Showdown an der Bernsteinküste: Wenn Politik die Energieversorgung bestimmt

Seite 2: US-Flüssigerdgas für den Ostseeraum, baltische Angst, verstärkte NATO-Vornepräsenz

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Die unmittelbaren Nachbarn Kaliningrads - Polen und Litauen - streben nach einer vermeintlichen Emanzipation ihrer Energieversorgung, in dem sie sich von Russland abwenden. Beim Erdgas wollen sie ihre Abhängigkeit von Gazprom hinter sich lassen. Polen und Litauen gehören zu den entschiedensten Gegnern innerhalb der Europäischen Union, wenn es um Nord Stream 2 geht, jener umstrittenen Pipeline, die russisches Gas über die Ostsee nach Deutschland bringen soll.

Beide Länder haben Abkommen mit den USA unterzeichnet, die den Import von US-amerikanischem Flüssigerdgas sicherstellen sollen. Die US-Amerikaner wollen damit den europäischen Energiemarkt umkrempeln - auch direkt an der Nahtstelle zu Russland. Doch Beobachter sehen dieses Ansinnen skeptisch: zum einen sei als LNG angeliefertes US-amerikanisches Erdgas kostspieliger als Pipeline-Gas aus Russland, nämlich rund doppelt so teuer. Außerdem bliebe unklar, ob die amerikanischen Produktionskapazitäten überhaupt ausreichten, um letztendlich russisches Gas in Europa ersetzen zu können. Polen ist dennoch fest entschlossen, ab 2022 kein russisches Erdgas mehr importieren zu wollen.

Dieser Schritt soll aus polnischer Sicht die USA dazu bewegen, ihre Sicherheitszusagen in konkrete Taten umzumünzen. Denn Politiker in Warschau fühlen sich von Russland bedroht, deshalb wurde bereits der Militärhaushalt des Landes aufgestockt. Ungeduldig sehnt man den Moment herbei, an dem das Land unter den US-Raketenabwehrschirm schlüpfen wird, denn die Arbeiten im hinterpommerschen Redzikowo haben sich verzögert: mit der Einsatzbereitschaft des dort stationierten landgestützten Aegis-Kampfsystems wird nun für 2020 gerechnet. Eine weitere Wunschvorstellung der Polen: nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU Amerikas wichtigster Partner innerhalb der Union zu werden.

Und auch in Litauen fühlt man sich von den Russen bedrängt: an der Grenze zu Kaliningrad soll vorerst ein zwei Meter hoher Zaun für mehr Sicherheit sorgen. Sowohl Polen als auch Litauen bemühen sich um neue US-amerikanische Militärstützpunkte in ihren Ländern. In Estland und Lettland sind mittlerweile ebenfalls NATO-Kampfverbände stationiert.

Wegen der zunehmenden Spannungen zwischen Russland und den NATO-Staaten wird das Kaliningrader Gebiet spätestens seit 2014 im Westen zunehmend als Gefahr verheißender Brückenkopf wahrgenommen. Kaliningrad, ehemals Königsberg, ist seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein wichtiger Stützpunkt der russischen Armee, nicht zuletzt wegen der strategisch-wirtschaftlichen Bedeutung der einzigen, ganzjährig eisfreien Ostseehäfen Russlands. Hier liegt das Hauptquartier der Baltischen Flotte, deren Hauptstützpunkt sich in Baltijsk befindet. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Militärbasen, tausende Armeeangehörige sind hier stationiert . Als Reaktion auf den US-Raketenabwehrschirm und die zunehmende Konzentration von NATO-Truppen vor der russischen Haustür hatte Russland 2018 mit der Stationierung atomar bestückbarer Iskander-M-Raketen im Kaliningrader Gebiet begonnen.

Westliche Militärs wollen ganz in der Nähe zudem die Schwachstelle der NATO schlechthin gefunden haben: die Suwalki-Lücke, ein 100 Kilometer langer Landkorridor entlang der polnisch-litauischen Grenze, der Kaliningrad von Weißrussland trennt sowie Polen und die baltischen Staaten verbindet und damit die einzige Landverbindung der NATO zu ihren Mitgliedern im Baltikum ist. Mit Szenarien, die Erinnerungen an den Kalten Krieg und die Fulda-Lücke wecken, werden Truppenmassierungen im Baltikum als NATO Enhanced Forward Presence legitimiert. Versuche für eine ernst gemeinten Deeskalation: Fehlanzeige. Und ganz vorn mit dabei: die Bundesrepublik Deutschland.

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