Sexueller Kick beim Ziegenhüter

Weiße Brille, dunkle Haut: Zwei neue Filme untersuchen den Sextourismus als geistige Lebensform

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Der Süden ist gefährlich und verführerisch zugleich, um das zu erfahren, muss man nur ins Kino gehen. Gleich zwei, sehr unterschiedliche Filme widmen sich jetzt einem speziellen Aspekt der Sehnsucht nach südlichen Gefilden: Dem Suchen und Finden der Liebe in der Fremde, very vulgo: dem Sextourismus, wobei dieses Etikett weder die Filmfiguren, noch in einem der beiden Fälle die Filmemacher, so gelten lassen würden. Das ist neu auf der Kino-Leinwand, wo auf dieser doch, so wurde jedenfalls zuletzt behauptet, eine "neue sexuelle Langeweile" einkehre. Aber vielleicht ist beides auch gar kein Widerspruch. Eine weitere, zusätzliche Besonderheit: Es geht in beiden Fällen um Frauen, die sich hier nehmen, was sie anderenorts nicht bekommen.

Das Kino, gerade auch das deutsche, hat die Touristen schon immer geliebt. Mit offenen, zugleich erschreckt und voller Neugier weit aufgerissenen Augen gehen sie durch die Fremde, in der sie - wie wir Zuschauer im Kino - nur Gast sind. Sie spiegeln unseren Blick, unsere Vorurteile, unsere Beschränktheit und zeigen uns - in diesen Grenzen - eine neue Welt. Im deutschen Film ist die Fremde oft genug ein Katalysator, um das zum Ausbruch zu bringen und deutlich sichtbar zu machen, was latent, im Unausgesprochenen, Unterbewußten schon länger sein Wesen treibt. In der Fremde begegnet man zu allererst sich selbst und dem Eigenen. So stilistisch unterschiedliche, jeder für sich hervorragende Filme wie Dominik Grafs "Der Felsen", Romuald Karmakars "Manila" und Henner Wincklers "Klasenfahrt" variierten dieses Grundmuster.

Im Schatten der Pyramiden

"Vers le sud", "südwärts" heißt nun der neue Film des Franzosen Laurent Cantet, der vor drei Jahren mit "L'emplois du temps" einen hervoragenden Film über die Arbeitsverhältnisse der new economy gedreht hatte. Bei den Filmfestspielen von Venedig hatte er vor zwei Wochen Premiere, dieser Tage läuft er beim Festival im baskischen San Sebastian, bald wird er in die Kinos kommen. Eigentlich könnte der Film auch "Vers le ouest" heißen, denn er spielt auf Haiti, doch seine Hauptfiguren sind gar keine Franzosen sondern Amerikaner, in diesem Sinne stimmt die Himmelsrichtung also auch geographisch. Aber viel mehr als dies ist mit dem Titel die Idee des Südens gemeint, die das französische Kino in letzter Zeit schon öfters fasziniert hat, etwa vor einem Jahr in Claire Denis' großartigem "L'Intrus": Sonne, Strand, Hitze, Aussteigen, auch die Faszination für das Exotisch-Andere, für fremde Kulturen, fremde Haut. Schon wenn sich die - vor allem französischen - Schriftsteller des 19. Jahrhundert auf Orientreise begaben, suchten sie im Schatten der Pyramiden nicht zuletzt dunkelhäutige Knaben und leichtbekleidete Mulattinen. Heute heißt das schlicht Sextourismus, hat - von der Kulisse für die geistreichen Zynismen Michel Houellebecqs einmal abgesehen - seine Poesie verloren und ist stattdessen massentauglich und böse geworden.

Mit Moralismen und den tiefen Rinnen des Geschlechterdiskurses ist man bei diesem Thema schnell zur Hand. Cantet versucht zumindest, es sich schwerer zu machen. Die Sextouristen in diesem Fall sind nämlich Frauen, die sich, selbst 40 Jahre und älter, in Haiti den Sex holen, den sie daheim nicht bekommen. Und manchmal auch die Liebe oder jedenfalls, was sie dafür halten. Man mag es pessimistisch finden, aber es ist vielleicht nur genau beobachtet, wenn "Vers le sud" zeigt, dass es hier keine unschuldigen Verhältnisse gibt, dass Ausbeutung - ökonomische, sexuelle, kulturelle - Lebensbedingung ist - selbstverständlich (?) auch bei den Haitianern untereinander. Der Film spielt übrigens in den 70er Jahren, als die Stunde der Komödianten und alle Graham-Greene-Romantik schon längst passé war, aber noch die blutige, aber stabile Diktatur des "Baby Doc" Duvalier und seiner Tonton Macute-Schergen das Land dominierte - vor mehreren Umstürzen und der US-Invasion.

(Sex-)Tourismus als geistige Lebensform

Im Zentrum stehen aber die verschiedenen Frauen, vor allem zwei von ihnen, die sich in den gleichen Jüngling "verlieben." Treffend zeigt Cantet den Machismo, der auch unter Frauen verbreitet ist, die subtilen Hierarchien, die die Ordnung des Urlauberlebens bestimmen und untersucht (Sex-)Tourismus als geistige Lebensform. "We all change, when we are here" sagt eine der Frauen. Unweigerlich denkt man an Szenarien aus Houellebecqs Romanen. "Wenn es nicht ab und zu ein wenig Sex gebe, woraus würde dann das Leben bestehen?" schrieb der. Sextourismus sei "die Zukunft der Welt", die einzige noch mögliche Form des Austauschs. Der reine Sex (ohne Liebe) wird wie der totale Konsum (ohne Ziel) und die Reise in ferne Gefilde, die Weltreise (ohne Grenze) zur Erfüllung und Gestalt der säkularen Religion des schrankenlosen Kapitalismus. Der Sextourist vereint sie in sich, ist seine fleischgewordene Gestalt. Er macht sich die Erde und ihre Bewohner untertan. Der Tourist wird damit zum sanften Terrorist. "Tourists never die" sagt ein Haitianer am Ende dieser impressionistischen, mörderischen Kino-Reise. Mit seinen einfachen, klar kadrierten Bildern, seinem Erzählen ohne große Mätzchen und einer gewohnt glänzenden Charlotte Rampling ist "Vers le sud" ein kleines Meisterwerk nüchterner Beobachtung.

Wie man es viel, viel schlechter machen kann, zeigt "Die weiße Massai" von Hermine Hundgeburth, der soeben im Kino gestartet ist. Im Unterschied zu "Vers le Sud" will "Die weiße Massai" keinen Anspruch haben und keine Kunst sein, sondern "reine", also eher niedere Unterhaltung. Und in erster und letzter Linie geht es bei solchen Filmen darum, mit ihnen Geld zu verdienen. Denn ganz am Anfang war der gleichnamige Bestseller von Corinne Kaufmann - der scheint ein paar hunderttausend Ex-Leserinnen als Eintrittskartenzahlerinnen zu garantieren - Grund genug, diesen Film zu machen. Ein anderer Grund, ein Bedürfnis der Macher, etwa die Überzeugung, "dass diese Geschichte erzählt werden muss", ist jedenfalls nicht zu erkennen. Das alles muss man nicht gegen diesen Film ins Feld führen, denn er tut gar nicht so, als ob er mehr wäre - aber für ihn spricht es auch nicht, und es hilft allemal bei seiner Einordnung.

Kapitalismus im Busch als Synonym für gelungene Emanzipation

Um zu sagen, ob "Die weisse Massai" als Romanverfilmung geglückt ist, dazu müsste man den Roman kennen - als Film ist es jedenfalls eine arge Schmonzette. Technisch ohne Frage solide gemacht, aber ohne wirkliche Haltung seinem Stoff gegenüber. Der ist nun gar nicht undelikat: Die Schweizerin Carola, aus deren Sicht der ganze Film erzählt ist, macht gerade mit ihrem Freund Strandurlaub in Kenia. Vor ihr liegt das Einerlei eines schweizerdeutschen Spießerlebens. Doch am letzten Tag trifft sie eher zufällig den hünenhaften schönen Massai Lemalian - schon bei dieser ersten, von "Daktari"-haften Soundtrack untermalten Begegnung ist es Liebe auf den ersten Blick. Carola fliegt gar nicht mehr zurück nach Europa, sondern macht sich - "Ich musste es einfach tun" - allen Warnungen ebenso wohlmeinender wie spießiger Freunde zum Trotz auf ins Landesinnere. Die Aussicht auf ein Leben in der Strohhütte scheint sie nicht zu schrecken, und obwohl die kulturelle und intellektuelle Kluft zwischen ihr und Lemalian von Anfang offen zutage tritt, etwa in seinen aus Carolas Sicht gefühllosen, sie demütigenden Sexpraktiken, ist Carola zunächst voller Optimismus.

Sie bringt ihm das Küssen bei, und lehrt ihn - "wait, slow, langsam" - die fehlende Zärtlichkeit beim Sex. "White woman is different", lernt er und lacht. Trotz seines Stirnrunzelns kauft sie bald einen Jeep, den der tumbe Gatte ohne Führerschein, aber mit viel Übermut gleich darauf fast zu Schrott fährt und es dauert nicht lang, da hat sie sogar einen Gemischtwarenladen eröffnet, der gut floriert - Kapitalismus im Busch als Synonym für gelungene Emanzipation.

Mit anderen Worten: Carola tut alles das, was frau unter den Massai nun mal nicht tut. Mit auftrumpfender, optimistischer Fröhlichkeit und dem guten Gewissen - "Man muss doch mit diesen Leuten reden!" - derjenigen, die "ja keine Vorurteile (haben)", bleibt sie - nicht sie selbst, sondern - ein guter Mensch aus Europa, der alles, aber wirklich alles besser weiß und auch tatsächlich besser kann.

"Ich werde heiraten" - "Doch nicht im Busch?" - "Doch Mama"

Kein Wunder, dass sich mit der Zeit die kulturellen Differenzen zwischen dem Paar als stärker erweisen, als seine Liebe füreinander. Andere Länder, andere Sitten. Für Hermine Hundgeburths Film spricht, dass sie in ihrer Zeichnung der Massai kaum schönfärbt. Sie zeigt Frauenbeschneidungen, andere Brutalitäten gegenüber Frauen, für westliche Geschmäcker ungenießbares Essen, Ziegen-Bluttrinken und andere unangenehme Seiten des Massai-Lebens. Damit weicht sie dem rousseauistischen Klischee des "edlen Wilden" zwar konsequent aus, doch landet sie nur in der umgekehrten Falle des Kolonialismus, das Fremde als undurchdringlich, brutal und abstoßend zu schildern. Zumal die konsequent durch die weiße Brille vorgenommene Betrachtung auch noch von allerlei plumpen kulturellen Klischees - "Sie leben weder in der Zukunft, noch in der Vergangenheit, sie leben nur im Jetzt." räsonniert Carola einmal - und Allerweltsweißheiten durchsetzt ist: "Ich bekam eine Ahnung davon, dass es Dinge gab, die schwieriger waren, als Küsse."

Niemand behauptet, dass dem genannten Dilemma leicht zu entgehen ist. Um das zu tun, müsste die Regisseurin und das Drehbuch sich aber zunächst einmal mehr für die Massai interessieren, sie differenziert und nicht nur als Abziehbilder zeigen. Stattdessen dienen die Massai in diesem Film nur als ihr eigenes, lebendes Klischee. Das nennt man Orientalismus. Der ist in diesem Fall Kulisse für die Sorgen einer eher langweiligen weißen Mittelstandsdame, die sich beim muskulösen Ziegenhüter ihren sexuellen Kick holt und dann irgendwann die Lust an ihrem Lover verliert.

Auch so etwas kommt vermutlich tagtäglich vor, sogar in der Schweiz - in der exotistischen Kombination allerdings ist es nichts anderes als Sextourismus der gehobenen Form. Der Film lügt sich darum noch nicht einmal herum, aber er bleibt dieser ausbeuterischen Haltung doch selbst verhaftet. Warum die Schauspielerin Nina Hoss sich und ihr Können dafür hergibt, bleibt ihr Geheimnis. Aber jeder muss natürlich seine Miete zahlen.

Nicht-Beziehung im Anderswo

Schon vor mehreren Jahrzehnten beschrieb Hans Magnus Enzensberger den Tourismus als Prozeß doppelter Entfernung. Einerseits fliehe der Tourist vor dem langweiligen Hier, andererseits komme er nicht wirklich im Anderswo an. Das verbirgt sich immer neu, es bietet nur noch eine Kulisse. Die "weiße Masai" Carola bleibt eine Touristin, auch wenn sie einen Massai heiratet. Denn sie bleibt ohne Bezug zum Ort. Sie konsumiert ihn und versucht ihn dort, wo er sich dem Konsum entzieht, diesem anzuverwandeln. Sie bleibt in Kenia eine Fremde, in der klassischen Definition Georg Simmels ein Mensch, der sich hier bewegt, aber kein Hiesiger ist, der "die Einheit von Nähe und Entferntheit" darstellt, die den Einheimischen in einer "Nicht-Beziehung" verbunden ist. Dass "Die weiße Masai" so tut, als müsste das so sein, als ginge es nicht anders, ist sein Kardinalfehler und macht ihn zur Ideologie.