Securitate 2.0?

Seite 2: Ein Securitate-Netzwerk unter Richtern und Staatsanwälten existiert bis heute

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Wie reagieren die Richter in Rumänien auf diese Enthüllungen?

Dana Girbovan: Aufgrund dieser Aussagen und der totalitären Geschichte Rumäniens forderte die UNJR die verantwortlichen Stellen in Rumänien auf, das Ausmaß der Einflussnahme des SRI auf die Justiz auf transparente Art und Weise zu klären. Die Regierung weigert sich aber seit einem Jahr die entsprechenden Entscheidungen des CSAT zu veröffentlichen, da es sich um "Staatsgeheimnisse" handele. Indem sich die Regierung weigerte, diese Entscheidungen zu veröffentlichen, hat sie Rumänien von einem Rechtsstaat in einen Staat transformiert, der mittels geheimer Beschlüsse der Administration regiert und von Geheimdiensten kontrolliert wird.

Parallel dazu forderte die UNJR zusammen mit hunderten Richtern in einer Petition den Hohen Rat der Magistratur (CSM) dazu auf, die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen und öffentlich zu klären, was es damit auf sich hat, dass die Justiz laut General Dumbrava "ein taktisches Feld" des SRI ist. Der Hohe Rat der Magistratur hat die verfassungsrechtliche Aufgabe, die Unabhängigkeit der Justiz zu garantieren. Daher wäre es für den CSM dringend geboten gewesen, den Einfluss des SRI zu klären, um der Öffentlichkeit versichern zu können, dass die Justiz weiterhin unabhängig ist. Leider hat der CSM genau dies nicht gemacht.

Aufgrund einer als geheim eingestuften Antwort des SRI entschied der CSM, die Unabhängigkeit der Justiz sei nicht durch den SRI gefährdet. Solange aber der CSM diese Antwort geheim hält, werden die rumänischen Bürger berechtigterweise Zweifel an Gerichten und Richtern haben.

In der Zwischenzeit berichten die Medien von Richtern und Staatsanwälten in Schlüsselpositionen, die Doktortitel an der SRI-Akademie erhalten hatten. Diese Akademie gehört nicht nur zum Zuständigkeitsbereich des SRI, das ist die Schule in der künftige SRI-Offiziere und Spione ausgebildet werden.

Mit finanzieller Unterstützung der EU initiierte diese Akademie im Sommer 2015 ein Trainingsprogramm, für das sie gezielt 1000 Richter und Staatsanwälte auswählte, von denen 500 in Führungspositionen bei Gericht und Staatsanwaltschaft zu sein hatten. Die Teilnehmer mussten persönliche Informationen preisgeben und wurden am Ende von Geheimdienstmitarbeitern beurteilt.

In Rumänien gibt es insgesamt 4700 Richter in den Bereichen Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht, sowie 2800 Staatsanwälte. Wenn 1000 Richter und Staatsanwälte vom Geheimdienst ausgebildet wurden, hätte das einen enormen Einfluss auf die Justiz. Um das Ausmaß beurteilen zu können, hat die UNJR die SRI-Akademie aufgrund des rumänischen Informationsfreiheitsgesetzes um die Namen aller Teilnehmer gebeten. Das Auskunftsbegehren wurde abgelehnt, weshalb die UNJR diesbezüglich eine Klage einreichte, die derzeit noch anhängig ist.

Selbstverständlich stellen korrupte Staatsanwälte und Richter auch ein Risiko für das Vertrauen in die Justiz dar. Aber die Justiz verfügt über die nötigen Mittel und Verfahren, um solche Magistrate zu identifizieren, deren Vergehen zu untersuchen und vor Gericht zu stellen, ganz ohne Geheimdienst, der keiner öffentlichen Kontrolle unterliegt.

Richter und Staatsanwälte sind gezwungen, ihr Einkommen zu veröffentlichen, sowie Verbindungen zu Verwandten, die ebenfalls in der Justiz tätig sind, um Interessenkonflikten vorzubeugen. Diese Angaben müssen jährlich aktualisiert werden und sind auf der Homepage des Hohen Rates der Magistratur öffentlich einsehbar. Transparenz und Rechenschaftspflicht sind die besten Maßnahmen um Korruption in der Justiz vorzubeugen, und an beidem fehlt es völlig bei Geheimdiensten.

Um EU- und NATO-Mitglied werden zu können, musste Rumänien doch eigentlich seine Geheimdienste reformieren. Gibt es Hinweise darauf, dass der SRI nicht nur versucht, die Justiz zu beeinflussen, sondern direkt Agenten in die Gerichte eingeschleust hat, wie es während des Ceausescu-Regime üblich war?

Dana Girbovan: Die Securitate hatte tatsächlich Geheimagenten, Informanten und sonstige Mitarbeiter unter Staatsanwälten und Richtern. Nach dem Kollaps des Kommunismus gab es leider kein Lustrationsgesetz wie in vielen anderen ehemaligen kommunistischen Staaten. Daher existiert ein Securitate-Netzwerk unter Richtern und Staatsanwälten bis heute. Der ehemalige Justizminister Rodica Stanoiu war zum Beispiel ein Mitarbeiter der Securitate, was sogar gerichtlich festgestellt wurde.

1997 gab es die ersten Anzeichen, dass Agenten direkt involviert waren, als der damalige Justizminister Valeriu Stoica einen Geheimdienst gründete, der unter seiner Aufsicht Informationen über Korruption in der Justiz sammeln sollte. Der ursprüngliche Zweck war zwar sinnvoll aber dieser Geheimdienst degenerierte schnell. Monica Macovei, eine andere ehemalige Justizministerin, löste diesen Geheimdienst auf, da er nicht nur Informationen sammelte, sondern auch Richter und Staatsanwälte erpresste.

Seit dem Jahr 2004 ist es Richtern und Staatsanwälten gesetzlich verboten, Geheimagent oder in sonstiger Weise Mitarbeiter in jeder Art von Geheimdienst zu sein. Seither müssen Richter, Staatsanwälte und anderes Justizpersonal jährlich unter Strafandrohung eine Erklärung abgeben, dass sie weiterhin nicht für Geheimdienste tätig sind. Diese Erklärungen müssen vom CSAT bestätigt werden.

Als der ehemalige rumänische Präsident Traian Basescu (2004-2014) nach seiner zweiten Amtszeit 2015 berichtete, dass Geheimagenten in der Justiz tätig sind, beantragten wir die Bestätigung besagter Erklärungen durch CSAT. Nach langem Druck bestätigte CSAT Anfang 2016 diese Erklärungen öffentlich. Akteneinsicht wurde den Richtern jedoch verwehrt, weshalb unbekannt ist, auf welche Weise CSAT die Bestätigung der Erklärungen vorgenommen und seine offizielle Entscheidung gefällt hat.

Die UNJR hat daraufhin Klage auf Akteneinsicht erhoben. Am Tag nach der Pressemitteilung verschärfte der Chef des Präsidialamtes die Situation, indem er erklärte, CSAT sei nicht in der Lage zu überprüfen, ob Geheimagenten in der Justiz tätig seien. Sebastian Ghita, ein Mitglied des parlamentarischen Geheimdienstausschusses erklärte zudem, dass "rumänische Geheimdienste Informanten und Agenten in Politik und Justiz haben müssten".

Niemand kann einer Demokratie und Justiz vertrauen, die von Geheimagenten unterwandert ist. Eine derart unterminierte Justiz gefährdet auch die gerichtliche Kontrolle über die Geheimdienste, die einen wichtigen Schutz von Demokratie und Menschenrechten darstellt. In einer Demokratie haben die Gerichte die Aufgabe die Geheimdienste zu überwachen und nicht umgekehrt. Im Fall Klass v. Federal Republic of Germany, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) klar eine gerichtliche Kontrolle bevorzugt und festgestellt, dass "Rechtsstaatlichkeit unter anderem beinhaltet, dass die Beeinträchtigung von Rechten einer Person durch die Exekutive einer effektiven Kontrolle unterliegen soll, die normalerweise von der Justiz zu gewährleisten ist und zwar spätestens in letzter Instanz, da eine gerichtliche Kontrolle die beste Garantie für Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und ein ordentliches Verfahren darstellt".

Auch die Rechtsanwälte sind offenbar von Geheimagenten unterwandert. Der rumänische Senat verabschiedete kürzlich einige Änderungen des Rechtsanwaltsgesetzes, die ihnen eine Tätigkeit als Geheimagenten, Informanten oder Mitarbeiter von Geheimdiensten untersagte. Eine der Änderungen erforderte, dass Anwälte jede Art von Verhältnis mit der Securitate offenlegen müssen. All diese Änderungen wurden vom Rechtsausschuss der Abgeordnetenkammer eliminiert, was darauf schließen lässt, dass es Geheimdienstmitarbeiter sogar unter Anwälten und Politikern gibt. Nach öffentlichem Druck wurden die Änderungen wieder in das Gesetz aufgenommen.

Der Kommunismus brach in Rumänien vor 26 Jahren zusammen, also vor nur einer Generation. Die Mentalität der staatlichen Einrichtungen und der Mehrheit der Bürger hat sich nicht über Nacht geändert, nur weil der Diktatur eine neue Art Regierung folgte. Ein Mentalitätswechsel erfordert Zeit, Transparenz und Kontrolle, besonders nach einem repressiven Regime. Rumänien hatte ein besonders brutales kommunistisches Regime, das durch die Securitate aufrechterhalten wurde.

Eigentlich hätte sich eine effektive und starke demokratische Kontrolle über die Geheimdienste herausbilden sollen, um den Horror der Vergangenheit zu bannen, quasi als Antikörper der Zivilgesellschaft. Aber das ist in Rumänien nicht passiert, zivile Kontrolle war einfach kein Thema des politischen Diskurses. Ein starker Geheimdienst mit weitreichendem Einfluss in allen staatlichen Einrichtungen, sogar in der Justiz, wurde als natürlich, akzeptabel und sogar als notwendiger Arm der Regierung erachtet.

Der Kampf gegen die Korruption in den letzten Jahren war ganz klar nötig und wurde massiv vom Westen unterstützt. Die Korruptionsbekämpfung war aber gleichzeitig die ideale Tarnung für den SRI, um allmählich seinen Einfluss in der Justiz wieder auszuweiten, bis er heute im Jahr 2016 wieder über einen Teil der Macht verfügt, den auch schon die Securitate hatte.

Es ist unsere Pflicht, die Öffentlichkeit über die abnormale Situation in Rumänien aufzuklären und den Geheimdienst aus der Justiz zu verdrängen, denn nur so ist die Unabhängigkeit der Justiz aufrecht zu erhalten und können künftigen Menschenrechtsverletzungen vorgebeugt werden.

Können Sie bitte erklären, was es bedeutet, wenn der SRI wieder einen Teil des Einflusses hat, über den bereits die Securitate verfügte?

Dana Girbovan: Nach öffentlichem Druck durch den SRI erließ Ministerpräsident Dacian Ciolos im Frühjahr 2016 eine Notverordnung, die den SRI zu einem "Spezialorgan zur Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen" in bestimmten Fällen machte. Mit der prinzipiellen Ermächtigung strafrechtlich zu ermitteln hat die derzeitige rumänische Regierung dem SRI eine Befugnis erteilt, die schon die Securitate hatte. Genau das war aber den Geheimdiensten nach dem Kommunismus verboten worden, auch wenn sie sich all die Jahre zuvor darüber hinwegsetzten.

Beim SRI handelt es sich übrigens um eine Art militärischen Geheimdienst, das heißt, er funktioniert wie eine Einheit der Armee. Es gibt zwar einen zivilen Direktor, der politisch ernannt wird, aber die Operationen werden von einem General angeordnet und organisiert. Der SRI wird von der Legislative kontrolliert und von der Exekutive koordiniert. Die Justiz ist jedoch als Judikative eine eigenständige Gewalt im Staat mit unabhängigen Staatsanwälten und Richtern. Die Rechtsprechung muss sich an das Gesetz halten, öffentlich und jedermann zugänglich sein. Eine Einwirkung durch den SRI stellt daher eine Verletzung der Gewaltenteilung dar, da die Legislative und Exekutive die Judikative beeinflussen.

Hat der SRI bereits versucht, Sie persönlich zu beeinflussen und welche Erfahrungen haben andere Richter bislang gemacht?

Dana Girbovan: Der SRI braucht einem Richter nicht persönlich zu sagen, welches Urteil von ihm erwartet wird, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Eine Möglichkeit, das Gerichtsverfahren zu beeinflussen, ist die Manipulation oder Unterdrückung von Beweismitteln.

Bislang war der SRI das einzige Staatsorgan, das Telefongespräche abhören konnte. Alle Server werden von einer militärischen SRI Einheit geschützt, selbstverständlich sind diese als Staatsgeheimnis deklariert und Zivilisten haben keinen Zutritt. Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssen sich auf Abschriften oder Kopien der Aufnahmen verlassen, die vom SRI zur Verfügung gestellt werden. In einigen Fällen konnten unabhängige Experten nachweisen, dass die Aufnahmen des SRI manipuliert worden waren. Teile waren gelöscht oder Segmente unterschiedlicher Gespräche so zusammengeschnitten worden, dass sie den Angeklagten belasteten. In anderen Fällen entsprachen die Abschriften nicht den Aufnahmen, da bestimmte Wörter geändert worden waren.

Kürzlich verlangte ein Richter vom Staatsanwalt, die CD mit der Aufnahme vorzuspielen, um die Richtigkeit der Abschrift zu überprüfen. Der Richter war ausgesprochen überrascht, als sich herausstellte, dass die CD Volksmusik statt des erwarteten Gesprächs enthielt.

Rumänische Staatsanwälte sind gesetzlich verpflichtet, Beweise für Anklage und Verteidigung gleichermaßen zu sammeln, da das Ermittlungsverfahren der Wahrheitsfindung dienen soll. Aber nur unabhängige Staatsanwälte können diesem Ziel dienen. Ein Geheimagent unter militärischem Befehl erfüllt diese Grundvoraussetzungen natürlich nicht. Man kann schlecht von Chancengleichheit und fairen Verfahren sprechen, wenn der SRI die vollständige Kontrolle über die Server und die aufgenommenen Gespräche hat und wenn er entlastende Beweise manipulieren oder unterdrücken kann.

Geheimdienstinformationen zusammentragen, ist übrigens etwas komplett anderes, als Beweismittel für einen Strafprozess zu sammeln. Ersteres findet im Geheimen statt, manchmal in den Grauzonen der Legalität, während Beweismittel für das Gericht strafrechtlichen Qualitätsanforderungen entsprechen müssen, um vor Gericht verwertbar zu sein. Gerechtigkeit entsteht, indem man sich an Gesetze hält, nicht an geheime Befehle.