Siegeszug der Aufdecker und EU-Kritiker

Niederländer und Österreicher votieren für mehr Transparenz in der EU, Briten schicken EU-Gegner nach Straßburg

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Das Vertrauen in die Europäische Union schwindet in den alten Mitgliedsländern und scheint in vielen Beitrittsländern gar nicht erst aufzukommen. EU-kritische Listen konnten bei der Wahl zum Europäischen Parlament erhebliche Stimmengewinne verbuchen. Österreich und die Niederlande wiederum schicken Aufdecker von EU-Missständen nach Straßburg.

In beinahe allen EU-Ländern wurden die jeweiligen nationalen Regierungen abgestraft. Dies ist ein wesentliches Ergebnis der EU-Wahl, das zu denken geben sollte, zumal den Wählern offensichtlich nicht vermittelt werden konnte, dass es um die Zusammensetzung des europäischen Parlaments geht und nicht um nationale Fragen.

Der zweite wesentliche Trend der sich abzeichnete, scheint aber noch gravierender zu sein. Denn die niedrige Wahlbeteilung von EU-weit unter 45 Prozent, legt den Schluss nahe, dass Resignation, Desinteresse oder tiefes Misstrauen gegenüber dem Projekt Europäische Union die Mehrheit der EU-Bürger prägt. Die evidenten Erfolge für EU-Gegner beziehungsweise EU-Kritiker bergen zudem einiges Sprengpotenzial für künftige Abstimmungen im EU-Parlament. Zwar wird die Europäische Volkspartei (EVP - Zusammenschluss der Konservativen) mit 247 bis 277 Sitzen weiterhin die stärkste Fraktion bilden, wie sich die neuen Listen allerdings positionieren werden, ist noch völlig offen.

Für Wirbel könnten künftig auch noch zwei "altbekannte" Gesichter sorgen, die sich in EU-Reihen bisher keiner besonderen Beliebtheit erfreuten, von den Bürgern ihrer Länder aber postwendend wieder ins Parlament entsendet wurden. Die Rede ist von Paul van Buitenen, der in den Niederlanden sieben Prozent und damit zwei der 27 niederländischen EU-Sitze erlangen konnte und von dem Österreicher Hans Peter Martin, der sich ebenfalls 2 Mandate in Straßburg sicherte. Beide haben sich den Kampf gegen Korruption und Misswirtschaft in den EU-Institutionen auf die Fahnen geschrieben.

Mit einem Paukenschlag endete am Sonntag die Wahl in Österreich. Satte 14 Prozent hatte man Hans Peter Martin, der erstmals mit einer eigenen Liste aber ohne eigene Parteiorganisation kandidierte, nicht zugetraut. In den letzten Umfragen vor der Wahl prognostizierte man ihm gar nur mehr 7 Prozent. Nichts desto trotz zog er mit dem Thema "Kampf gegen EU-Spesen-Ritter" genügend Wähler für zwei EU-Mandate an Land und überholte damit sogar die Österreichischen Grünen, die sich über 12, 9 Prozent freuen durften. Hauptmotiv seiner Wähler: Kampf gegen Privilegien.

Interessant ist dabei, dass Hans Peter Martin nicht unbedingt das vorstellt, was man unter einem Sympathieträger versteht, sondern ausgestattetet mit schnarrender Stimme (die jeden Medientrainer zur Verzweiflung treiben würde) oft recht oberlehrerhaft wirkt. Hans Peter Martins politische Laufbahn ist ebenfalls nicht typisch und alles andere als geradlinig. Der 47-jährige Ex-Journalist (u.a. beim Spiegel) und Bestsellerautor ("Die Globalisierungsfalle") gilt als Einzelkämpfer. Die österreichischen Sozialdemokraten für die Martin 1999 als Spitzenkandidat in die EU-Wahl gezogen war und sich dann nicht mit irgend einem Platz begnügen wollte, kreiden ihm mangelnde Teamfähigkeit an. Nach jahrelangen Streitereien wurde Martin zu guter Letzt sogar aus der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten ausgeschlossen.

Er blieb als wilder Abgeordneter und ging mit seinem Wissen über die Praktiken im EU-Parlament bei Spesenabrechnungen an die Öffentlichkeit. Die Methoden Martins als Aufdecker von angeblichen Missbräuchen im Europaparlament sind alles andere als unumstritten. Üble Bespitzelung wurde ihm des Öfteren vorgeworfen. Zudem wird ihm vorgehalten, mehrfach selbst unberechtigt vom Spesensystem profitiert zu haben.

Allerdings ist es ihm gelungen, das Thema einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu bringen. Freunde macht man sich in der EU mit dem Aufzeigen von Missständen aber nicht. Davon kann auch der Niederländer Paul van Buitenen ein Lied singen. Er war einstmals in der Finanzkontrolle der EU-Kommission tätig und spielte dem Budgetkontrollausschuss des EU-Parlaments interne Informationen aus der Brüsseler Behörde zu. Der spätere Experten-Bericht über Vetternwirtschaft und Missmanagement führten im Frühjahr 1999 zum Rücktritt vom damaligen Kommissions-Präsidenten Jacques Santer und seinen 19 Kommissaren. In EU-Kreisen hing Buitenen fortan der Ruf des "Nestbeschmutzers" an. Die alte Kommission bestrafte ihn sogar noch mit Gehaltsabzug und schob ihn auf einen anderen Posten ab. Buitenen ließ sich 2002 beurlauben und arbeitete an der Gründung seiner Liste "Europa Transparent", mit der er jetzt den ansehnlichen Erfolg einfahren konnte.

Waren es in den Niederlanden und Österreich einzelne Personen, welche das EU-kritische Wählerpotenzial auf sich vereinen konnten, so fanden in Ländern wie Großbritannien, Schweden und auch in neuen EU-Mitgliedern wie Tschechien EU-kritische Parteien unübersehbaren Zuspruch. Aber auch in den Beitrittsländern scheinen weite Teile der Bevölkerung mit Skepsis auf das Projekt Europäische Union zu reagieren. Die Wahlbeteilung fiel teilweise wesentlich niedriger aus als in den alteingesessenen Mitgliedsländern. Absoluten Negativ-Rekord verbuchte die Slowakei, mit lediglich 16,5 Prozent Wahlbeteiligung. In Tschechien wiederum siegte die konservative Demokratische Bürgerpartei (ODS), deren Ehrenvorsitzender der EU-kritische Vaclav Klaus ist, mit 30 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Wie immer sich die Ergebnisse dieser EU-Wahl auf so wichtige Projekte wie EU-Verfassung und Erweiterung auswirken werden, eines scheint klar geworden zu sein. Etwas wie Europäische Öffentlichkeit liegt ferner denn je. Weder auf nationaler Ebene noch den EU-Institutionen selbst, ist es gelungen, das Projekt Vereintes Europa den Bürgern näher zu bringen, Transparenz und Vertrauen zu schaffen.