Schwindendes Vertrauen in Medien: Öffentlich-rechtliche Sender als Regierungssprecher?

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Wie es um Medienprivilegien für Parteien steht, die an der Macht sind. Was die Forschung sagt. Eine kritische Betrachtung.

Das Vertrauen vieler Menschen in etablierte Medien, hierzulande und weltweit, ist längst nicht mehr selbstverständlich, sondern sogar weiter sinkend. Das belegen zahlreiche Studien, unter anderem der jährliche Digital News Report vom Reuters-Institut an der Uni Oxford.

Vertrauen in Öffentlich-Rechtliche im Allzeittief

Den öffentlich-rechtlichen Medien (kurz: ÖRM) wird dabei in Deutschland Untersuchungen zufolge noch immer am meisten vertraut – allerdings ist auch und gerade dieses Vertrauen mit nur noch 62 Prozent laut Langzeitstudie Medienvertrauen aktuell auf ein Allzeit-Tief gesunken.

Eine neue Studie von Kommunikationsforscher Marcus Maurer und seinem Team (Uni Mainz), gefördert von der Stiftung Mercator, vergleicht neun wichtige Nachrichtenformate der ÖRM mit insgesamt 38 privat-wirtschaftlichen Medien im Zeitraum April bis Juni 2023.

Die Analyse wurde von ihrerseits etablierten Nachrichten-Akteuren wie dem Evangelischen Pressedienst epd unter der beruhigend wirkenden Überschrift "Studie bescheinigt Öffentlich-Rechtlichen Perspektivenvielfalt" zusammengefasst.

Rolle der ÖRM: Nicht "besonders einseitig"?

Das zentrale Ergebnis der Studie mit dem Titel "Fehlt da was? Perspektivenvielfalt in den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenformaten" lautet in der offiziellen Kurz-Fassung: Die ÖRM hierzulande seien nicht "besonders einseitig". Im Gegenteil:

Die öffentlich-rechtlichen Formate lassen (…) zumindest einfache Bürger und die aktuellen Oppositionsparteien im Verhältnis häufiger zu Wort kommen als die Vergleichsmedien und berichten in dieser Hinsicht folglich etwas vielfältiger.

Zündstoff: Binnenpluralismus

Das klingt zunächst entspannt, birgt aber bei genauerer Betrachtung dennoch Zündstoff. Denn gemäß vieler gesetzlicher Vorgaben (Medienstaatsvertrag etc.) sollen gerade diese Medien (also die Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio) möglichst gar nicht "einseitig" sein, sondern strikt einem "Binnenpluralismus" verpflichtet.

Dieser habe sich auf sämtliche relevanten Strömungen und Tendenzen in der Gesellschaft zu beziehen und all diese einzubeziehen.

In dieser Hinsicht bietet die Studie einige Anknüpfungspunkte für vernünftige Medien- und Gesellschaftskritik. Denn: In den ÖRM gibt es laut Maurer & Co. einen "sehr deutlichen Sichtbarkeitsvorsprung der Regierungs- gegenüber den Oppositionsparteien".

Fragwürdig, warum die Forschenden hierzu nur zaghaft schreiben, man könne dies "auch kritisch sehen". Wer es ernst meint mit Medien- und Wissenschaftsfreiheit sowie gesellschaftlicher Demokratisierung, sollte hierin vielmehr ein gravierendes soziales Problem (wieder-)erkennen.

Sehr deutlicher Sichtbarkeitsvorsprung der SPD und der Grünen

Vor allem, aber nicht nur, betrifft dieser sehr deutliche Sichtbarkeitsvorsprung die herrschenden Parteien SPD und insbesondere Bündnisgrüne, was auch Telepolis-Autor Timo Rieg in einer ersten Sicht auf die Studie bereits hervorhob.

Bei den erwähnten bzw. selbst zu Wort kommenden Partei-Personen z.B. stammen bei den ÖRM-Nachrichten immerhin 33 bzw. 30 Prozent aus der SPD (bei einem Bundestagswahlergebnis 2021 von 25,7 Prozent also deutlich überproportional).

Bei den Bündnisgrünen ist die mediale Überrepräsentanz jedoch noch viel deutlicher, fast das Doppelte, verglichen mit dem Wahlergebnis von 2021 (mit damals bundesweit 14,8 Prozent der Stimmen): Von dieser Partei stammen sogar 28 Prozent (im Studientext stehen dort sogar 29 Prozent, was aber im Unterschied zur Zahl in der dortigen Tabelle falsch ist, wie Studienleiter Maurer auf meine Nachfrage hin bestätigte) der Erwähnungen bzw. 26 Prozent der O-Töne.

Auch die FDP kommt gut weg

Auch die dritte Ampel-Partei, die FDP, kommt in den ÖRM überdurchschnittlich gut weg: Laut Studie mit 12Prozent bzw. 13 Prozent öffentlich-rechtlichem Präsenzanteil, beides jedenfalls mehr als die 11,5 Prozent bei der jüngsten Bundestagswahl.

Kurz gesagt: Die Regierungsparteien sind mit eigenen Akteuren nachrichtlich stark präsent und damit deutlich diskursbestimmend. Denn auch in den privat-wirtschaftlichen Medien ist die Lage ähnlich.

Unterrepräsentierte Opposition

Wenig überraschend sind daher alle anderen Bundestags-Parteien, auch die damalige Linke (so viel zum Schlagwort "linke Medien"), in Leitmedien massiv unterrepräsentiert. Eine logische Folge ihres Oppositions-Status?

Das sollte zu denken geben, sofern journalistische Medien im Sinne von "vierte Gewalt" als kritisches Korrektiv von politischer Herrschaft, wirtschaftlicher Macht und kultureller Hegemonie gelten.

Nicht nur eine Fußnote hierzu: Die MDR-Nachrichten sind laut Studie die mit Abstand vielfältigsten – einfach, weil dort Personen von AfD und Linkspartei viel häufiger als sonst erwähnt werden und auch zu Wort kommen. Am anderen Ende dieser Skala steht übrigens der Deutschlandfunk in Köln, wo niemand aus diesen beiden Parteien zu Wort kam.

Das Forschungsteam geht jedenfalls bereits vorab von einer "Linksschiefe" im deutschen Journalismus aus und sieht in diesem Rahmen dann eine deutliche Positionierung der ÖRM auf jener gesellschaftlichen Seite, "die man vereinfacht ausgedrückt als politisch links der Mitte bezeichnen kann".

Der auf Macht ausgerichtete Kompass

Inwiefern allerdings die Politik der Regierungsparteien SPD und Grüne als wie auch immer "links" anzusehen sei, dürfte (abseits der Reden Rechtsextremer) gesellschaftlich durchaus umstritten sein.

Dass der Kompass der Forschenden seinerseits eine gewisse "Rechtsschiefe" zu haben scheint, mag sich an diesem Beispiel zeigen: Die Studie bestimmt die Bild-Zeitung als ganz normale "überregionale Zeitung", markiert aber die beiden ebenfalls überregionalen Zeitungen Neues Deutschland und junge Welt als linke "Extremmedien".

Und, Stichwort "Rechtsschiefe", am Studien-Ende kommt als praktischer Tipp für die Redaktionen, womöglich einer "Stärkung konservativer und marktliberaler Positionen" mehr Raum und Zeit zu schenken. Klar, diese Auffassungen haben es ja unter neoliberal-autoritärer werdenden Umständen besonders schwer.

Tendenz: Im Zweifelsfall pro Regierung

Immerhin: Die Tendenz "im Zweifelsfalle pro Regierung" ist laut Studie nicht unproblematisch: Denn die ÖRM-Beiträge fielen zudem durch einen gegenüber den privat-wirtschaftlichen Vergleichsmedien weniger kritischen Umgang mit den aktuellen Regierungsparteien auf.

Zudem zeige sich, dass die drei Ampel-Parteien in den öffentlich-rechtlichen Formaten insgesamt deutlich weniger negativ dargestellt wurden als Union, AfD und Linke. Bedenklich weiterhin, dass die öffentlich-rechtlichen Nachrichten insgesamt laut Studie weder vielfältiger noch ausgewogener als RTL, FAZ & Co. berichtet hätten, "obwohl die Ansprüche an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in dieser Hinsicht durchaus höher sind".

Studie akzentuiert Probleme beim Publikum: "Das Volk, der große Lümmel?"

Die Studie selbst bietet, wie skizziert, manchen Anlass zur Kritik: Was sie anscheinend gemeinsam hat mit dem journalistischen Feld, ist, dass die Probleme zumindest auch, wenn nicht überwiegend beim Publikum gesehen werden.

Es gehe nicht zuletzt darum, "den Journalismus vor eventuell ungerechtfertigten Angriffen und einem auf falschen Vorstellungen basierenden Vertrauensverlust zu schützen." Wie schon Heinrich Heine ironisch dichtete – das Volk, der große Lümmel?

Solche Kurzschlüsse mögen kaum Zufall sein: Denn es sind ja gerade jene beiden gesellschaftlichen Felder, die sich mit "Wahrheit" befassen sollen, nämlich Journalismus und Wissenschaften (einschließlich Journalistik sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft), in denen personelle und strukturelle Homogenität, prekäre Beschäftigung sowie Anpassungsdruck längst besonders ausgeprägt und zugleich in Rekordtempo weiter wachsend erscheinen – was dann offenbar zu Verengungen und Vereinseitigungen der jeweiligen Diskurse beiträgt.

Wie sollten da, um nochmals Heines "Wintermärchen" aufzugreifen, neue und bessere Beiträge entstehen – wenn nicht für ein "Himmelreich" auf Erden, so doch zumindest für halbwegs gelingende gesellschaftliche Kommunikation?