Sign on, and I.M. me

AOL lässt sich von Teenager besingen

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Brittney Cleary will Popstar werden, AOL will Jugendliche als Kunden gewinnen. "Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?", dachten sich offenbar Brittneys Produzenten und schenkten uns einen denkwürdigen Song.

Werbeprofis haben es auch nicht leicht. Kaum hatte Boris Becker uns allen telegen anhand seiner AOL E-Mail-Adressen vorgerechnet, dass er noch "drei mal dürfe", da wird bekannt, dass er längst einmal zu viel hat. Die Story vom Samenraub in der Wäschekammer wandert um die Welt, Frau Becker sucht das Weite, die Kampagne mit Ehemann Becker muss eingestampft werden. Dumm gelaufen.

Mit Brittney Cleary wäre das nicht passiert, so viel steht fest. Brittney ist erst 12 Jahre alt, aber bereits dabei, die Boris Beckers und Harald Schmidts der AOL-Werbewelt zu beerben. Zwar hat sie nicht den Glamour eines unrasierten Tennisstars, aber dafür hat sie einen Song. Und was für einen:

I got a web page

A domain

Sign my guest book with your screen name

Check it out, then send an I.M.

Brittney Cleary singt in "I.M. Me" über Instant Messaging. Ein Hobby, dass sie mit unzähligen Internet-Surfern teilt. AOL spricht von rund 100 Millionen registrierten Nutzern seines AOL Instant Messengers, etwa genau so viele haben sich beim ebenfalls zu AOL gehörenden ICQ-Dienst registriert. Die Chat-Angebote bestimmen längst die Kommunikationsgewohnheiten einer ganzen Generation. Dieser Generation gilt Brittneys Song, denn wer älter ist, versteht das typische Chat-Abkürzungs-Kauderwelsch sowieso nicht mehr:

Hey, LOL, G2G

I gotta go, but watch for me 'cause

I'll be right back, BRB

So sign on, and I.M. me

Das All American Teenie Girl

Brittneys Vita liest sich wie ein Bilderbuch des All Amercian Teenie Girls auf der Schwelle zum Erfolg: Ihre Eltern hatten selbstverständlich keine Ahnung davon, dass sie sich ein potentielles Pop-Sternchen im eigenen Haus herangezogen haben, bis eines Tages die Oma mit Brittney vom Karaoke-Wettbewerb wiederkam und erklärte: "You want to hear that girl sing." Kaum dass die Ohren der Eltern gewonnen waren, folgten Radioauftritte und Nachwuchswettbewerbe, die Brittney selbstverständlich allesamt gewann. Irgendwann wurde auch der Grammy-verwöhnte Produzent John Guess auf Brittney aufmerksam. Wie es zu dem AOL-freundlichen Titel kam, erzählt Brittney auf ihrer Website in einem etwas atemlosen Stil höchstselbst:

Die Komponisten versuchten, einen Song für mich zu schreiben und fragten mich, worüber ich ihn gerne hätte - ich sagte: Jungs. In diesem Moment hatte ich so um die 20 IM-Fenster auf meinem Computerbildschirm geöffnet, und sie guckten über meine Schulter, und ihre Gesichter hellten sich auf, und ich hatte meinen Song.

So weit die offizielle Version. Genau so gut könnte Brittney auch in einer nächtlichen Sitzung des AOL UK-PR-Departments entstanden sein. Nach der dritten Flasche Wein, beispielsweise. Der Name erinnert nicht nur an ihr erfolgreiches Vorbild Britney Spears, sondern schafft es aufgrund des Doppel-Ts auch glatt, durch Napsters Filter hindurchzuschlüpfen. Konsequenterweise wird ihr I.M. Me-Song auch als vollwertige MP3-Datei zum Download angeboten und über das britische AOL-Angebot entsprechend gefeatured.

Ein Fall fürs Kuriositätenkabinett?

In Zeiten, in denen die ersten schüchternen Annäherungsversuche per SMS gemacht werden und man statt handbemalten Liebesbriefchen nur noch E-Mail-Adressen austauscht, könnte das Lied sogar Erfolg haben. Internet trifft auf Teenie-Charme trifft auf Girl-Power - das klingt ja eigentlich nach einem guten Rezept:

We're digital divas

Believe us

This Girl Wide Web is hot stuff

My buddy list is growing all the time

Aber spätestens nach dem dritten Anhören melden sich doch die ersten Zweifel. Okay, schlechte Musik hat andere auch nicht am Erfolg gehindert. Doch auch der Text wirkt einfach ein bisschen zu belanglos. Mag sein, dass die Feststellung "Es ist einfacher zu tippen als einen Stift zu benutzen" im Hause Pelikan Alarmglocken klingeln lässt - Teenies dürfte sie dagegen ziemlich kalt lassen. Trotzdem wird "I.M. me" höchstwahrscheinlich der Nachwelt erhalten bleiben - ein Platz in den an Text-Bizarrerien nicht eben armen Chart of the Flops ist ihm mit solchen Zeilen sicher:

TTYL

No time to spell

Oops, there goes that little bell

Bye, bye for now

BBFN

AOL dagegen wird sich wohl zumindest in Deutschland noch eine Weile an Boris Becker halten müssen. Der beweist uns in den neuesten Spots bereits, dass er nicht kochen kann. Bevor die Werber aber auf die Idee kommen, zu zeigen, dass er auch kein Startup führen kann - wie wär es denn da mit singen?