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Guten Morgen, Stumpfsinn: virtuelle Schönheits-Wettbewerbe im Netz

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Der Mensch ist von jeher ein Schwächling. Ein desorientiertes, unsicheres Geschöpf auf der Suche nach Halt, Glauben, einem Führer. Der westliche Mensch ist sich vieler Dinge unsicher, am meisten seines Äußeren. Er zupft und rupft, schmiert und pudert, rennt und stemmt, nur um schön zu sein. Man sagt aber nicht schön, sondern heiß, sexy oder geil. Nur, ist man es wirklich -sexy? Mal fragen. Aber wen? Mutti? Die Kollegen? Andreas Türk? Dr. Stefan Frank? Nein, die Welt! Drunter geht's nicht, immerhin geht es hier um den Schein. Die Welt versammelt sich im Internet. Und der gelangweilte, meist jugendliche und männliche Teil der Welt auf Seiten mit Namen wie Binichsexy.de, Wiegeilbinich.de www.wiegeilbinich.de und Huioderpfui.de. Hier entscheiden Surfer ungerührt mit einem Klick über Leben, schaffen Neurosen, Psycho-Wracks und machen Bekloppte noch bekloppter. Hui oder pfui, schön oder scheiße - hier erfahren unsichere Zivilisations-Schäfchen die böse Wahrheit über ihre Optik. Und das geht so:

Porträt-Foto digitalisieren, zur Site schicken, warten. Ganz unproblematisch wird das Abbild dann in die Bewertungs-Rubrik eingeklinkt. Die Surfer-Schar klickt sich dann durch die Seiten des jeweiligen virtuellen "Attraktivitätsbarometers", sieht die fotografischen Abbilder der Kandidaten und vergibt jedem Noten von eins bis zehn, wobei eine Eins bekommt, wer in den Augen der surfenden Juroren alles ist, nur nicht heiß, sexy oder geil. Und so erfährt man endlich, was die Welt von einem hält, und das ist meist nicht viel. In den vornehmlich in Männlein und Weiblein unterteilten Bewertungsstrecken warten unzählige Fotos diverser Menschen auf das Urteil der klickenden Masse. Klickt man eine Note an, kommt der nächste Kandidat zum Vorschein. Oben eingeblendet gibtŽs dann Foto und Gesamt-Ergebnis vom Vorgänger - was im Durchschnitt bei vier Punkten liegt. Ziemlich unsexy also.

Die Urteile der Online-Fleischbeschauer sind hart und unerbittlich. Das Gesicht falsch ausgeleuchtet, der Busen zu klein, der Bauch zu dick - das gibt Punktabzug, eine Gesamtnote im unteren Drittel, was für viele die endgültige Demontage der letzten Reste des Selbstbewusstseins bedeuten dürfte. Was müssen manche Kandidaten da leiden, wenn sie - eigentlich ganz ansehnlich - vom Mob als hässlich bewertet und für zu alt geschätzt werden. Traurig. Traurig? Nein, wer hier sein Foto reinstellt, hat Schelte verdient, und weil man den doofen Schäfchen im Netz leider nicht den Pops versohlen kann, gibtŽs halt Psycho-Terror. So. Wobei wir der Gerechtigkeit halber nicht unterschlagen wollen, dass so mancher Kandidat ganz unfreiwillig sich bewerten lässt, wenn nämlich Kollegen, vermeintliche Freunde oder andere Monster ungefragt ein Foto des Opfers zur Seite sandten.

Doof ist cool und deswegen haben die virtuellen Schönheitswettbewerbe massig Zulauf. Zehntausende stimmen täglich auf den unzähligen Seiten zum Thema ab. Was daran liegt, dass Schadenfreude vieler Menschen liebste Freude ist, und selbst der ärmste Wurm hier mit einem Klick sein fundamentales Urteil über Menschen fällen kann, die ihn im normalen Leben wahrscheinlich nicht mal eines Blickes würdigen würden. Und lustig, na klar, lustig ist das alles auch. Da sehen wir auf Amihotornot.de eine Blonde mit großen Brüsten, die sich auf einem roten Porsche räkelt, wobei beide älteren Baujahrs sind. Als Gesamtnote leuchtet eine Fünf auf dem Monitor, was überdurchschnittlich gut ist und bestimmt wegen dem Porsche, ha, ha.. Selbst eine, die aussieht wie Heidi Klum in klein - wirklich schön -, bekommt nur 7,1 Punkte von zehn. Ganz innovativ sind die Macher von Angesagter.de, die auf ihre Startseite gleich zwei Fotos klemmen und forsch fordern: "Bewerte die beiden Bilder im Vergleich!" Und das, liebe Surfer-Freunde, ist gar schwierig. Denn auf dem einen Bild ist ein Typ mit Ski-Mütze zu sehen, der auf einem schneeverschneiten Berg irgendwas Dampfendes aus einem Metall-Becher schlürft, und dabei seine Lippen vorstülpt wie ein Fellatio-Karpfen. Sein Kontrahent ist ein Kerl, den, wenn Sie früher ein böser Wanst waren, sie in der Schule zweimal täglich die Fresse poliert hätten, oder zu dem sie, wenn sie ein lieber Wanst waren, sich immer mitleidig-nett verhalten hätten, und dann den Typen nicht mehr los geworden wären. Ja und jetzt die Wahl: der Schlürfer oder der Spacko. Oder wegklicken. Genau.

Schön auch das Foto, welches eine dicke Blonde zeigt, die mit einem zotteligem Jagdhund auf einem Bett sich breit macht. Der arme Hund schaut mit großen, schwarzen Augen verzweifelt fragend in die Kamera, während neben ihm seine babyspeckige Herrin wie ein Haufen Hefe thront und in die Kamera grinst, als hätte ihr der Fotografierende eben gesagt: "Und nun, Beate, kuck ma so richtig supersexy, so verrucht." Was die Blonde dann auch bestimmt versucht hat, worauf der Fotograf sicher stammelte: "Äh, ja, na klar, ähm, ich glaub wir haben dann alles. Ich geh ma lieber." Und mittendrin der traurig kuckende Hund als Fanal der Vernunft, letzte Bastion von Anstand und Ehre, Rettungstanker in mitten eines Ozeans von trüber Idiotie mit einem Blick, der Herzen zerreißen kann. Und was macht man? Man gibt der Blonden eine zehn, wegen dem Hund. Schade, dass es keine Zwölf gibt. Und jetzt weg hier.