Seelenverkauf auf Saadiyat Island?

Saadiyat Bridge Bild: Nepenthes. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Abu Dhabi zahlt bekannten westlichen Kulturmarken und Universitäten sehr viel Geld. Kauft es damit auch wohlgefälliges Schweigen?

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"Hiersein und Leuchten" laute die Spielregel für den Aufenthalt, schreibt1 der deutsche Gegenwartsphilosoph Sloterdijk über ein Treffen von Kulturgrößen in Abu Dhabi. Das Emirat will zum kulturellen Zentrum der arabischen Welt werden, gleichrangig mit westlichen Metropolen. Es investiert Milliardenbeträge, um große Namen und Marken anzuziehen. 27 Milliarden Dollar soll die Erschließung der Insel Saadiyat kosten2. Ein gigantisches Projekt, zum dem man den Pariser Louvre, Guggenheim, die New Yorker Universität (NYU) und weltbekannte Architekten, Frank Gehry, Norman Foster, Zaha Hadid, eingeladen hat. Sagenhaft reiche Mäzene und Künstler, die beinahe wie im Mittelalter Diener der Reichen sind, "wenn auch stolze", wie Sloterdijk notiert. Doch wie stolz sind die Künstler, aber auch die mit reichen Mitteln unterstützten Institutionen, die Intellektuellen von der New Yorker Universität, wenn es um Menschenrechte in den Emiraten geht?

Viel zu wenig stolz, wirft ihnen die amerikanische Autorin Nina Burleigh vor. Der Louvre, Guggenheim und die NYU würden Millionen von Abu Dhabi akzeptieren, aber angesichts der Menschenrechtssituation in Schweigen verharren, kritisiert sie schon in der Überschrift ihres Artikels unmissverständlich.

Aktueller Auslöser ihrer Empörung ist der neue Weltjahresbericht von Human Rights Watch und das Schweigen, womit die Kreise, die Burleigh im Auge hat, darauf reagiert haben. Schon im ersten Satz (S. 623 im PDF) im Abschnitt zu den Vereinten Emiraten, zu denen der Stadtstaat Abu Dhabi gehört, wird die Behauptung aufgestellt, die Burleigh hervorhebt:

Die Menschenrechtssituation in den Vereinten Emiraten verschlechterte sich 2012.

Das, so läßt der Artikel verstehen, konterkariert das Hiersein und Leuchten der westlichen Kulturrepräsentanten. Wie können Vertreter der New York University Abu Dhabi (NYUAD) jeden Monat in erster Klasse von New York ins Emirat fliegen, samt Familie, mit der Aussicht auf Boni, die manchmal zwei Drittel des Jahresgehalts ausmachen, um dort einer Lehrtätigkeit nachzugehen und sich dabei völlig blind gegenüber dem zeigen, was sich am Boden abspielt?

Was der HRW-Bericht zu den Bodenverhältnissen in den Emiraten sagt, ist bekanntes Elend. Meinungsfreiheit? Mit Kritikern aus der Zivilgesellschaft wird grob verfahren, sie werden schikaniert, festgenommen, entfernt, gefoltert. Der amtliche Vorwurf der Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen lässt vieles zu. Die eingewanderten Arbeiter, 88,5 Prozent (!) der Bewohner, werden schlecht bezahlt und haben keine Rechte, die der Rede wert wären. Sie sind den Arbeitgebern, die meist die Ausweispapiere haben, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Unterbezahlung, Gewalt und Missbrauch sind häufige Folgen. Die Selbstmordrate ist hoch.

Frauenrechte gibt es nicht. Die Ausgelegung der Scharia bestimmt die Rechtssprechung, die Männer in vielen Fragen bevorzugt. Männer dürfen Frauen und Kinder körperlich züchtigen, sie erben mehr und sie dürfen Nicht-Muslima heiraten, Frauen dürfen nur Muslime zum Ehemann haben.

Und die, die auf die Wohltaten der Insel des Glücks, Saadiyat, bauen, stehen dem gleichgültig, ignorant und duckmäuserisch gegenüber?

Vorsicht und viel Geld

Dass sie gut bezahlt werden, daran gibt es keinen Zweifel. Nach Recherchen des FAZ-Korrespondenten Rainer Herrmann3 zahlt Abu Dhabi allein 400 Millionen Dollar, um für dreißg Jahre die Namensrechte am Louvre im Nahen Osten zu haben. Darüberhinaus gab es noch einige Millionen extra, damit ein Museumsflügel in Paris nach Scheich Zayed benannt wird. Der Bau des Louvre-Museums auf Saadiyat soll weitere 500 Millionen kosten.

Guggenheim soll 800 Millionen für sein Museum auf Saadiyat bekommen, so Nina Burleigh. Wie viel die New York University in Abu Dhabi (NYUAD) bekommt, wollte der Sprecher gegenüber der Autorin nicht verraten. Burleigh schließt aus dem Vergleich mit den anderen üppigen Zahlungen und den Berichten von Mitarbeitern über die genannten Flüge und Boni darauf, dass es einen guten Preis für das Schweigen gibt.

Vertreter der Universität und Kommentare unter dem Artikel widersprechen allerdings dem Vorwurf Burleighs, zumindest dessen Rigidität. Man äußere sich schon, allerdings vorsichtig, lassen diese erkennen. Der NYUAD-Sprecher Josh Taylor verweist auf eine Feminismus-Aktion mit Plakaten, die doch sichtbar sei. Studenten und Lehrpersonal seien sehr darin engagiert, Themen, die mit Menschenrechten in Zusammenhang stehen, mit Frauenrechten in den Golfstaaten, mit dem Status der Fremdarbeiter, voranzutreiben und zu verbreiten, ist im Forum zum Artikel zu lesen.

...dann verkaufen sie ihre Seelen und letztlich auch unsere

Konkrete Zitate, die von einer Angst oder Scheu zeugen, den Mund gegenüber den Herrschern in Abu Dhabi diskret verschlossen zu halten, sind in Burleighs Artikel nicht zu finden. Auch das scheut man. Anhaltspunkte für eine eher dienerische Einstellung gegenüber den reichen Mäzenen findet Burleigh im akademischen Klima und in einer Opposition zu John Sexton, der als NYU-Präsident den Deal eingefädelt hat. Für sie ist es wesentlich, dass Kulturträger sich von Shell, BP oder anderen Geschäftsunternehmen unterscheiden müssen und auch laut Kritik üben:

Wenn unsere Hochburgen der Toleranz und des freien und öffentlichen Diskurses nicht Standards einhalten, die für unsere Gesellschaft und deren Unternehmungen wichtig sind, dann verkaufen sie ihre Seelen und letztlich auch unsere.

Andere, wie der deutsche Michael Schindhelm, der einige Jahre in Dubai an einem Kulturprojekt beteiligt war, halten dem kleiner Schritte entgegen. Die Verhältnisse seien nicht für alle Zeiten festgelegt, schreibt er in seinem Buch Dubai Speed 4. Man solle sich nicht raushalten und doch den Versuch machen, mit Projekten der Kunst andere Wertmaßstäbe und Lebensmodelle vorzustellen. Kritik also über Kulturaustausch, der leisere Weg?

Schindhelm sind allerdings, bei allem "Respekt gegenüber der Kühnheit, eine weltoffene islamische Gesellschaft aufzubauen", die in solchen Golf-Projekten gefördert werden soll, die Illusionen verloren gegangen, wie er in einem Interview Ende 2009 erkennen lässt:

Es ging meist überhaupt nur um Geld. Dubai als eine Geldmaschine für jedermann, quer durch alle Bevölkerungsschichten, von westlichen Finanzmanagern bis zu den massiv ausgebeuteten Arbeitern auf den Baustellen. Ich musste sehr bald sehen, dass nur die einflussreichsten Geschäftsleute den direkten Zugang zur Macht hatten. Das Start-up-Unternehmen Dubai entwickelte sich zu einer Immobilien-Investment-Maschine. Kultur war dabei ein bloßes Marketinginstrument zur besseren Verwertung.