Schwere Nötigung: Schuldig, aber keine Strafe
Gegen die Staatsanwaltschaft im Fall Daschner haben Bürgerrechtler wegen des milden Urteils bereits einen Strafantrag wegen versuchter Anstiftung zur Rechtsbeugung gestellt, ein Strafantrag gegen die Mitglieder des Gerichts wegen Rechtsbeugung soll folgen
Im Prozess gegen den ehemaligen Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner und gegen Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit hat das Gericht sich für einen Schuldspruch, aber ohne Verurteilung entschieden (Folter bleibt in Deutschland ohne Strafe). Beide erhielten mit der Verwarnung (Geldstrafe) mit Strafvorbehalt das mildeste Urteil, das im Strafrecht möglich ist, obgleich die Gesetzeslage, wie Bärbel Stock, die Vorsitzende der 27. Großen Strafkammer in der Urteilsbegründung sagte, eindeutig ist. Als erwiesen wurde vom Gericht angesehen, dass Daschner einem Untergebenen schwere Nötigung befohlen hat. Das Gericht sprach nicht von Folter oder Aussageerperessung, aber Androhung von körperlicher Gewalt lässt sich als Folter verstehen und ist nach internationalem und deutschem Recht verboten.
Stock betonte, dass es für die Androhung von Gewalt bzw. Schmerzen oder gar die Durchführung von Gewalt, wie dies Wolfgang Daschner als polizeiliche Maßnahme angeordnet hat, keine gesetzliche Grundlage gibt. Es habe sich eindeutig um einen Verstoß gegen den im Grundgesetz verankerten Schutz der Würde des Menschen gehandelt. Und die Missachtung der Menschenwürde dürfe, so machte Stock auch im Verweis auf die deutsche Geschichte klar, selbst dann nicht geschehen, wenn es um die Rettung eines Menschen geht.
Als strafmildernd wurden vor allem die "ehrenwerte Motive" der Angeklagten angeführt. Ihnen sei es, was eben aber keine Ausnahme rechtfertigen würde, "ausschließlich um die Rettung des elfjährigen Jakob von Metzler" gegangen. Beide seien an der Grenze der Belastbarkeit gewesen. Zudem sei der Angeklagte Magnus Gäfgen "provokant und skrupellos" bei den Verhören aufgetreten. Und Daschner habe die Drohung schließlich auch noch in einer Akte vermerkt, was man ihm hoch anrechnen müsse. Zudem habe Daschner, wie Stock die Erklärung des Staatsanwalts aufgreift, ohne sie belegen zu können, Reue und Einsicht erkennen lassen.
Gleichwohl erklärte Stock, dass der Fall nicht so ungewöhnlich und auch keine unausweichliche Konfliktlage gewesen sei. Es hätte noch weitere Möglichkeiten zur Beeinflussung von Gäfgen gegeben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Untergebenen Daschners diesen auf die Ungesetzlichkeit der Anordnung hingewiesen hatten. Daschner hingegen meinte, er habe keine andere Möglichkeit mehr gehabt, und er hat auch mehrmals geäußert, dass er dasselbe wieder tun würde. Ein Schuldeingeständnis kam von Daschner bislang nicht. Möglicherweise war er der Meinung, dass damit rechtlich keine Aussageerpressung begangen würde, sondern die Androhung nur der Gefahrenabwehr diene und damit nicht oder weniger strafbar sei. Zudem scheint er, wie er selbst sagte, vom Ministerium bestärkt worden zu sein, gegenüber Gäfgen Gewalt anzudrohen, um eine Aussage zu erzwingen. Daschner forderte auch vor dem Prozess noch explizit, dass die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden müsste, dass Polizeibeamte körperliche Gewalt "als letztes Mittel, um Menschenleben zu retten", anwenden dürfen.
Nun sind beide Angeklagten zwar der Nötigung für schuldig gesprochen worden, aber das Strafmaß unterschreitet den vom Gesetz vorgesehenem Rahmen, so dass beide nicht einmal vorbestraft sind. Bei Nötigung in einem besonders schweren Fall ist eine Gefängnisstrafe nicht unter einem halben Jahr vorgesehen. Eine Verwarnung mit Strafvorbehalt, also eine Geldstrafe auf Bewährung, ist nach Paragraph 59 Strafgesetzbuch nur bei weniger schweren Delikten möglich. Dafür ist Voraussetzung, worauf sich denn auch das Gericht stützt, dass "eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es angezeigt ist, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen." Überdies muss erwartet werden können, "dass der Täter künftig auch ohne Verurteilung zu Strafe keine Straftaten mehr begehen wird". Zudem muss auch gegeben sein, dass "die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe nicht gebietet".
Da Daschner wohl immer noch davon ausgeht eigentlich richtig gehandelt zu haben, ist nicht wirklich gewährleistet, ob er nicht wieder ähnlich im Dienst handeln würde. Vor allem aber ist kritisch zu bewerten, ob nicht eine Strafe eben zur Verteidigung der Rechtsordnung, d.h. zum deutlichen Herausstellen des Verbots von Nötigung (und auch von Folter), notwendig gewesen wäre. Denn auch von dem äußerst milden Urteil geht eine Botschaft aus. Das Gericht mag hoffen, klar gemacht zu haben, dass Nötigung und die Androhung von Gewalt unter Strafandrohung steht, das Urteil aber könnte auch die Wirkung haben, dass diese doch je nach Umstand und vielleicht auch öffentlichem oder politischem Druck geduldet werden - und vielleicht auch das nächste Mal, sollte es dies geben, eine Strafe ausgesetzt wird.
Vorwurf der Rechtsbeugung
Das dürfte zumindest einer der Gründe sein, warum Detlev Beutner, ein Mathetamiker und Programmierer aus Eppstein, und Jörg Eichler, ein Jura-Student aus Dresden, Initiatoren des Netzwerks gegen Folter (stop torture), eine Strafanzeige gegen den Staatsanwalt im Daschner-Prozess "wegen (versuchter) Anstiftung zur Rechtsbeugung gem. §§ 339, 22, 23 Abs. 1, 26, 30 Abs. 1 StGB" gestellt haben. Ein Strafantrag gegen die Kammermitglieder des Gerichts werde folgen, hieß es in einer Pressemitteilung, wenn das Gericht dem Strafantrag des Staatsanwalts Wilhelm Möller folgt. Tatsächlich hat das Gericht in seinem Urteil den Strafantrag, der auf 180 Tagessätze lautete, was einer Mindeststrafe von einem halben Jahr entsprochen noch unterschritten.
Beutner und Eichler werfen dem Staatsanwalt vor, den möglichen Tatbestand der Aussagenerpressung gar nicht verfolgt zu haben. Aber auch mit dem Strafantrag sei er unter der "gesetzlichen Mindeststrafe für Nötigung in einem besonders schweren Fall geblieben", was Beutner und Eichler als zumindest "versuchte Anstiftung zur Rechtsbeugung" bezeichnen. Eine "Umwandlung von Freiheits- in Geldstrafe (und dann weitere Umwandlung in eine Verwarnung) ist nur bei Strafen unter sechs Monaten möglich (§ 47 II StGB)". Der Staatsanwalt habe nämlich selbst erklärt, dass es sich um eine Nötigung in einem besonders schweren Fall gehandelt habe:
Staatsanwalt Möllers ließ keinen Zweifel daran, dass er den Tatbestand des § 240 Abs. 3 Nr. 3 StGB als verwirklicht ansieht; ausdrücklich sprach er davon, dass der Angeklagte Daschner dadurch, dass er seine Stellung als Amtsträger missbrauchte, in einem "besonders schweren Fall" der Nötigung gehandelt habe. Explizit verneinte er das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen. Für die Strafzumessung zitierte er auch zunächst den für § 240 Abs. 3 Nr. 3 StGB maßgeblichen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters hatte Möller als Grund für die Unterschreitung des Strafrahmens erklärt:
Von diesem Regelstrafrahmen kann man dann abweichen, wenn man der Meinung ist und zu der Überzeugung gelangt, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Schuld nicht besonders schwer wiegt.
Für Beutner und Eichler liegen auch die von Möller angegebenen Entlastungsgründe nicht vor, da der Angeklagte sein Vorgehen nicht als falsch bezeichnet hatte, sondern stets von dessen Richtigkeit ausgegangen sei. Und auch wenn die Entlastungsgründe berücksichtigt würden, müsste der gesetzliche Strafrahmen eingehalten werden. Während gegen Möller bislang nur ein Strafantrag wegen versuchter Anstiftung zur Rechtsbeugung gestellt wurde, müsste gegen die Mitglieder des Gerichts nun ein Strafantrag auf Rechtsbeugung gestellt werden. Wie Jörg Eichler gegenüber Telepolis erklärte, wird dies auch beabsichtigt. Auch gegenüber der Staatsanwaltschaft werde man noch nachlegen, weil es sich nun gleichzeitig um Beihilfe zur Rechtsbeugung und um Strafvereitlung handle, da auf Rechtsmittel verzichtet wurde. Allerdings wollen die beiden den nächsten Schritt wohl erst im Laufe des Januar machen und hoffen darauf, weitere Unterstützer zu finden.