Schwerer Bombenanschlag in Israel

Israelisch-palästinensische Friedensgespräche ausgesetzt

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Mindestens 20 Menschen starben und über 100 weitere wurden verletzt, als sich am Dienstagabend ein Palästinenser in West-Jerusalem in einem Linienbus in die Luft sprengte. Der Täter war vermutlich als orthodoxer Jude verkleidet und bestieg den Bus zusammen mit Gläubigen, die auf dem Rückweg von der Klagemauer waren. Noch in der Nacht nahm die Armee in mehreren Städten mutmaßliche Aktivisten fest. Westjordanland und Gazastreifen wurden abgeriegelt, einzelne Städte voneinander isoliert. Nach Medienangaben berät die Jerusalemer Regierung noch über das weitere militärische Vorgehen. Aber bei Ramallah sind bereits Panzer aufgefahren. Am Abend ist aus der Nähe des Amtssitzes von Jassir Arafat schweres Maschinengewehrfeuer zu hören.

Nach Angaben eines in Hebron verteilten Hamas-Flugblatts war der 29-jährige RaŽid Abdul Hamid Misk aus der Stadt im Süden des Westjordanlandes, ein Lehrer und Vater zweier Kinder, der Attentäter. Danach wollte er sich mit der Explosion für die Liquidierung von Mitgliedern von Hamas und Islamischer Dschihad durch israelisches Militär rächen. Hamas-Sprecher Abdelasis Rantisi erklärte jedoch in Gaza, seine Gruppe habe mit der Tat nichts zu tun. Wenig später tauchte das Bekennerschreiben aber schon auf der Hamas-Website auf. Ob sich bei der Hamas, wie bereits bei Jassir Arafats Fatah, lokale Gruppen verselbständigen, ist noch unklar. Alle bewaffneten Organisationen erklärten am 29. Juni einen einseitigen Waffenstillstand, behielten sich aber Reaktionen auf israelische Liquidierungen vor. Ein Vertreter der US-Regierung sagte unterdessen, der Friedensprozess werde nicht ausgesetzt.

Der palästinensische Ministerpräsident Mahmud Abbas verurteilte den "schrecklichen Akt" und erklärte, dass er "nicht mit den Interessen der palästinensischen Bevölkerung vereinbar" sei. Israel stoppte die laufenden Friedensgespräche und legte alle geplanten Maßnahmen auf Eis. Nach Bethlehem und Teilen des Gazastreifens war die baldige Rückgabe von vier weiteren Städten an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) geplant. Israel hält noch fast alle palästinensischen Ortschaften besetzt und ist auch noch für Hebron, dem Herkunftsort des Selbstmordattentäters, verantwortlich.

Israel sieht die Verantwortung für die Tat trotzdem bei der PA. Abbas ist durch die Road Map zur Auflösung der bewaffneten Organisationen verpflichtet, hat sich aber zum Dialog mit ihnen entschlossen. Ein radikales Vorgehen der PA halten palästinensische Experten vor dem Ende der israelischen Besatzung nicht für möglich. Die Folge sei kein Bürgerkrieg, sondern der totale Vertrauensverlust für die Autonomiebehörde. Bereits vor einer Woche nahmen palästinensische Polizisten ein Mitglied des bewaffneten Armes des Islamischen Dschihad in Gaza fest. Der Gesuchte eröffnete das Feuer auf die Sicherheitskräfte und wurde selbst verwundet. Vier Kinder wurden durch den Schusswechsel in dem dicht bewohnten Flüchtlingslager Shati ebenfalls verletzt. Anhänger der Organisation bewarfen die Polizisten mit Steinen.

Nach dem Anschlag von Jerusalem brach Abbas die Kontakte mit den Islamisten ab. "Sämtliche Kommunikation mit Hamas und Islamischem Dschihad ist eingefroren", erklärte Elias Snaniri vom Innenministerium am Mittwoch im palästinensischen Radio. "Sie sind für die Verschlechterung der Lage verantwortlich, und die Drahtzieher der Explosion werden verfolgt. Wir werden die passenden Maßnahmen ergreifen."

"Im Rahmen unserer Möglichkeiten", sollte Herr Snanriri hinzufügen. Denn wegen der starken israelischen Militärpräsenz sind seine Sicherheitskräfte sehr eingeschränkt. In Ramallah waren am Mittwoch nicht einmal mehr die unbewaffneten Verkehrspolizisten in Zivil zu sehen. Die Bevölkerung rechnet mit vermehrter Präsenz israelischer Truppen in der Stadt. Wer kann, bleibt zu Hause. Zudem hat sich schon vor Tagen die von Israel mit großem Medienecho präsentierte Verbesserung der Mobilität der Palästinenser als falsch herausgestellt. Wartezeiten an militärischen Straßensperren sind lange. Am Montag starb eine 73-Jährige an einem Checkpoint bei Jerusalem. Sie erklärte den Soldaten nach Angaben von Augenzeugen mehrmals, auf dem Weg ins Krankenhaus zu sein. Nach 90 Minuten in stechender Sonne erlag sie ihren Herzproblemen. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministers Kamal Scharafi starben in den letzten drei Jahren 97 Menschen an israelischen Kontrollen, weil ihnen trotz akuter Krankheit die Passage verweigert wurde.

In Hebron wird derweil die Sprengung des Hauses der Familie des Attentäters erwartet. "Auch ansonsten ist die Stimmung in der Stadt angespannt", sagte Majdi Schujuchi gegenüber Telepolis. "Alle Aus- und Zugänge sind abgeriegelt. Und im Stadtzentrum wurde wieder eine Ausgangssperre verhängt." Die dortigen Bewohner durften im Großteil der Zeit seit Beginn der Intifada vor drei Jahren ihre Häuser nicht verlassen. Wegen ständiger Übergriffe extremistischer jüdischer Siedler sind nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem bereits 43% der Einwohner der historischen Altstadt seit September 2000 aus ihren Wohnungen geflüchtet. 2.000 Geschäfte mussten schließen, drei Schulen wurden von der Armee besetzt.