"Sehr geehrte Damen und vereinzelte Herren"

SchriftWechsel - zum 5. Autorinnenforum Berlin

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"Deutschland sucht den Superautor." Könnte man sich diese Fernsehsendung vorstellen? Eher nicht. Und telegen sind die meisten Schriftsteller ohnehin nicht. Und was wäre mit "D. sucht die Superautorin?" Würde es dabei noch um Dichtung gehen? Oder würde hier gleich unumwunden nach dem Superweib gefahndet? Keine Ahnung. Es gibt diese Sendungen nicht. Und erstaunlich genug: Obwohl es sie nicht gibt, sind Schriftstellerinnen in der literarischen Öffentlichkeit noch nie so präsent gewesen wie heute. Sollten Frauen in diesem neuen Jahrtausend etwa endlich die ihnen gebührende Macht auf dem Literaturmarkt erobert haben?

"SchriftWechsel", heißt das Motto des diesjährigen Autorinnenforums. Deutschsprachige Schriftstellerinnen organisieren dieses Treffen für ihresgleichen. Austausch, Vernetzung, Diskussion. Auf der Straßenbahnfahrt zur Kulturbrauerei in Berlin - hier findet die Auftaktveranstaltung statt - lese ich die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. Was sind die häufigsten Schönheitsoperationen? In der Schweiz lassen sich Frauen Apfelwangen aufspritzen, in Frankreich korrigieren sie ihre Nasen, in Deutschland wird Frauen das Fett aus den Schenkeln gesogen. Und bei Männern? Welche Problemzone sitzt bei ihnen in der ersten Reihe? Darauf gibt der Text keine Antwort. Schade eigentlich. Doch wundern tuts mich auch nicht. Immerhin stammen auch in dieser Ausgabe der SZ wieder weit über 90 Prozent der Texte von Männern. Auf zum Autorinnenforum also. "SchriftWechsel".

Fräuleinwunder und junge Autorinnen

"Sehr geehrte Damen und vereinzelte Herren", lautet die Begrüßung. Das Kesselhaus der Kulturbrauerei ist in Rotlicht getaucht. Etliche Stühle bleiben unbesetzt. Fingerfood und Getränke werden von Männern gereicht.

Fräuleinwunder hieß es, als in den 90ern ein Boom auf die deutsche Literatur einsetzte. Die Zeitschrift Emma geißelte diese Verniedlichung schon 1999. Zu recht. Viele der sogenannten Fräuleins waren schon damals gestandene Mütter. Und Wunder? Warum sollte es ein Wunder sein, wenn Frauen Bücher schreiben und damit erfolgreich sind? "Was ist gefährlicher", fragte die Emma-Autorin damals, "die frühere Unterdrückung des Subjekts oder die heutige Vermarktung als Objekt?"

Gilt diese Frage noch im Jahre 2004? Literaturagentin Petra Eggers meint, Qualität entscheide. Aussehen und Alter der Autorin spielten keine besondere Rolle. Also haben auch ältere Autorinnen eine Chance auf dem Markt. dtv-Lektorin Christiane Schmidt sagt dazu: "Auch wenn eine dreißig ist und noch nie etwas geschrieben hat, hat sie noch eine gewisse Chance". "Autorin" und "jung", diese beiden Wörter sind offenbar doch eine feste Verbindung eingegangen. Wie ehedem "gute Fee" heißt es heute "junge Autorin". Ein Automatismus?

Ganz so einfach ist es wohl nicht. Immerhin erhalten Schriftstellerinnen inzwischen renommierte Preise: Friederike Mayröcker ist Büchner-, Emine Sevgi Özdamar Kleistpreis-Trägerin. "Ob blond, ob braun, die Besten sind die Fraun ", titelte jüngst sogar die ZEIT. Das Aussehen schwingt mit. Auch wenn es sich um positive Diskriminierung handelt. Die 1974 geborene Autorin Antje Rávic Strubel rät, sich eine öffentliche Privatheit zuzulegen. Sie selbst habe sich aus diesem Grund den rätselhaften Zwischennamen Rávic gegeben. "Seitdem fragen erst einmal alle, was es damit auf sich hat."

"Hier beginnt die Zukunft, hier steigen wir aus"

Das Geschlecht der Gedanken. Mit diesem Buch hat Jutta Heinrich 1977 debütiert. Heute sitzt sie auf dem Podium und beklagt sich über "die gewaltsame Zuordnung zum Feminismus". Ein Nicht-Ort. "Es wird doch nicht feministisch?", wird sie von ängstlichen Redakteurinnen gefragt, bevor sie im Radio oder Fernsehen auftritt. In letzter Zeit befasse sich Jutta Heinrich mit dem Thema Alter, erklärt Claudia Kramatschek, die Moderatorin der Auftaktveranstaltung. Jutta Hermann protestiert: "Nicht Altern war das Thema, sondern Wechseljahre. Das ist nicht das Gleiche." Das Publikum applaudiert. "Sie sehen, wir haben es bei Jutta Heinrich mit einer Autorin zu tun, deren Werk durchaus einen gewissen Humor aufweist". Nur keine Blöße geben.

Dass Schriftstellerinnen weniger präsent sind in der Öffentlichkeit liegt an der fehlenden Neugier der männlichen Rezensenten, meint Jutta Heinrich. "Alles, was nicht der männlichen Verfügbarkeit dient, hat zu schweigen, wenn ausschließlich Männer in den Redaktionen arbeiten", sagt sie.

Anders als auf den früheren vier Autorinnenforen musste frau sich heuer erstmals durch einen Wettbewerbsbeitrag für die Teilnahme qualifizieren. 421 Schriftstellerinnen bewarben sich mit Texten zum Thema Mitgift. 60 von ihnen wurden ausgewählt. Sie dürfen nun für die Dauer des Forums (18. bis 22. September) mit arrivierten Autorinnen wie Felicitas Hoppe (Kurzprosa), Elfriede Czurda (Roman) und Kerstin Hensel (Lyrik) zusammenarbeiten. Die besten Wettbewerbsbeiträge erhielten sogar ein Preisgeld. 5.000 Euro, gestiftet vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Auch das ein Novum in der Geschichte des Autorinnenforums.

Zwei der vier mit Geldpreisen bedachten Geschichten handeln von einer ungewollten Schwangerschaft. In Inka Bialys Erzählung "Alles im Fluss" erwartet eine Frau mit Mitte 40 plötzlich ihr zweites Kind. Die Österreicherin Kerstin Kugler beschreibt in ihrer Kurzgeschichte "Die zwei Gründe der Lena F." eine junge von Selbst- und Weltekel geschüttelte Frau, die sich nicht in der Lage sieht, ein Kind großzuziehen.

Nach dem Auftakt geht das Forum in Rheinsberg weiter. "Deutsche Arbeitsplätze zuerst für deutsche Arbeiter", steht auf dem Wahlplakat der DVU. Landtagswahl in Brandenburg. PDS, Grüne und die Familienpartei werben für mehr Kinder.

"Hier beginnt die Zukunft, hier steigen wir aus", heißt ein Buch von Annett Gröschner. Der Titel passt. Fluchtartig verlassen viele Forumsteilnehmerinnen den Raum, als die Literaturagentin Astrid Poppenhusen über Vermarktungsstrategien von Schriftstellerinnen spricht. Haben diese Autorinnen allesamt schon VerlegerInnen gefunden? Oder wollen sie sich und ihr Schreiben als echte Idealistinnen doch lieber in den Sphären des Hehren und Schönen ansiedeln?

Erfahrene Autorinnen unterdessen erklären den Markt zum literarischen Sujet: "Dichterinnen, ein Wirtschaftsroman", heißt der neue noch unveröffentlichte Roman von Elfriede Czurda. Am Abend liest die Autorin längere Passagen vom Anfang des Werkes vor. "Markt", so heißt auch ein Gedicht von Kerstin Hensel. "Wie gemalt glänzt das Obst und kann sich nicht riechen", lautet eine Zeile daraus. Einzig Cornelia Saxe, die sich dem Sujet Dokumentar-Fiktion, sie nennt es Faction, verschrieben hat, sieht übrigens aus, wie man sich eine Dichterin vorstellt: Lange schwarze Haare, Nickelbrille, um die Schultern eine Stola. Saxe will den literarischen Kanon feministisch umdeuten. Derzeit bearbeitet sie den Roman Alexanderplatz. Aus Alfred Döblins Romanfigur Franz Biberkopf wird Franziska. "Hätte sie die nicht wenigstens Franziska Bubikopf nennen können?", raunt eine Zuhörerin vor mir.

Wer schreiben will, muss lesen

Eine feine Lesung. So schlecht gegessen wie in Rheinsberg habe ich indes seit langem nicht: Die Fischsuppe, eine gallertartige Mehlpampe, in der die Fischstückchen - als handle es sich um Aspik - erstaunlicherweise nicht zu Boden sinken. In dieser Suppe bleiben die Fische in der Kaste hängen, in die sie hineingeboren wurden, denke ich. Das Aioli-Brot, das zur Suppe serviert wird, ein mit giftgrünem Schaum behütetes Industriebaguette. Die Knoblauchmayonnaise enthält Kartoffelstückchen. "Quelle surprise", hätte da der alte Fritz vielleicht ausgerufen.

Im Schloss riecht es nach Kohl und Kohle.

Nur wenn ihr sehen könnt, wie ein Text gemacht ist, könnt ihr selbst einen machen. Wer schreiben will, muss lesen. Seid jetzt mal richtig brutal in eurer Kritik. So appelliert Elfriede Czurda an die Teilnehmerinnen ihres Roman-Workshops. Sie verteilt eine Seite aus einem Roman. Wann ist der Text geschrieben? Hat das ein Mann oder eine Frau verfasst?, fragt sie. Die Erzählstimme ist männlich, meint das Gros der Teilnehmerinnen. Hier wird eine Frau mit den Augen eines Mannes geschildert, so die Begründung. Der Text ist von Frederike Mayröcker, verrät Czurda schließlich. "Immerhin Büchner-Preisträgerin", fügt sie konsterniert hinzu. "Solltet ihr ruhig einmal lesen."

Sie fühle sich von der Virtuosität und dem Anspielungsreichtum der Mayröcker überfordert, klagt eine Teilnehmerin. "Können wir nicht erst einmal definieren, was ein Roman ist? Können wir nicht mit Fontane einsteigen?" "Und wenn Sie dann hochliterarisch schreiben, aber keiner will es wissen. Was haben Sie dann davon?", fragt Elfriede Czurda zurück. "Der Sog entsteht durch die Gegenwart", sagt sie. Doch Vorsicht mit der Ich-Perspektive: "Ein Beichtbericht ist wirklich etwas, das man nicht anschauen mag. Immer schön Distanz herstellen.

"Nur der Körper ist ewig. Der Geist ist vergänglich", heißt es wenig später in einem anderen Text. Dubravka Ugresic hat diesen Satz geschrieben in My American Fictionary. Und Elfriede Czurda interpretiert: "Der alte Körper ist immer der Körper von Frauen. Sie tragen die Last des Alters - für die Männer mit." Mal sehen, ob es klappt mit dem SchriftWechsel.