Sind die USA auf dem Weg zum Unrechtsstaat?

Seite 2: Der große Raubzug und der Aufstieg politischer Irrationalität

Konservative und Rechte wussten die demokratische Aushöhlung der Gesellschaft für sich zu nutzen. Öl-Multis wie die Koch-Brothers verbreiteten über die Birch-Foundation radikale Politiken und Gesellschaftsentwürfe, ganz im Geist des libertären Vordenkers Ayan Rand.

Die Tea-Party-Bewegung im Umfeld der Republikaner wurde zum verlängerten Arm dieser Ideologie, die Steuern, soziale Auflagen und staatliche Regulierungen als Angriff auf das Wohl und die Freiheitsrechte der Normalbürger:innen diskreditierte. Tatsächlich steckte dahinter ein politisches Eliten-Programm im Dunstkreis von Unternehmern, Investoren und Superreichen, die für sich möglichst keine Steuern und Regulierungen wollen, während die Schwachen zusehen sollen, wo sie bleiben.

Heute sind die Republikaner – die die politischen Analysten vom American Enterprise Institute Thomas Mann and Norman Ornstein als "radikale Aufstandsbewegung" bezeichnen – keine klassische Partei mehr. Sie können auch gar nicht mehr mit dem Anspruch auftreten, irgendwelche Interessen und Bedürfnisse der allgemeinen Bevölkerung zu vertreten. Sie verabscheuen jegliche Form demokratischer Partizipation. Die sogenannte GOP ("Grand Old Party") ist zu einer politischen Organisation der Businessklasse mutiert, mit dem Zweck, ihr den Rücken frei zu halten und den Reichen die Taschen mit Geld voll zu stopfen.

So brachten die Republikaner unter Präsident Donald Trump ein gigantisches Steuerentlastungspaket von 1,5 Billionen US-Dollar durch den Kongress, das die Oberschichten und Unternehmen entlastet, während die Gegenfinanzierung von den unteren Schichten der Bevölkerung durch Einsparungen erwirtschaftet werden muss.

Die RAND Corporation schätzt, dass in den USA seit den 1980er Jahren 47 Billionen Dollar von der Normalbevölkerung zur obersten Einkommensspitze transferiert wurden. Hinzu kommt der Diebstahl durch Steueroasen. Eine Studie vom Internationalen Währungsfonds (IWF) beziffert ihn auf rund 35 Billionen in den letzten 40 Jahren allein in den Vereinigten Staaten.

Von diesen Raubzügen erfuhr die Bevölkerung nichts. Sie wurde abgelenkt, hysterisiert und gespalten: Waffenbesitz als heiliges Recht, für das Republikaner kämpfen. Religiöser Fanatismus und Kreationismus, der Abtreibungen als Ursünde anprangert. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Zugleich sind die Angriffskriege, die die USA überall auf der Welt geführt haben, in gewisser Weise in die US-Gesellschaft reimportiert worden. Waffen und militärische Ausrüstung wie Drohnen und gepanzerte Fahrzeuge dienen nun der militarisierten Polizei, um Proteste zu bekämpfen wie die gegen Öl-Pipelines.

Traumatisierte Soldaten kehren zugleich aus ihren Kriegseinsätzen zurück, werden mit ihren Problemen aber meist alleingelassen, was als sozialer Sprengstoff wirkt, auf Familien und Kommunen, in denen die Traumatisierten leben.

Während dessen fluten halbautomatische Kriegswaffen die Gesellschaft. An die täglichen Schießereien, die regelmäßig wiederkehrenden Massentötungen und Amokläufe, auch mit rassistischen, terroristischen Intentionen, hat man sich fast schon gewöhnt. Sie sind das neue Normale. Die Auswirkungen werden immer blutiger, die Rufe nach Waffenkontrollen zunehmend verzweifelter. Oft mischt sich in die Taten blinde politische Wut: Siehe das Massaker von Buffalo, wo der Attentäter elf Afroamerikaner:innen niederschoss, um einer angeblichen "Umvolkung" entgegen zu treten.

Die USA sind zugleich mitten in einem politisierten Kulturkampf. Die Republikaner haben ultrakonservative bis reaktionäre Richter in den Supreme Court, den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, gebracht. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt. Die versuchen nun, liberale Rechte, die erkämpft wurden, wieder zu canceln, wie im aktuellen Fall das Recht auf Abtreibung (Roe v. Wade). Das Rad der Geschichte soll am besten in die weiß-patriachalen Urzeiten des Siedler-Kolonialstaats zurückgedreht werden, der Sklaven hielt, Frauen unterdrückte und Indianer auslöschte.

Die Republikaner wissen, dass sie mit ihrem politischen Programm keine Wahlen mehr gewinnen können. Zu sehr stellt es einen Angriff auf die Bedürfnisse der Bevölkerung dar: weiterer Abbau der Arbeitsbedingungen, der Gesundheitsversorgung und der sozialen Daseinsvorsorge; ungebremste Schädigung Amerikas durch fossile Energieausbeute und irrationale Aushöhung der US-Wirtschaft durch Deregulierung und Lohndruck.

Die Mainstreammedien in den USA haben bei dieser Erosion mitgemacht, ja, sie erst ermöglicht. Sie verkürzten die Debatten und ließen kritische Einblicke in den neoliberalen Angriff auf die Gesellschaft außen vor. Während die Krise der kommerziellen Medien durch zurückgehende Anzeigen- und Werbeeinnahmen in den letzten zwei Jahrzehnten zur rasanten Monopolisierung und journalistischen Auszehrung führten, konnten rechte Kanäle wie Fox News oder hetzende Talk-Radio-Moderatoren wie Glenn Beck Millionen an sich binden. Sie boten den Gedemütigten etwas, was sie in den etablierten Medien in dieser Form nicht fanden: Anstachelung der politischen Wut, die auf Schwächere gelenkt wurde.