Sechs Vorschläge an die Umweltbewegung

Seite 2: Miesepeter raus!

Drittens: Alle Proteste der Umweltbewegung sollen positive Events und keine Miesepeter-Veranstaltungen sein. Damit ist keinesfalls gemeint, die Ernsthaftigkeit der Anliegen auch nur zu relativieren. Doch außerparlamentarischer Protest hat nur Wirkung, wenn die Ziele der Protestierenden das Leben der Menschen berühren und konkrete Lösungen vorliegen.

Die vergangenen 40 Jahre haben gezeigt: Massenproteste entstehen, wenn Menschen der Überzeugung sind, dass Alternativen konkret verhandelbar und wünschenswert sind und durchsetzbar erscheinen. Sie protestierten massenhaft gegen Kernenergie, weil die Alternative im simplen Abschalten der Reaktoren gesehen wurde.

Beim Klimawandel, beim Artensterben und vielen anderen Umweltkrisen funktioniert das seit 40 Jahren nicht, weil die Alternativen nicht greifbar sind, also nicht genau bekannt ist, welche Lebensroutinen für die Zukunft wünschenswert sein sollen.

Damit ist nicht das Kleinteilige hier-ein-Windrad und dort-ein-Habitat gemeint, sondern zumindest Teile eines Denkgebäudes, das einen neuen ethischen Kompass enthält und worunter sich die vielen 1000 Teillösungen, die die Umweltbewegung natürlich längst anbietet, zusammenfasst.

Der Architekt und Philosoph Richard Buckminster Fuller meint:

Man ändert Dinge nie, indem man die Realität bekämpft. Um etwas zu verändern, mache ein neues Modell, das das existierende Modell überflüssig macht.

Es ist zu wenig, hier einen Bioladen aufzumachen und dort einen Wald zu besetzen. Was fehlt, und was nicht nur von der Umweltbewegung, sondern auch von allen, die jetzt juristisch unter dem Druck stehen, den Wandel zu einem fossilfreien Leben zu gestalten, vorgebracht werden muss, ist ein positives Leitbild, das ein anderes Gewohnheitshandeln zur Folge hat.

Zum Beispiel: Wenn Zukunftsprobleme nur gemeinsam zu lösen sind, ob auf internationaler Ebene, ob innerhalb einer Familie, dann ist für mich das allmächtige Konkurrenzprinzip ein ähnliches Fossil wie Öl oder Uran, das in seiner heutigen, raumgreifenden Form delegitimiert und zurückgedrängt werden muss. Was bringt uns ein ökonomisch effizientes Konkurrenzprinzip angesichts der existenziellen Krisen, in die es uns gebracht hat?

Wir leben jetzt in derjenigen Welt, die aus vergangenen, vorwiegend privaten Zukunftsinvestitionen hervorging, die sich im ökonomischen Konkurrenzkampf durchgesetzt haben. Ich bin überzeugt: Eine Zukunft werden wir nur haben, wenn sie nicht nach ökonomischen Effizienzkriterien kalkuliert, sondern gemeinschaftlich gestaltet wird. Dazu muss das Konkurrenzprinzip vom Sockel des unfehlbaren Zukunftsmachers herabgestoßen werden.

Es gilt außerdem, die Rhetorik des Protests vom "sollen" zum "wollen" zu verschieben. Ich empfinde es als entsetzlich, dass nicht einmal eingefleischte Umweltaktivisten konsequent argumentieren, dass ihnen ihre Lebensweise Spaß macht. Ist es so schwer zu kommunizieren, dass sich PV-Anlagen auf dem Dach nicht nur lohnen, sondern Energieerzeugung erfahrbar und so zu einer Wohltat für’s Gemüt machen?

Wer schon einmal mit einem Lasten-E-Bike herumgefahren ist, weiß, dass die wohldosierte Kraftverstärkung ein richtig gutes Gefühl hinterlässt. Und liebe Vegetarier oder Veganer, es wäre stark von euch, bei den nächsten Aktion Menschen nicht anzuklagen (ja, das spaltet!), sondern die Vorzüge und Schmackhaftigkeit abwechslungsreicher Kost darzustellen.

Nicht "Bockwurst tötet", sondern "Bockwurst ist bock langweilig" (naja...). Nur mit einer positiven Kommunikation wird es der Umweltbewegung gelingen, die große Mehrheit der Gesellschaft zu gewinnen und die Spaltung zwischen "Öko" und "Nicht-Öko" zu überwinden.

Der Wissenschaft fehlt die Beziehungsebene

Viertens: "Keine soziale Bewegung überzeugt ihre Anhänger und Gegner durch Belehrung oder wissenschaftliche Beweisführung" schreibt der Politaktivist Srđa Popović5, (der mit seinen kreativen Kampagnen dabei half, Serbien 2001 von dem "Totengräber Jugoslawiens" Slobodan Milošević zu befreien). Die Umweltbewegung macht aber fast nichts anderes.

Kurz vor Corona lauschte ich Hans-Joachim Schellnhuber, dem vielleicht berühmtesten Klimaforscher Deutschlands, bei seinem Vortrag mit dem Titel "Herausforderung Klimawandel: Brauchen wir eine neue Erzählung der Moderne?"

Doch Alles, was die versammelten 1.500 Gäste zu hören bekamen, waren Verfeinerungen längst bekannter Hiobsbotschaften. Neue Erzählung? Nein. Er belehrte uns, streng wissenschaftlich, dass es so nicht weiterginge und ließ das Auditorium damit allein.

Ich applaudierte nicht, denn für mich war unvorstellbar, dass die Veranstaltung irgend eine positive Veränderung, ob im privaten oder politischen Bereich, hervorbringen würde. Die Veranstaltung wurde konsumiert, der Zustand der Welt kurz betrauert, und weiter geht’s in den geplanten und gewohnten Routinen.

Will die Umweltbewegung tatsächlich Erfolg haben, muss sie erstens mit Bildungs- und zweitens mit Protestaktionen in der Mitte der Gesellschaft für eine andere Kultur des Miteinanders werben, und drittens sollte sie daran auch im privaten Leben denken.

a) Am einfachsten erkennt man gute Bildungsveranstaltung, wenn man sich überlegt, was bei der oben genannten Veranstaltung mit Hans-Joachim Schellnhuber nicht vermittelt wurde:

  • Mut und Aufbruchstimmung - Grundbedingung jeder nichterzwungenen Veränderung.
  • Handlungsleitende Geschichten - etwa Beispiele für gelungene Veränderungen.
  • Geschichten aus dem eigenen Leben, die Zuhörer an ihr eigenes Leben erinnern - um auf Augenhöhe zu kommunizieren und mögliche Veränderung in den Lebensroutinen erkennbar zu machen, die vielleicht mal auszuprobieren wären.
  • Politische Kontextualisierung der Informationen - Was nützt Faktenwissen über Umweltprobleme, wenn der Zuhörer keine Vorstellung davon hat, wie reale Veränderungen im politischen Prozess durchgesetzt werden können?

Bei diesem letzten Punkt könnte man anführen, dass in Bildungsinstitutionen eine "Neutralitätspflicht" herrscht. Dies ist falsch - es gibt ein "Gebot der Kontroversität", ein Gebot, nicht-eindeutige Sachverhalte auch kontrovers darzustellen. Daran sollten sich Bildungsreferenten (und Lehrer) orientieren: Menschen zu befähigen, in einem komplexen, mitunter widersprüchlichen Institutionengefüge naturwissenschaftlich belegte Sachverhalte in wirkmächtige Gesetze einfließen zu lassen.

b) Die Artikulation von Forderungen und die Produktion starker, medientauglicher Bilder bei Protestveranstaltungen sind stets nur eine Hälfte eines Events, die andere Hälfte ist mindestens genauso wichtig: die Herstellung von Gemeinschaft. Nach einer Demo oder sonstigen Aktion geht man nicht nach Hause, sondern in die Kneipe, zum Picknick, zurück ins Büro zum Schulterklopfen oder was auch immer.

Bei Aktionen treffen sich gleichgesinnte Menschen auch zur Selbstvergewisserung und um zu spüren, dass sie Viele und Teil einer Bewegung sind. Der Austausch mit Gleichgesinnten auf anderen als inhaltlichen oder organisatorischen Ebenen ebnet den kommenden Aktivitäten Tür und Tor, man wird mutiger, übersteht Enttäuschungen. Und es hilft einer Gruppe auch während langwieriger Mühen in der Ebene nicht auseinanderzubrechen, falls es Beziehungsgeflechte zwischen den Menschen gibt.

c) Jenseits politischer Aktionen sollen die Freundes- und sonstigen Kreise umweltbewegter Menschen jedoch möglichst inhomogen sein. Natürlich kommt man in einer Blase, in der alle ähnlich ticken wie man selbst, am einfachsten durch’s Leben. Wenn man allerdings schon beim Gespräch mit einem wenig einsichtigen Nachbarn an Rückzug denkt, dann wird das nichts mit dem Wachstum der Umweltbewegung und einer zukunftstauglichen Welt.

Anderen Menschen den eigenen Lebensweg anempfehlen funktioniert nicht. Jeder hat zahllose eigene Gewohnheiten, die man ohne Zwang nicht aufgibt. Ich verändere Lebensroutinen, wenn mir selbst bessere einfallen und mir der Sinn danach steht, sie auszuprobieren. Von Menschen, die ich kenne und die mir sympathisch sind, probiere ich gern etwas aus.

Und weil ich glaube, dass viele so ticken, geht es darum, dass alle umweltbewegten Menschen (das sind Millionen!) ihre Kontakte mit wenig umweltbewegten Menschen ausbauen. Wenn Millionen mit Millionen interagieren, können aus vielen winzigen Kontakten und Gesprächen große Veränderungen werden. Und eines ist sicher: In Beziehungen, egal wie lose oder eng, lernen immer beide Seiten. Wobei der Fokus auf den Lebensstil anderer Leute, der auch mich manchmal verzweifeln lässt, völlig falsch ist.

Raus aus den Parallelwelten!

Fünftens: Eine Überbetonung freiwilliger, individueller Verhaltensänderungen unterminiert das viel wichtigere Ziel der Umweltbewegung, mit breiter Akzeptanz politische Weichenstellungen durchzusetzen, um zukunftsfähiges Handeln allgemeinverbindlich festzuschreiben.

Seit über 40 Jahren organisieren umweltbewegte Menschen Strukturen, um ihr Leben ökologisch ausrichten zu können. Sie stellen Höfe auf Bio um, gründen Bioläden, Car-Sharing-Initiativen, Ökostrom-Labels und Reiseagenturen für sanften Tourismus. Auf der politischen Ebene wurde wesentlich weniger erreicht, trotz ökologischer Parteien und Politiker in Regierungsverantwortung nebst vieler Gesetze, die durchaus eine ökologische Handschrift tragen.

Nach über 40 Jahren politisch organisierter Umweltbewegung steigt die Zahl der Verbrennermotoren in Deutschland selbst 2020 an und beträgt der Anteil an Biolebensmitteln nur 5,5 Prozent am Gesamtumsatz, obwohl in deutschlandweiten Umfragen bis zu 30 Prozent der Bevölkerung einer ökologischen Partei ihre Stimme geben würden.

Ganz offensichtlich ist die Balance zwischen individuellem und politischen Engagement für ökologische Belange fehljustiert: Wenn Millionen Menschen ökologisch wählen, aber viel zu wenig geschieht, stimmt etwas nicht.

Könnte es sein, dass sich weite Teile der Umweltbewegung durch individuelle Handlungen lediglich Oasen der Glückseligkeit einrichten, um sich ein reines Gewissen zu machen (inklusive Kreuzchen bei Ökoparteien)?

Mit der Folge, die politische Dimension zur Lösung der vielen Krisen zu ignorieren, sich aber gleichzeitig darüber zu empören, wenn andere es ihnen in zumeist eng begrenzten Gebieten nicht gleichtun? Nach 30 Jahren viel zu geringer Erfolge der Umweltbewegung sollte allmählich akzeptiert werden, dass das eigene Umwelthandeln, das eigene vorbildhafte Verhalten nicht dazu führt, dass die anderen willig hinterherdackeln, wie die gebetsmühlenhaft wiederholten Sprüche à la "steter Tropfen höhlt den Stein" nahelegen wollen.

Wahrscheinlich sind manche umweltschonenden Handlungen sogar Kompensationshandlungen für umweltschädliche Handlungen, die genauso funktionieren wie CO2-Kompensationen für Flugreisen: Das "Ich" hat ein gutes Gewissen, und die gesellschaftlichen Entwicklungen brauchen nicht mehr zu kümmern.

Ein soziales Dilemma zeichnet sich dadurch aus, dass eine Handlung mir einen unmittelbaren Gewinn einbringt, die Schäden aber andere tragen, eventuell zu anderer Zeit an anderem Ort und/oder in "verdünnter" Form (fossil heizen jetzt, Klimawandel später...). Doch Dilemmasituationen lassen sich nicht lösen, indem umweltbewegte Menschen darauf bauen, dass das eigene vorbildliche Verhalten von anderen kopiert wird.

Die Atmosphäre ist ein Gemeingut, sie ähnelt einer Dorfwiese, die allen gehört und von allen Bauern beweidet werden darf. Wenn jeder Bauer die Wiese maximal nutzt, wird sie über Gebühr beweidet und verwandelt sich in einen Acker - außer die Bauern kommunizieren, setzen Regeln und Sanktionen durch. Dafür benötigt es kein Privateigentum, wie es bei der Atmosphäre oder den Weltmeeren weder möglich noch wünschenswert ist.

Die Dorfwiese wird nicht deshalb erhalten, weil ein Bauer seine Tiere nicht dorthin bringt, sondern ein Bauer sanktioniert wird, der sich nicht an gemeinsame Absprachen hält. Die Umweltbewegung appelliert viel zu stark an die einzelnen "Bauern", die "Wiese" zu schonen, während die anderen sich nicht darum scheren oder kein Problembewusstsein haben.

Will die Umweltbewegung in kurzer Zeit substanzielle Veränderungen erreichen, muss sie jene Lösungen favorisieren, die die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom nach der Erforschung von Gemeingütern wie Fischereigebieten oder Almwiesen vorschlägt: Kommunikation und Beteiligung, akzeptierte (gesetzliche) Regeln und abgestufte Sanktionen.6

Im Bereich der Atmosphäre wird durch Emissionszertifikate jenes, wenn auch viel zu zaghaft, gaaanz langsam eingeführt. Doch das Auseinanderfallen von Gewinnen und Schäden bleibt bestehen, wo immer Folgen externalisierbar sind, im privaten, im öffentlichen und vor allem im ökonomischen Bereich, unabhängig vom Charakter der Güter.

Wenn es Möglichkeiten gibt, unmittelbar die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und dabei Umweltschäden entstehen, ist die individuelle Verhaltensänderung keine Lösung, sondern Kommunikation sowie die Fähigkeit, gemeinsam Regeln zu setzen und durchzusetzen. Nur dann macht Vorreitertum Sinn, ist aber auch nicht unbedingt nötig, schon gar nicht über Jahrzehnte.

Ob tierische Produkte, Flugreisen oder Wärmedämmung - nach 30 Jahren vorbildhafter individueller Lebensgestaltung ohne angemessen sinkender CO2-Emissionen sollte doch auch dem motiviertesten Öko bewusst geworden sein, dass introvertierter Umweltschutz für die Katz' ist.

Der politische, umweltbewusste Mensch kommuniziert in der Öffentlichkeit und versucht Mehrheiten für allgemeingültige Regulierungen zu organisieren.