"Sicherheit für den Bürger"

Die Palästinenser im Wahlkampf

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In den besetzten palästinensischen Gebieten findet seit dem 25. Dezember ein Häuserkampf bisher unbekannter Art statt. Gruppen von jungen Männern, bewaffnet mit Pinsel, Leim und Plakaten, ziehen durch die Straßen und kleistern jede freie Wand mit den Gesichtern und Parolen ihrer politischen Favoriten voll. Sieben Kandidaten sind im Rennen um das höchste Amt im noch zu gründenden Staate Palästina. Am 9. Januar wird gewählt. Normalerweise schauen die plakatierten Gedenken an Tote und Gefangene den Passanten hinterher. Jetzt dominieren die überlebensgroßen Köpfe der Kandidaten um das Präsidentenamt das Stadtbild und werben für das "Ende der Besatzung", "Reform und Entwicklung" und "Sicherheit für den Bürger".

Die Wahlprogramme gleichen sich. Alle beinhalten die palästinensischen "Fixpunkte": Gründung eines unabhängigen Staates in Westjordanland und Gazastreifen mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt, gerechte Lösung der Flüchtlingsfrage und Befreiung der politischen Gefangenen. Darüber hinaus wollen die Kandidaten Vetternwirtschaft und Korruption bekämpfen, für die Gleichberechtigung der Frau eintreten sowie demokratische Institutionen aufbauen.

Der aussichtsreichste Bewerber ist Mahmud Abbas (Abu Masen) von der Fatah-Bewegung des verstorbenen Jassir Arafat. Der unabhängige Mustafa Barguti steht ihm aber, zumindest nach den Ergebnissen einiger Meinungsumfragen, kaum nach. Der ehemalige Angehörige der Kommunistischen Partei tritt für den "dritten Weg" zwischen der korrupten Autonomieverwaltung und den Islamisten ein und will die "Unzufriedenen" für sich gewinnen. Diese Bevölkerungsgruppe bildete bei Umfragen bisher stets die Mehrheit. Fünf weitere sind am Start. Davon sind allerdings nur Bassam Salhi von der Volkspartei und Taysir Chaled von der Demokratischen Volksfront selbst in Palästina bekannt. Ihnen steht deutlich weniger Geld zur Verfügung, deshalb müssen sie sich mit weniger Werbefläche begnügen, auch in den Medien.

"Gesetzlich stehen jedem Kandidaten neunzig Minuten zur Wahlwerbung in den staatlichen Medien zu", erklärt Baha al-Bakri von der Zentralen Wahlkommission. Dazu kommen weitere Sendeminuten. "Diese Regelung gilt seit dem ersten Januar und reagiert auf die Beschwerden, die unser Rundfunkrat erhalten hat." Muhammad Salame ist einer der Kritiker. "Abu Masen ist überall, über ihn wird berichtet, als habe er die Wahlen schon gewonnen", so der Wahlhelfer für den Volksfrontkandidaten Taysir Chaled. "Problematisch ist es mit den privaten Medien. Sie brauchen Geld. Deshalb haben Abu Masen und Mustafa Barguti viel mehr Möglichkeiten als andere." Die palästinensischen Wähler wissen das. Auch deswegen wirkt Chaled glaubwürdiger als Abbas und Barguti, wenn er "Brot, Arbeit und Gesundheitsversorgung" fordert.

Einig sind sich die Palästinenser, dass ohne die Mitarbeit Israels keiner der Kandidaten etwas ausrichten kann. Die Armee muss die jahrelangen Mobilitätsbeschränkungen aufheben und sich zunächst aus den Städten abziehen. Allein deswegen wird Mahmud Abbas als chancenreichster Kandidat gesehen. Er ist der einzige, der über die lokalen und internationalen politischen Verbindungen zur Umsetzung der notwendigen Veränderungen verfügt.

Dazu gehören die Befriedung der verschiedenen Milizen und die transparente Umstrukturierung der Institutionen. "Wir können unsere Ziele nicht mit Gewalt erreichen. Es ist die Pflicht der neuen Regierung, eine Strategie zu entwickeln diese der Bevölkerung zu erklären." Das erklärte Abbas nicht erst jetzt unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft, sondern bereits vor zwei Jahren vor Anführern lokaler Volkskomitees in Gaza.

Zu diesen unbeliebten Aussagen steht er immer noch. Seine Ehrlichkeit und sein politischer Realitätssinn werden ihm aber mittlerweile hoch angerechnet. Bei einer Wahlveranstaltung in Dschenin am letzten Donnerstag erklärten ihm die Aksa-Märtyrerbrigaden ihre Unterstützung. Abbas steht ebenso im Dialog mit der islamistischen Hamas. Sie unterstützt ihn zwar nicht. Aber obwohl die größte islamistische Bewegung keinen eigenen Kandidaten zur Wahl stellt, verzichtet sie auf den Aufruf zum Boykott der Abstimmung am Sonntag.