setzt. Vor und nach der Ballettaufführung ist aus dem Off etwas Cembalomusik zu hören. Ich habe mich immer gefragt, was das da soll. In einem Film, in dem die Mörder Yago und Vago heißen und die mit Sonnenbrille getarnten CIA-Agenten beim Observieren der Pazifisten in einem alten Ford aus den 1950ern sitzen, muss man mit Satire rechnen. Trotzdem ist dieses Cembalo überraschend, wirkt es, als solle einem etwas mitgeteilt werden, das so satirisch gar nicht ist. Dan Georgakas, der damals mit Costa-Gavras gesprochen und in der Film Society Review (Dezember 1969) einen interessanten Artikel über den Film veröffentlicht hat, kennt die Lösung. Offenbar hatten die Nazis die üble Angewohnheit, bei Hinrichtungen in Griechenland klassische Musik zu spielen.

Costa-Gavras zeigt, was sich mit ein bisschen Cembalomusik alles anfangen lässt. Er ironisiert die Anmaßung (griechisch: Hybris) der deutschen Besatzer, die sich als Angehörige eines kulturell höher stehenden Volkes inszenierten und zugleich barbarische Verbrechen begingen, erklärt das Attentat (nichts anderes als eine kaltblütig geplante Hinrichtung, mit dem Cembalo als musikalische Umrahmung) zur Fortsetzung dieser Verbrechen und macht die Kulturfreunde in ihren Abendroben zu Komplizen der Barbaren, die mit Knüppeln auf ihre Opfer einprügeln. In Z wird daraus nie die plumpe Polemik, mit der sich griechische Populisten des Jahres 2015 zu Rächern der Enterbten stilisieren. Die Wehrmacht und die SS sind nicht schuld daran, dass Grigoris Lambrakis 1963 in Thessaloniki ermordet wurde. Aber es gibt historische Kontinuitäten. In das Attentat waren Rechtsextreme verwickelt, die den Nazis und der Wehrmacht zugearbeitet hatten, als diese in Griechenland Kriegsverbrechen begingen.

Dieses Thema des Films ist wieder sehr aktuell, seit in Griechenland die deutsche Bundesregierung für die negativen Folgen der von den Kreditgebern verordneten Sparprogramme verantwortlich gemacht wird. Wassilis Aswestopoulos hat hier bei Telepolis berichtet, dass die Ja-Sager bei Tsipras’ Referendum als Germanotsoliades geschmäht wurden, als Nazikollaborateure. Als Deutscher ist man da leicht genervt und fragt sich, warum uns schon wieder die NS-Vergangenheit vorgehalten werden muss, dieses Mal eben auf dem Weg über die Verunglimpfung jener Griechen, die beim Referendum so abgestimmt haben wie von den Gläubigern gewünscht (oder wenigstens kommuniziert). Wer aber bei Germanotsoliades gleich auf Merkel und Dr. Schäuble mit Hitlerbart rückschließt, kratzt nur an der Oberfläche. Es geht um ein nationales Trauma, das seinen Ursprung in der Zeit nach dem Abzug der deutschen Truppen hat. Zahlreiche Kollaborateure kamen damals bei der Polizei und der Armee unter und verfolgten im Bürgerkrieg die (auch nicht zimperlichen) Widerstandskämpfer. In ihren neuen Positionen, die oft genug die alten waren, kriegten sie auch ein Stück vom Kuchen ab und stützten das System der Vetternwirtschaft, das viele Griechen gern losgeworden wären.

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