Schützen wir das christliche Abendland
Seite 6: Mit dem Kleinlaster durch Dunkelgriechenland
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Hier nun hat der Maurer seinen starken Auftritt. Im echten Leben hieß er Manolis Hatziapostolou, von seinen Freunden "Tiger" genannt. Ihm gelang es, auf die Ladefläche des von Gotzamanis (im Film: Yago) gesteuerten Kleinlasters zu springen, nach einem Kampf mit Emmanouilidis (Vago) in die Fahrerkabine einzudringen und das Gefährt zum Stehen zu bringen, was zur Festnahme und Identifizierung von Gotzamanis (und etwas später auch von Emmanouilidis) führte. Im Film sagen mehrere der Verschwörer aus, dass der Mann "geschmeidig und flink wie ein Tiger" gewesen sei und verraten durch die identische Wortwahl, dass sie sich vorher abgesprochen haben. Das ist noch einmal eine kleine Verbeugung vor Hatziapostolou, mit einem ironischen Augenzwinkern, weil er den Tätern auf diese Weise ein zweites Mal schadet. Für die Aufklärung des Falles war das beherzte Eingreifen des Tigers von entscheidender Bedeutung. Costa-Gavras bescherte es eine sehr realistisch wirkende Actionszene. Coutard drehte sie vom Kleinlaster und von einem neben diesem herfahrenden Auto aus. Ohne Geld für Stuntmen und Spezialeffekte mussten sich Maurice Baquet und Marcel Bozzuffi (als Vago) selbst von der Ladefläche auf die Straße fallen lassen. Das dürfte wehgetan haben. Wer bei diesem Film mitmachte, gab alles.
Costa-Gavras nützt die Gelegenheit, um uns zu zeigen, dass nicht jeder Grieche, ob Amtsträger oder nicht, ein gewalttätiger Rechtsextremer ist oder korrupt. Zwei Passanten verhindern, dass Yago den wehrlos am Boden liegenden Maurer totschlagen und doch noch unerkannt entkommen kann. Ein Feuerwehrmann weist einen jungen Polizisten auf den Knüppel hin, den Yago unter seiner Jacke versteckt hat, der Polizist tut seine Pflicht und verhaftet den Verdächtigen, und der Maurer verschwindet im Dunkel der Nacht, aus dem er einige Filmminuten davor gekommen ist, weil man sich in diesem Staat nicht darauf verlassen kann, dass einen die Polizei vor Verbrechern schützt. Hier ist das jetzt anders.
Der Feuerwehrmann ruft einen Streifenwagen, während der Polizist mit dem Festgenommenen in einem Hauseingang wartet, wo er ihn besser kontrollieren kann, aber dauernd das Licht anmachen muss, weil das Treppenhaus eine Zeitschaltuhr hat. Das ist weniger spektakulär als der Kampf auf dem fahrenden Laster, erfordert aber wieder einen Kameramann vom Format Raoul Coutards, der dieses Treppenhaus (keine Studiokulisse) so ausleuchten musste, dass man die Scheinwerfer nicht sieht und sich die Akteure frei bewegen können, und die Kamera mit ihnen. Das Licht, sagt Coutard in einem Interview, war immer gleich, und trotzdem sollte der Film in jedem Moment dokumentarisch wirken. Das muss man erst mal hinkriegen.
Costa-Gavras verfolgt die Strategie, das eigentlich Normale als das Besondere und Unerwartete hinzustellen, um zu zeigen, was alles faul ist in diesem Staat. Yago gibt sich dem Polizisten gegenüber komplizenhaft, bedeutet ihm, dass er von oben gedeckt wird und rechnet fest damit, dass der junge Mann ihn entkommen lassen wird, erfährt dann aber, dass er es mit einem Beamten zu tun hat, der nicht korrupt ist. Das ist der Beginn von Ermittlungen, die sich gestalten werden wie die Szene mit dem Kleinlaster: als zähes Ringen und als rasante Fahrt durch die Gesellschaft, mit Leuten entlang des Wegs, die manchmal anständige Menschen sind und manchmal nicht so sehr, abwechselnd mit Licht und Dunkelheit wie in diesem Treppenhaus. Das letzte Erlöschen des Lichts kaschiert einen Schnitt, der uns in das Theater bringt, wo soeben die Ballettaufführung endet und der Bezirksstaatsanwalt, der wegen der Morddrohungen nichts unternehmen wollte, höflich applaudiert. Die durch ein Stück Schwarzfilm verbreitete Finsternis verbindet Yago, den mit einer Keule bewaffneten Höhlenmenschen, mit der ach so kultivierten High Society, deren Werkzeug er ist.
Zynismus der Macht
Grigoris Lambrakis starb am 27. Mai 1963, nach einem hundert Stunden dauernden Todeskampf. Seine Beisetzung in Athen wurde zur politischen Demonstration. Rund eine halbe Million Menschen soll daran teilgenommen haben, darunter so prominente Vertreter des kulturellen Lebens wie Irene Papas und Mikis Theodorakis, der bald danach für den Film Alexis Sorbas (mit Irene Papas als Witwe) den Sirtaki erfand, damit aus dem gebürtigen Mexikaner Anthony Quinn, Hollywoods Ethnodarsteller par excellence, der ewig tanzende Klischee-Grieche werden konnte. Selbst wenn die Zahl vermutlich übertrieben ist: Die öffentliche, auch international geäußerte Empörung über die zunächst als Verkehrsunfall deklarierten Ermordung des populären Oppositionspolitikers und Friedensaktivisten war enorm. Das machte Vertuschungsversuche schwierig und ermöglichte es dem Untersuchungsrichter Christos Sartzetakis, umfänglich zu ermitteln. Dabei deckte er ein Komplott auf, in das hohe Militärs und Polizeioffiziere verwickelt waren, Angehörige des Justizsystems, Regierungspolitiker, paramilitärische Milizen und ein mit diesen verfilzter Geheimbund von Rechtsextremen. Von Konstantinos Karamanlis, seit 1955 Ministerpräsident, ist der Ausruf überliefert: "Wer regiert eigentlich in diesem Land?" Andreas Papandreou warf ihm vor, moralisch für die Tat verantwortlich zu sein, weil er einen Staat im Staate geduldet oder sogar gefördert habe, um mit Hilfe korrupter Seilschaften seine Macht zu sichern.
Z zeigt, wie der Staat im Staate operiert. Der General trifft sich mit seinen Leuten und lässt sich die Dossiers des Doktors und seiner Weggefährten vorlegen. Schuldig sind nicht die Täter, sondern die Opfer. Die Friedensaktivisten, so der General, kennen keine Scham und werden den Vorfall für ihre politischen Zwecke nützen. Also ordnet er an, Gerüchte in die Welt zu setzen, um den Ruf des im Sterben liegenden Doktors zu ruinieren. Als besonders gefährlich gilt der von Charles Denner gespielte Anwalt Manuel. Es bleibt offen, was aus Sicht der Polizei verwerflicher ist: dass Manuel den Kontakt zu den Studenten hält oder dass er Jude ist, wie der General seinem Dossier entnimmt. "Halbjude", korrigiert der Oberst. "Die schlimmste Sorte", meint der General. "Die fühlen sich sogar den anderen Juden überlegen."
Kaum ist der Polizeichef das losgeworden, da meldet seine Sekretärin, dass der Bezirksstaatsanwalt gekommen ist. Dieser Herr wird jetzt gleich Witzchen darüber machen, dass es in der Stadt zugeht wie im Fernen Osten, weil er es nicht unkommentiert lassen kann, dass Yago einen japanischen Kleinlaster der Marke "Kamikaze" fährt und sich vor dem "Verkehrsunfall" angeblich mit Vago in der Kneipe "Zum Chinesen" (der Besitzer war Soldat im Koreakrieg) betrunken hat. Die Spitzen von Polizei und Justiz geben sich gut bürgerlich und gehen zum Ballett, tragen aber xenophobe Ressentiments mit sich herum, die eine Atmosphäre schaffen, in der sich die Rechtsextremen ermutigt fühlen.
Mit dabei sitzt der junge Untersuchungsrichter, den der Bezirksstaatsanwalt gönnerhaft als den ermittelnden Beamten vorstellt. Sartzetakis wurde mit der richterlichen Untersuchung betraut, weil er ein Konservativer war, außerdem jung und unerfahren. In den vorgesetzten Dienststellen glaubte man, ihn leicht kontrollieren und ein Regierung und Behörden genehmes Ergebnis sicherstellen zu können. Das erwies sich als Fehleinschätzung. Sartzetakis war ein ehrlicher Mensch und nicht bereit, aus politischen oder aus Karrieregründen einseitig zu ermitteln und das Recht zu beugen. Jean-Louis Trintignant interpretiert die Rolle mit schauspielerischem Minimalismus, agiert mit Pokerface und trägt eine getönte Brille, was ihn noch schwerer zu durchschauen macht. Nur seine Körpersprache signalisiert, dass er lieber woanders wäre, statt mit diesem Fall befasst zu sein.
Der Oberst, verantwortlich für die öffentliche Sicherheit, liest die Falschaussagen von dreizehn Gästen des "Chinesen" vor, die bezeugen, dass Yago und Vago sich dort betrunken haben, bevor der Doktor von ihnen im Suff "angefahren" wurde. Die Sache sei wohl klar, resümiert der General. Ein Verkehrsunfall. Ganz meine Meinung, sekundiert der servile Bezirksstaatsanwalt und berichtet von einem Anruf des Ministers, der den Fall schnell zu den Akten legen will, wegen der Reaktion im Ausland. Die Pressemitteilung ist schon vorbereitet: Ein bedauerlicher Unfall. Eine Trunkenheitsfahrt mit daraus resultierender Körperverletzung. Die Schuldigen sind hinter Schloss und Riegel. Der Untersuchungsrichter macht sich Notizen, und man weiß da noch nicht genau, ob er sich brav das gewünschte Ergebnis seiner Ermittlungen diktieren lässt oder doch nicht so willfährig ist, wie von ihm erwartet. Dann wird der Staatsanwalt benachrichtigt, dass der Doktor gestorben ist. Costa-Gavras beendet die Szene mit ein paar Sekunden, die dem Zynismus der Macht gewidmet sind. Der General sitzt an seinem Schreibtisch, umgeben von Gesinnungsgenossen und Opportunisten. Der Tod des Doktors lässt ihn völlig kalt. Die Kamera holt den General ganz langsam zu uns heran. Gut, sagt er. Dann schreiben Sie statt Körperverletzung eben Totschlag.
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