Sieg der Opposition im Libanon

Im Libanon wurde nach 18 Monaten endlich ein neuer Präsident gewählt und damit der Konflikt entschärft

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Vor zwei Wochen wurde in den Straßen von Beirut noch gekämpft (Libanon vor einem Bürgerkrieg?). Am gestrigen Sonntag gab es nun Feuerwerkskörper, jubelnde Autokolonnen und Partys in der libanesischen Hauptstadt. Man ist zufrieden, der Zedernstaat hat endlich einen neuen Präsidenten und die Krise scheint beendet zu sein.

Nach 19 vergeblichen Versuchen wählte das libanesische Parlament Michel Sleiman zum neuen Staatspräsidenten. Mit 118 von 127 Stimmen erhielt der ehemalige Oberbefehlshaber der Armee die nötige absolute Mehrheit. Nur sechs Abgeordnete hatten ein blankes, weißes Papier abgegeben. Sie wollten dagegen protestieren, dass die Volksvertreter es unterlassen hatten, die Verfassung zu ändern, die die Wahl eines Militärs zum Präsidenten nicht vorsieht. Dem Vorwurf wurde mit dem Hinweis begegnet, es herrsche eine Ausnahmesituation

Religionen im Libanon

Seit dem Amtsende von Michel Lahoud im November 2007 (Explosive Pattsituation im Libanon) konnte sich die Regierungskoalition von Premierminister Fouad Siniora und die Opposition, geführt von der schiitischen Hisbollah und der christlichen Freiheitsbewegung Michel Aouns, auf keinen neuen Kandidaten einigen. Den Durchbruch in der Pattsituation schaffte der Emir von Katar, Scheik Hamad Ben Khalifa al-Thani. Nach den gewaltsamen Konfrontationen im Mai 2008, bei denen 67 Menschen getötet und über 200 verletzt wurden, hatte der Emir die verfeindeten libanesischen Fraktionen zu Gesprächen nach Doha eingeladen. Mehrfach schienen die Verhandlungen zu platzen, aber am Ende kam doch noch ein Abkommen zustande, dem beide Seiten zustimmten. Regierung und Opposition einigten sich auf die Wahl von Michel Sleiman zum Präsidenten, eine Neuaufteilung der Wahlkreise in Beirut und zudem die Erhöhung der Ministerposten der Opposition im Kabinett auf insgesamt 11, die dafür im Gegenzug ihr Protestzeltlager im Zentrum der libanesischen Hauptstadt unverzüglich abbaute.

Vetorecht für die Opposition

Die Vereinbarungen von Doha bedeuten letztendlich einen Sieg für das Oppositionsbündnis. Seit seinem Ministerboykott des Kabinetts im November 2006 hatte man eine nationale Einheitsregierung und ein Vetorecht gefordert, das die Regierungskoalition stets strikt ablehnte. Mit 11 von insgesamt 30 Ministerposten (16 der Regierung, 3 vom neuen Präsidenten festgelegt) im Kabinett bekam nun die Opposition genau das, was sie immer gefordert hatte. In Zukunft können sie jede Entscheidung der Regierung blockieren. Obendrein wurden in Doha die Waffen von Hisbollah mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn in das Abkommen einbezogen. Kein Wunder, dass Hisbollah-Vize-Generalsekretär, Naim Qassem, die Ergebnisse von Katar überschwänglich lobte: „Die Vereinbarungen sind eine wichtige Errungenschaft für alle Libanesen. Jetzt können wir eine nationale Einheitsregierung bilden und für alle Probleme Lösungen finden.“

Von Vertretern der Regierung wurde das Vetorecht der Opposition als bedeutungslos abgetan. Samir Geagea, der Führer der rechten, christlichen Lebanese Forces, meinte, das Kabinett sei hauptsächlich nur mit einer Aufgabe beschäftigt, nämlich die Wahlen für 2009 vorzubereiten. Politisch gesehen, sei das Vetorecht wertlos.

Wenn dem tatsächlich so wäre, warum hat man dann der Opposition nicht schon eher diese Veto-Recht gegeben? Die gewaltsame Eskalation und die ökonomische Krise wäre dem Land erspart geblieben. Stattdessen legte die Regierung jedoch immer mehr Öl ins Feuer. Premier Fouad Siniora, Saad Hariri von der Zukunftspartei oder auch Walid Jumblatt, der Drusen-Führer und Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei, forderten wieder und wieder die Entwaffnung der Hisbollah gemäß der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats. Dabei ließen sie außer Acht, dass die „Waffen des Widerstands“ durch ein Dekret der libanesischen Regierung offiziell sanktioniert sind.

Mitte Mai erklärte man sogar das militärische Kommunikationsnetz von Hisbollah für illegal und forderte dessen Abbau. Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Generalsekretär, interpretierte das als offene Kriegserklärung und sprach von einer „vollkommen neuen Ära“, die jetzt eingeleitet werden würde.

Vorausgegangen war ein Generalstreik des libanesischen Gewerkschaftsbundes, den die Opposition mit Aktionen des zivilen Ungehorsams unterstützte. Straßen wurden blockiert und Autoreifen angezündet. Milizionäre der Regierungskoalition eröffneten daraufhin das Feuer auf Protestierende. Kämpfer von Hisbollah, der Syrischen Sozialen Nationalpartei und der Amal von Parlamentspräsident Nahib Berri besetzten daraufhin Westbeirut. In Mount Libanon begann der Kampf zwischen Anhängern der rivalisierenden Drusen-Führer Walid Jumblatt und Talal Arslan. Aber, wie bereits in Beirut, unterlagen auch hier die Milizen der Regierung, ihre Büros wurden besetzt, die meisten Kämpfer entwaffnet und der Armee übergeben. Die Bereitschaft in Doha zu bisher undenkbaren Zugeständnissen liegt wohl an dieser schnellen militärischen Niederlage, die für die Vertreter der Regierung in dieser Form wahrscheinlich überraschend kam.

Bürgerkrieg abgewendet

In seiner Rede vor dem Parlament machte Michel Sleiman deutlich, dass er als Präsident ausgleichende Balance zwischen den zerstrittenen Parteien sein wolle. Er betonte die Wichtigkeit des „Widerstands“ von Hisbollah, denn die nationale Armee sei nicht in der Lage, dem Militär Israels standzuhalten. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass die Waffen des Widerstands nicht für interne Machtkämpfe missbraucht werden dürften.

Mit dem Militär an der Staatsspitze bleiben die Waffen von Hisbollah unangetastet. Die Regierungskoalition muss sich zähneknirschend damit abfinden: Die schiitische Volksbewegung bleibt ein Staat im Staate und wird die Gelegenheit nutzen, ihre Rolle auszubauen. Vorerst wird die Regierung gute Miene zum bösen Spiel und aus der Zeit bis zu den Parlamentswahlen 2009 das Beste machen. Dann hofft man darauf, dass die Wähler zu ihren Gunsten eine Entscheidung treffen. Viel wird sich allerdings im Parlament nicht verändern. Die entscheidende Frage ist nur, wie sich die christlichen Wähler verhalten. Vieles hängt an Michel Aoun und seiner Patriotischen Freiheitsbewegung. Werden sie sich gegen die christlichen Vertreter der Regierung durchsetzen können oder unterliegen? Wird man ihm die, auch in Krisenzeiten unerschütterliche Koalition mit Hisbollah übel nehmen?

Saad Hariri, der Sohn des im Februar 2005 ermordeten Multi-Milliardärs Rafik Hariri, setzt bei den Neuwahlen sicherlich wieder auf Macht und seine schier unerschöpflichen finanziellen Möglichkeiten. Wie schon 2005, als er über drei Millionen Dollar in den alles entscheidenden Wahlbezirk im Norden des Libanon investierte.

Bis es allerdings soweit ist und die Wähler an die Urnen gehen, wird es sicherlich noch mehrere politische Krisen und Auseinadersetzungen zwischen den verfeindeten Lagern geben. Aber daran ist man im Libanon ja gewöhnt. Jetzt wird erst einmal noch gefeiert. Die Menschen sind zufrieden und vor allen Dingen erleichtert. Die 18-monatige Pattsituation scheint sich tatsächlich aufgelöst zu haben, es gibt einen neuen Präsidenten und das Wichtigste: ein erneuter Bürgerkrieg ist momentan wieder in weite Ferne gerückt.