Sechs Vorschläge an die Umweltbewegung
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Trotz aller Erfolge stockt die Umweltbewegung. Die Ursachen zu beheben wäre nicht schwer - wenn Millionen mitmachen
Der Autor dieser Zeilen erinnert sich gern an die Lehrerinnen und Lehrer seiner Schulzeit in den 1980-er Jahren: Anti-WAA-Kämpfer, Konsumkritiker, Windrad-Bastler und Vegetarier in Batik-Klamotten bereicherten mit ihrer unermüdlichen Diskussionsfreudigkeit selbst den überambitionierten bayerischen Schulalltag.
Katastrophen wie die Dioxinverseuchung in Seveso (1976), die Havarie des Öltankers Amoco Cadiz (1978), das Giftgasunglück in Bhopal (1984) und das Fischsterben im Rhein (Sandoz, 1986) gaben deutlichen Hinweis darauf, dass wir in der Industriemoderne weniger dem unmittelbaren Risiko ausgesetzt waren, von der Keule eines anderen Menschen, als viel mehr von abstrakten, statistischen Restrisiken niedergestreckt zu werden, die sich unmittelbar vor unseren Augen manifestierten.
Wieso war mein Kühlschrank für ein Loch in der Ozonschicht über der Antarktis verantwortlich? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken, wenn ich den selbstgezogenen Salat aus unserem Garten esse, nur weil in der Ukraine ein Kernreaktor kaputtgegangen war? Nicht wenige aus unserem Dorf aßen den Salat, zu absurd erschienen ihnen zunächst die Warnungen.
Inzwischen dürfte jeder Mensch eine gewisse Vorstellung von der Gefährlichkeit radioaktiver Strahlung haben. Das war eine Leistungen der Umweltbewegung, die in den 70er- und 80er-Jahren ihre Sternstunden erlebte und den Menschen das Wissen und ein Gefühl vermitteln konnte, dass die Gefahren der Industriemoderne das Zeug dazu haben, der Menschheit den Garaus zu machen - obwohl die Gefahren mit den unmittelbaren Lebensroutinen der Menschen so gut wie nichts zu tun haben.
Doch seit 30 Jahren befindet sich die Umweltbewegung in den Mühen der Ebene. Es geht nicht richtig voran; jenseits von Wirtschafts- oder Coronakrisen sinken die CO2-Emissionen viel zu langsam (zwischen 1999 und 2019 um rund 1,3 Prozent pro Jahr, d.h., sie halbieren sich alle 53 Jahre)1, die Müllhalden wachsen, Monokulturen dominieren die Landschaft, Flächen werden weiter versiegelt und die Autos werden dicker, obwohl irgendwie alle wissen, dass das ein Problem ist.
Weltweit verschließe ich immer wieder die Augen, um nur nicht zu genau zu erfahren, wer oder was jetzt gerade niederbrennt, austrocknet oder ausstirbt. Was ist da los, dass einerseits breite Bevölkerungsteile innerhalb der hochentwickelten Industriestaaten ökologische Probleme anerkennen oder bereits leibhaftig mit ihnen konfrontiert sind, andererseits die wachsende Umweltbewegung so erschreckend wenig Substanzielles jenseits bloßer Aufklärung erreicht?
Bei der Recherche zu diesem Text fiel mir ein Buch von dem leider viel zu früh verstorbenen Soziologen Ulrich Beck in die Hände: "Politik in Zeiten der Risikogesellschaft", erschienen 1991, also vor genau 30 Jahren.2 Bei der Lektüre stockt mir immer wieder der Atem, gerade weil seine Zeilen schon 30 Jahre alt sind:
Die zentrale Konfliktlinie spaltet nicht Für und Gegen ökologisch bewusste Produktion und Politik, sondern das allgemeine Für polarisiert sich in ein kosmetisches, symbolisches, das die Ursachen unangetastet lässt … [und] ein Für, das die Folgen in und vor ihrer Genese vermeiden will.
In leichtem Deutsch: Alle stimmen den beunruhigenden Erkenntnissen zu, doch die einen wollen nur Greenwashing, die anderen den System Change. Die Fronten sind verhärtet, und so wird vor allem geredet und das geht jetzt seit 30 Jahren so.
Selbst in den letzten 10 Jahren, wo die Sommer in Deutschland bereits an mittelitalienische Verhältnisse erinnern, tat sich wenig bis nichts, weder hier noch im Weltmaßstab: "Der Anteil fossiler Energieträger am Gesamtenergiemix ist heute [2020] genauso hoch wie vor einem Jahrzehnt (80,3 Prozent gegenüber 80,2 Prozent heute)."
Wären grüne Parteien überwiegend erfolgreich, dann könnte das so nicht sein. Wären Vorkämpfer überwiegend erfolgreich, weil sich die Menschen ihren Errungenschaften anschließen, dann könnte das so nicht sein. Wären die Argumente umweltbewegter Menschen überwiegend zielführend, dann könnte das so nicht sein. Wären die Menschen bereit, abstrakte zukünftige Entwicklungen in ihrem Handeln zumindest oft zu berücksichtigen, dann könnte das so nicht sein.
Deshalb sind andere Herangehensweisen notwendig. Welche tatsächlich funktionieren, lässt sich nicht sagen - doch wenn die Umweltbewegung so weitermacht, wie bisher, wird sie schon allein angesichts der wenigen Zeit, die noch zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels verbleibt, ganz sicher scheitern. Anbei sechs Vorschläge an die Umweltbewegten.
Die verflixte Kommunikation
Erstens: Alarmismus ist zu unterlassen. Ulrich Beck schreibt in dem eingangs genannten Buch aus dem Jahre 1991: Es "wachsen mit der Größe und der Nähe einer Gefahr die Widerstände gegen die Einsicht in die Gefahr. … Das Bombardement mit apokalyptischen Visionen wirkt deshalb leicht kontraproduktiv, bestärkt Ohnmacht und Fatalismus."3
Dieses Bombardement steigert sich zwischen 1991 und 2021 noch, bisheriger Höhepunkt: die Fridays-for-Future-Bewegung. Es war für uns alte Hasen eine der seltenen Sternstunden der Umweltbewegung, als sich 2019 vieltausendfache Sprechchöre von Schülern und Studenten erhoben und auch ich hatte die Hoffnung, dass wir einer ökologischen Wende entschieden näher kommen könnten.
Zwei Jahre und eine Pandemie später scheint mir, die Regierenden hätten die Fridays nicht nur umarmt, sondern zerdrückt. Lippenbekenntnisse für zu wenig ambitionierte Programme und Gesetze die ferne Zukunft betreffend nahmen enorm zu ebenso wie die Suche nach Ausflüchten, die Ablehnung "überstürzter" Maßnahmen, die Forderungen nach "Technologieoffenheit" als Feigenblatt für weiteres Zögern und vor allem: die Suche nach Belegen für "Überdramatisierung" oder "undemokratische Gebaren", oftmals von Leuten, die gern selbst autoritär auftreten.
Die brachiale Rhetorik scheint mir eher dazu geeignet, Gesellschaften noch weiter zu spalten und Ulrich Becks weiter oben genannter Zweiteilung in Sachen Umweltpolitik noch einen dritten Teil hinzuzufügen: Menschen, die noch immer "viel Grund zur Beruhigung" finden (wie Sebastian Haffner am Tag nach Hitlers Wahl zum Reichskanzler)4 und dabei ihren kritischen Geist dem Wunsch nach Fortsetzung ihres angenehmen Lebens opfern, indem sie jeden Post in sozialen Medien dankbar aufnehmen, der sie in ihrer Weltsicht bestärkt.
Noch hat die große Mehrheit der Bevölkerung das Vertrauen, dass Wissenschaftler mit bestem Wissen und Gewissen versuchen, ihre Klimamodelle und Vorhersagen zu verbessern. Ganz allgemein gilt jedoch: Je größer die Angst und die Verunsicherung der Menschen werden, ein als angenehm empfundenes Leben zu verlieren, desto leichter werden es Rattenfänger haben, Zweifel zu säen.
Wenn diese Angst weiter zunimmt, werden Rattenfänger die Forschung an sich angreifen, sie werden Nachhaltigkeitspolitik delegitimieren und den Geist der Aufklärung in seinen Grundfesten in Zweifel ziehen, indem sie irgendwelche positive Geschichten dagegen erzählen. Populisten haben es umso leichter, je mehr Angst Menschen davor haben, dass ihre Zukunft ungünstig verlaufen könnte.
Wenn von der Umweltbewegung seit über 40 Jahren abstrakte Gefahren drastisch dargestellt und manchmal überzeichnet werden müssen, um damit die Gemüter zu bewegen, dann hat das auf Dauer gestellte apokalyptische Gerede noch weitere Folgen: Man gewöhnt sich nicht nur an das Dauerinferno und lernt es zu ignorieren, sondern lebt mit der sich ständig wiederholenden Erfahrung, dass die Apokalypse eben doch nicht eintritt.
Das Leben geht weiter, für viele sogar ziemlich nett. Seit 30 Jahren ist es "5 vor 12", und in fünf Minuten gibt es ein bekömmliches Mittagessen, oder ein neuer Tag bricht an.
Zwar machen die Sorgen der Umweltbewegten logisch Sinn, doch wir lassen uns immer weniger von ihnen berühren, schließlich hatten wir das gestern schon und haben auch morgen noch was anderes zu tun.
Hinzu kommt: Auch die ständige Wiederholung dramatischer Bilder von Naturkatastrophen verstärkt Abstumpfungsprozesse, außerdem sind sie nah am letzten Hollywood-Blockbuster, und der war erfunden. Dabei geht es nicht darum, die Faktenlage herunterzuspielen, sondern die vergangenen Jahrzehnte sollten uns eine Lehre sein.
Diese Art der Aufmerksamkeitsgenerierung führt zu viel zu wenig. Wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen, muss eine andere Kommunikationskultur her, ein Vorschlag: Näher bei Steve de Shazer, einem Jazz-Musiker und Psychotherapeuten (1940-2005): "Reden über Probleme lässt die Probleme wachsen, reden über Lösungen, lässt die Lösungen wachsen."
Was als Fortschritt gelten soll
Zweitens: Ökologisches Handeln muss von der Mehrheit einer Gesellschaft als Verbesserung gegenüber dem Status quo, d.h. als Fortschritt wahrgenommen werden. Das ist eine Frage der Kommunikation und nicht der Inhalte. Die Reklameindustrie ist in der Lage, den Menschen Wasser aus Glas- oder Plastikflaschen, das mehr als hundertmal teurer als Leitungswasser ist und umständlich herumgekarrt werden muss, als eine "Modernisierung", eine Verbesserung ihrer Lebensumstände zu verkaufen.
Die Umweltbewegung schafft es dagegen nicht einmal, die Menschen von den Vorzügen von Innenstädten zu überzeugen, die mehr Grün, mehr Kinderspielflächen, mehr Außengastronomie und trotzdem mehr Ruhe, weil weniger Verkehr versprechen. Wie auch, wenn sie von "Autos raus aus der Stadt" spricht anstatt von "Kinder rein in die Stadt".
Ersteres stellt eine Verschlechterung für mehrere Bevölkerungsgruppen dar (z. B. ignoriert es das Umland), zweiteres überschreibt negative Bilder, die jeder von einer Stadt mit sich herumträgt, durch positive Bilder - nur das kann Aufbruchstimmung in der Breite erzeugen.
Nur bei einer konsequenten Veränderung ihrer Kommunikation hat die Umweltbewegung überhaupt eine Chance, Erwartungshaltungen und Hoffnungen auf ein besseres (und nebenbei auch zukunftsfähiges) Leben in der notwendigen Geschwindigkeit aufzubauen und so die Mehrheit der Bevölkerung für ein Umdenken zu begeistern.
Hiermit ergeht ein Maulkorberlass an alle Miesmacher und Weltuntergangspropheten: Euere Rhetorik hat versagt. Noch einmal sei wiederholt: Dabei geht es keinesfalls um Schönreden der Situation, sondern um das Herausstellen von Verbesserungen für die Menschen - also um Fortschritt.
Seit Jahrzehnten gibt es eine zunehmende Engführung dessen, was wir unter Fortschritt verstehen, gegenwärtig spricht man beinahe ausschließlich von "Innovationen". Das meint vor allem gewisse "Veränderungen" im Bestehenden. Darunter werden neue oder bessere Produkte oder technische Verfahren verstanden, die per se gut seien, sobald sie Umsätze und Gewinne generieren.
Die Umweltbewegung muss einen kritischen Diskurs über den begrenzten, aber quasireligiösen und selbstzweckhaften Charakter von Innovationen anstoßen (selbst wenn sie unter "Green Deal" firmieren). Sie muss die Nichtlinearität und Ambivalenz von Entwicklungen herausstellen und vor allem umweltdienliche Institutionen und Entwicklungen als Fortschritt bezeichnen.
Ein Beispiel: Arbeitszeitverkürzungen, die den Menschen mehr Ehrenamt und Bürgerbeteiligung in Kommunen nahelegen, auch monetär motiviert, sind aus meiner Sicht fortschrittlich. Und ist nicht auch eine dezentrale nicht-fossile Energieversorgung ein Fortschritt gegenüber einer zentralen, weil sie resilienter ist und Konzerne entmachten hilft?