Schweigegelübde oder Schweinereien?

Polen geht gegen revoltierende Nonnen vor

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In Kazimierz Dolny in der Woiwodschaft Lublin stürmten gestern gut 150 polnische Polizisten ein Kloster der Schwestern der "Familie von Bethanien".

Der Grund dafür, warum sich die 65 Nonnen zwei Jahre lang in dem ummauerten Kloster einsperrten und eine Kommunikation mit staatlichen und kirchlichen Behörden verweigerten, war angeblich die Absetzung der Oberin Jadwiga Ligocka vor zwei Jahren. Mieczyslaw Puzewicz, Sprecher der Erzdiözese Lublin, nannte als Ursache der Abberufung "Ungehorsam". "Private Offenbarungen" der Oberin scheinen ebenfalls eine Rolle gespielt zu haben. Auch von anderen "kontroversen" Entscheidungen in religiöser und administrativer Hinsicht ist die Rede: Nach einer Eingebung durch den Heiligen Geist soll die Nonne angekündigt haben, ihre Kongregation in einen Schweigeorden umwandeln zu wollen.

Der Orden, der bereits 1930 gegründet aber erst 1992 vom polnischen Papst Johannes Paul II anerkannt wurde, untersteht formell direkt dem Vatikan. Im Mai 2005 entsandte dieser eine Delegation der "Kongregation für die Institute des gottgeweihten Lebens", welche die Situation in Kazimierz Dolny untersuchen sollte. Ergebnis der Untersuchung war, dass der Vatikan am 6. August 2005 Ligocka abberief und Barbara Robak als ihre Nachfolgerin einsetzte. Daraufhin schlossen sich Ligocka und ihre Anhängerinnen ein.

Anders als deutsche Medien berichteten, handelte es sich aber nicht um 65, sondern nur um zehn Nonnen. Der Rest der Rebellen bestand aus Postulantinnen, die eine dem Noviziat vorausgehende Probezeit für die Aufnahme in den Orden absolvieren, aus Novizinnen und aus Nonnen, deren temporäres Gelübde abgelaufen war. Allerdings hatte Ligocka angekündigt, den Eingeschlossenen auch Gelübde abzunehmen.

Auch die unter anderem vom Spiegel lancierte Meldung, die Religionsrebellen hätten sich völlig von der Außenwelt abgeschottet, trifft polnischen Medien zufolge nicht zu: Danach ließen die Häretiker zwar noch Familienmitglieder und Sympathisanten, aber keine kirchlichen oder staatlichen Behördenvertreter auf das Gelände. Dies erklärt auch, warum ein Abschalten der Energieversorgung keine Wirkung hatte: Ortsansässige versorgten die Eingeschlossenen mit warmen Speisen.

Am 1. Februar 2006 erließ der Lubliner Erzbischof Jozef Zycinski ein Dekret, das die Erteilung von Sakramenten in dem Konvent verbot. Am 28. Oktober 2006 schloss der Vatikan die 10 ungehorsamen Nonnen aus dem Bethanierorden aus. Am 3. Februar dieses Jahres schrieb Erzbischof Zycinski einen Hirtenbrief, in dem er diese Entscheidung der Öffentlichkeit mitteilte. Anschließend stellte das Direktorium des Ordens beim Bezirksstaatsanwalt in Pulawy Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, worauf in mehreren nichtöffentlichen Sitzungen im Frühjahr 2007 eine Räumungsanordnung erlassen wurde.

An der gestern erfolgten Räumung beteiligten sich neben Polizisten auch Psychologen, Kirchenvertreter, Ärzte und die Feuerwehr. Die Nonnen reagierten auf das Öffnen der Klostertür durch den Schlüsseldienst mit Singen und Gitarrespielen. Laut Angaben des Polizeisprechers soll es bei der Räumung auch zu Beschimpfungen des Räumkommandos gekommen sein. Unter den mit Bussen abtransportierten Nonnen sollen sich auch russische und weisrussische Staatsangehörige befinden, denen jetzt der polnischen Polizei zufolge die Aufenthaltsbeendigung in Polen droht.

Neben der Oberin wurde auch der Franziskanerpater Roman Komaryczko festgenommen. Oberin und Pater sollen nun verhört werden - was ihnen genau vorgeworfen wird, darüber wollte sich Polizeisprecher Mariusz Sokolowski nicht äußern. Laut Diözesansprecher Puzewicz machten die Nonnen einen "psychologisch manipulierten" Eindruck. Er erwähnte auch, dass Komaryczko einen "negativen Einfluss" auf Oberin Jadwiga gehabt habe.

Der 42jährige Franziskanerpater, der von den Nonnen aufgenommen wurde, soll unbestätigten polnischen Medienberichten zufolge bereits seit längerer Zeit Geschlechtsverkehr mit Nonnen ausgeübt haben, den er als "Therapie" für eine "Annäherung an Gott" anpries. Im November 2002 hatte der Krakauer Provinzprior Kazimierz Malinowski Komaryczko den Kontakt mit Nonnen und das Abnehmen der Beichte außerhalb des Beichtstuhls verboten. Allerdings sind diese Vorwürfe insofern mit Vorsicht zu genießen, da der sexuelle Missbrauch ein Topos ist, der auf insulare religiöse Gemeinschaften regelmäßig angewendet wird.

Abschottung bis zur Erstürmung des Geländes ist unter Religionisten kein seltenes Phänomen: Bekannteste Fälle sind die des protestantischen Sektenführers Jim Jones, der seinen "Volkstempel" 1978 in den Massenselbstmord führte und die Davidianer, die sich im texanischen Waco verschanzten. Beim Sturm auf das Gelände waren die amerikanischen Behörden damals etwas gröber vorgegangen als die polnischen: Insgesamt gab es 76 Tote, neun Davidianer überlebten.