Size matters!

Neue Ergebnisse zur Evolution des Gehirns

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In der neuesten Ausgabe von Nature stellen zwei Forschergruppen die neusten Hirn-Forschungen vor. Sie bestätigen die "großkopfigen Menschen" in ihrem Überlegenheitsanspruch, aber zeigen auch die Übereinstimmungen mit anderen Säugetieren und vor allem den Primaten auf.

Größenvergleich: Strich= 2cm. oberes Gehirn: Homo sapiens, unteres: Microcebus murinus (Mausmaki). Obwohl diese Gehirne sich in der Größe stark unterscheiden, haben sie doch ähnliche Proportionen und gehören mit denen anderer Primaten zusammen in eine Gruppe.(Bild: Nature)

Damon A. Clark und seine Kollegen vom Molekularbiologischen Institut der Princeton University untersuchten die relative Größe von verschiedenen Hirnregionen bei verschiedenen Säugetieren, dabei gingen sie nicht von der Verhältnismäßigkeit zum Körper (ein bisher übliches Verfahren der Kategorisierung), sondern vom Hirn selbst aus:

Here we use the brain itself as a size reference to define the cerebrotype, a species-by-species measure of brain composition. With this measure, across many mammalian taxa the cerebellum occupies a constant fraction of the total brain volume, arguing against the hypothesis that the cerebellum acts as a computational engine principally serving the neocortex.

Den "Cerebrotype", den Typ der Hirnarchitektur, führen sie als Klassifizierungsgröße ihrer Strukturmessungen ein. Mit multidimensionalen Untersuchungsmethoden definieren sie genau, welcher Anteil des Gehirns jeweils auf das Großhirnrinde (Neocortex), das Kleinhirn (Cerebellum) etc. entfällt. Ihre Untersuchung gilt der Hirn-Architektur, den Maßstäben, die sich bei verschiedenen Tieren gleichen oder unterscheiden. Ihre Ergebnisse zeigen, dass innerhalb von Säugetier-Gruppen, wie z.B. den Primaten, die jeweiligen Anteile, d.h. die Struktur des Gehirnes, sich sehr gleicht, obwohl die Tiere sehr unterschiedlich große Hirne haben. Die Proportionen entsprechen sich. Von Spezies zu Spezies unterscheiden sich die Gehirne deutlich in ihrem Aufbau.

Die Einteilung in verschiedene Cerebrotype-Gruppen bei den Primaten, die sich grundsätzlich im Aufbau des Hirnes unterscheiden ist: Halbaffen, Neuweltaffen, Altweltaffen und Hominoiden (Menschenaffen und Menschen).

Bei den Primaten gilt, je höher die Evolutionsstufe und je intensiver das Sozialleben in der Gruppe, desto mehr Anteil hat relativ die Großhirnrinde, in der so wichtige Funktionen wie Sprache und Bewusstsein angesiedelt sein sollen. Im Kleinhirn werden in erster Linie die motorischen Abläufe koordiniert.

Ein weiterer Artikel beleuchtet die zellularen Beziehungen in der Großhirnrinde. Charles Stevens vom Salk Institute, La Jolla in Kalifornien setzt sich mit der Verarbeitung visueller Informationen und den entsprechenden Hirnregionen auseinander. Er verglich die Anzahl der Nervenzellen (Neuronen) im Corpus geniculatum laterale (CGL, engl: lateral geniculate nucleus), der Durchgangsstation zur primären Sehrinde und dem primären visuellen Cortex (engl: primary visual cortex) selbst, der die visuellen Signale verarbeitet. Ein Mensch nutzt viermal so viele Nervenzellen, um die visuelle Information weiter zu leiten und zu verarbeiten wie ein Tarsier-Äffchen:

Because primary visual (VI) cortex is the most thoroughly understood cortical region, the visual system provides an excellent model in which to investigate the evolutionary expansion of neocortex. I have compared the numbers of neurons in the visual thalamus (lateral geniculate nucleus; LGN) and area VI across primate species. Here I find that the number of V1 neurons increases as the 3/2 power of the number of LGN neurons. As a consequence of this scaling law, the human, for example, uses four times as many V1 neurons per LGN neuron (356) to process visual information as does a tarsier.

Stevens vermutet, dass seine Ergebnisse auch auf andere Hirnregionen übertragbar sind.

Jon H. Kaas und Christine E. Collins von der Vanderbilt University, Nashville, Tennessee diskutieren in der gleichen Ausgabe von Nature die Konsequenzen dieser neuen Erkenntnisse in einen News-and-Views-Artikel. Sie betonen die Bedeutung von Forschung an noch lebenden Säugetieren, um Erkenntnisse über die Evolution des Gehirns zu erhalten, da Fossilien kaum Schlüsse auf Hirnbeschaffenheit und Funktion zulassen. Sie zitieren verschiedene Forschungsberichte, darunter auch die wegweisende Studie von Finlay, Darlington und Nicastro: Developmental structure in brain evolution, die online zugänglich ist. Ihre Schlüsse aus allen bisher vorliegenden Untersuchungen klingen logisch, machen aber auch deutlich, dass noch viel Forschung nötig sein wird, bevor die Evolution des menschlichen Hirns wirklich verstanden werden kann:

Indeed, the outlines of patterns of brain evolution are starting to emerge. It seems fair to conclude that mammals have a characteristic pattern of brain development, which has been distorted during evolution as brains became larger. It also seems reasonable that the size of one brain structure in relation to another varies from species to species, and that these variations occur in ways that should reflect the importance of the function of that structure. Finally, groups that share a common ancestor are characterized by basic similarities in brain organization. But we are far from a complete understanding of brain evolution. We need to know more about the details of brain organization (the sizes, numbers, identities and interconnections of subcortical nuclei and cortical areas) for more species, and what these differences might mean for function.