Sechs Vorschläge an die Umweltbewegung
Seite 3: Lebenszufriedenheit schlägt Bruttoinlandsprodukt
- Sechs Vorschläge an die Umweltbewegung
- Miesepeter raus!
- Lebenszufriedenheit schlägt Bruttoinlandsprodukt
- Auf einer Seite lesen
Sechstens: Die Klimabewegung muss als Maßstab für fortschrittliche Entwicklungen auf das Wohlbefinden der Menschen fokussieren. Dann wird das Kernproblem innerhalb unserer Industriegesellschaft offenkundig: Die Lebenszufriedenheit in Deutschland steigt trotz allem Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten nicht an.
Das wissen zwar viele, vor allem viele Psychologen, doch die Konsequenzen daraus werden nicht gezogen:
- Eine ständig wachsende Produktausstattung ist weder notwendig noch geeignet, die subjektive Lebenszufriedenheit der Menschen in Industriestaaten weiter zu erhöhen.
- Wenn Wirtschaftswachstum seit Jahrzehnten nicht mehr zur Steigerung der Lebenszufriedenheit beiträgt, sind unsere Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in weiten Teilen pure Verschwendung - Geldverschwendung, Ressourcenverschwendung und Zeitverschwendung für die dort Beschäftigten sowie für die Konsumenten der Produkte.
Große Teile der Unternehmerschaft sind lediglich dazu da, Menschen Produkte anzudrehen, die ihnen zunächst nicht gefehlt haben, die sie beim Gebrauch höchstens kurzfristig glücklicher machen und von denen sie hernach nicht mehr lassen können, wie Süchtige, weil alle sie gebrauchen oder der persönliche Status darüber definiert wird.
Viele Unternehmer wirken wie Entfacher kleiner Teufelskreise, in die sie Konsumenten einschließlich sich selbst treiben, und danach sitzen wir da und versuchen mit gigantischem Aufwand, z. B. Kindern die Zeit vor elektronischen Medien zu begrenzen, Hate-Speech und Fake-News in sozialen Medien zu bekämpfen oder Menschen bei Diskussionen dazu zu ermuntern, statt eines 2-Tonnen-Autos "nur" ein 1,5-Tonnen-Auto zu erwerben. Fortschritt und Lebensqualität stelle ich mir anders vor.
Steve Jobs wusste, wovon er spricht:
Es ist nicht die Aufgabe des Konsumenten, zu wissen, was er will.
Auch der Ökonom Joseph Schumpeter wusste, wie das Spiel läuft7:
So vollziehen sich Neuerungen in der Wirtschaft doch in der Regel nicht so, dass erst neue Bedürfnisse spontan bei den Kunden auftreten (...), sondern so, dass neue Bedürfnisse den Konsumenten von der Produktionsseite her anerzogen werden, so dass die Initiative bei der letzteren liegt (…).
Von Seiten der Unternehmer oder der Politik dann zu behaupten: "Sehr her, alle wollen es doch so!", ist definitiv Quatsch, nicht nur weil die milliardenschwere Reklameindustrie sonst nicht notwendig wäre.
Menschen wie Süchtige zu behandeln, die nur durch "immer Mehr" bei Laune zu halten sind, ist entwürdigend (sie werden von Unternehmern zu einem Zweck degradiert) und verweist auf den Zwang des Wirtschaftssystem, permanent "Innovationen" hervorbringen zu müssen. Denn aufgrund der im Konkurrenzkampf ständig steigenden ökonomischen Produktivität bleibt das Arbeitsvolumen in einer Volkswirtschaft nur gleich, wenn die Wirtschaft entsprechend wächst.8
Ohne Arbeitszeitverkürzungen gilt zwangsläufig: "Entweder ihr kauft mehr, oder die Arbeitslosigkeit geht durch die Decke!" Eigentlich gehört so ein Wirtschaftssystem komplett in die Tonne getreten, doch dazu fehlen gegenwärtig Zeit und die notwendigen Mehrheiten. Angesichts der multiplen Krisen ist deshalb kurzfristig auf drei Entwicklungen zu setzen:
Erstens die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in Bereichen, wo die Produktivität kaum ansteigt (vor allem im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen, aber auch z.B. bei Reparaturdienstleistungen, etc..) und so Wachstumsdruck aus dem System genommen wird; außerdem fehlen in Pflegeberufen schon heute Zehntausende Jobs.
Zweitens Lohnarbeitszeitverkürzung, wobei die frei werdende Zeit nicht zu Freizeit wird, sondern in regionalzentriertes, soziales, ökologisches und politisches Engagement führen muss. Dies ist staatlicherseits so zu fördern, dass dadurch die Lebenshaltungskosten der Engagierten sinken und damit auch der Zwang zu Lohnarbeit.9
Und drittens muss die Gesellschaft wesentlich gleicher werden, damit so ein Umsteuern in der Breite überhaupt möglich und akzeptabel ist. Das wird nicht ohne ambitionierte Vermögens- und Erbschaftssteuern sowie Spitzensteuersatzerhöhungen gehen. Achja: Engagierte Menschen weisen im Durchschnitt eine höhere Lebenszufriedenheit auf als nicht engagierte.
Wenn die Menschheit ihren Energie-, Material-, Flächen-, und sonstigen Verbrauch in etwa zehnteln muss, funktioniert das bestimmt nicht im Angesicht eines Wirtschaftssystems, dessen Produktpalette positiv erfahren wird. Deshalb muss die Umweltbewegung wirtschaftskritische Argumentationsfiguren wesentlich häufiger nutzen als bisher.
Ob sie ähnlich der hier vorgebrachten sein werden, sei dahingestellt. Aber die Kritik wird kommen müssen: Die Hoffnung, mittels eines "Green Deal" oder ähnlich getauftem technologiezentriertem Entwicklungsansatz ein "Weiter-So" hinzubekommen, haben wir seit 30 Jahren.
Damals hofften wir auf das Ende des Energiemangels mittels Kernfusion (JET 1991) und das Ende aller Probleme dank des Computers und des gerade geborenen WWW. Doch wir warten noch heute auf das Ende des Müllproblems (Grüner Punkt: 1991) und ein Ende der Schadstoffe (Katalysatorpflicht 1993), etc...
Ist eine Zeitspanne von 30 Jahren denn zu kurz, um zu erkennen, dass ein Kulturwandel etwas anderes ist als eine neue Produktpalette? Eine zukunftsfähige Kultur kann keine des ständig getriebenen Konsumenten mehr sein, denn die gegenwärtige scheitert seit mindestens 30 Jahren fulminant daran, zukunftsfähig zu werden.
Ich bin überzeugt: Die Umweltbewegung wird ohne eindringliche Kritik am privaten Unternehmertum und dessen Überredungskunst sowie der Forderung nach einer Priorität des Öffentlichen und des Gemeinwohls - scheitern!
Eine persönliche Nachrede
Es liegt mir fern, irgendjemanden dazu zu verleiten, sich in seinem Konsumverhalten weniger für einen nachhaltigen Planeten zu engagieren. Mir geht es darum, aus der Vergangenheit zu lernen, um die Zukunft zu gewinnen. Dazu sollte mir mein privates Konsumgewissen unwichtiger werden.
Ich gehe natürlich in Bioläden und versuche, dem Planeten so wenig wie möglich zu schaden, allerdings weder verbissen noch puritanisch, sondern ganz einfach, weil ich auch morgen noch aufrecht in den Spiegel schauen will. Ich bin mir bewusst, dass mein persönlicher Konsum keine (!) Rolle spielt, so lange er sich innerhalb meiner vier Wände abspielt.
So lange es viel weniger Menschen gibt, die sich politisch engagieren, als solche, die ökologische Parteien wählen oder in Bioläden gehen, geht nichts wirklich vorwärts. Alle wesentlichen Veränderungen in unseren Gesellschaften mussten und müssen politisch erkämpft werden, weil die Profiteure überkommener Regeln nicht freiwillig gehen: Die Abschaffung der Sklaverei, Frauenwahlrecht, Arbeitszeitverkürzung, Atomausstieg, etc., das alles hatte auch Verlierer zur Folge.
Auch die allermeisten Umweltgesetze müssen gegen Lobbygruppen durchgesetzt werden, was tausendmal leichter ginge, wenn ein relevanter Anteil der ökologisch orientierten Menschen auch politisch aktiv wäre. Und es funktioniert überhaupt nicht, wenn man die politische Auseinandersetzung von vornherein verweigert.
Die sozialen Medien spielen dabei für mich nur eine untergeordnete Rolle. Warum, das bringt Jonathan Pie alias Tom Walker in seiner zeitlosen Wutrede nach der Wahl Donald Trumps 2016 auf den Punkt:
It's time to stop thinking that reposting an article on your facebook feed is political engagement
Politisches Engagement findet für mich vor allem in der dreidimensionalen Welt statt, und am liebsten dort, wo ich nette Menschen treffen und kennenlernen kann. Wenn engagierte Menschen eine höhere Lebenszufriedenheit haben als die Bevölkerung im Durchschnitt, dann liegt das vielleicht genau an den anderen, von denen ich weiß, dass sie gut finden, was wir gemeinsam tun.
Vielleicht setzt die nächste politische Aktion sogar mehr und länger anhaltend Glückshormone frei als die nächste Shopping-Tour, selbst wenn sie bei Manufaktum, GEA oder im VAUDE Store stattfindet. Und wer dort noch nie war: Macht gar nix. Es gibt wichtigeres: Sich einmischen.