Skandal, die Grünen sind keine Atomkraft-Fans!

Halb welke Sonnenblume symbolisiert den Markenkern der Grünen

Der alte Markenkern der Grünen hat in vieler Hinsicht gelitten. Wo er noch durchschimmert, hagelt es Kritik. Symbolbild: Pixabay Licence

Sturm im Wasserglas um Robert Habeck wegen Atomausstieg überschattet Kritik an verwässertem Klimaschutzgesetz. Ein Kommentar.

Den Grünen kann viel vorgeworfen werden – echte Ökos halten sie mittlerweile für gnadenlose Opportunisten. Innerhalb der politischen Klasse und in konservativen wie neoliberalen Medien wird aber eher skandalisiert, dass die Grünen hier und da noch nicht den letzten Rest ihrer Gründungsideale über Bord geworfen haben.

Die Grünen und ein ungeheuerlicher Verdacht

Sie werden unter anderem verdächtigt, immer noch grundsätzliche Vorbehalte und Sicherheitsbedenken gegen Atomkraft zu haben – und nicht bei jedem tatsächlichen oder vermeintlichen Argument pro Atomkraft vor Ehrfurcht im Boden zu versinken. Ein bisschen interessiert sie vielleicht auch noch, wofür sie gewählt worden sind.

Am Freitag musste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Klima- und Energieausschuss des Bundestags Rede und Antwort stehen, weil laut einem Bericht des Magazins Cicero "Strippenzieher der Grünen 2022 die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke manipuliert" hatten. Kritik am Atomausstieg sei in Habecks Ministerium ignoriert worden, hieß es.

Pläne für Atomausstieg stammten von Altkanzlerin Merkel

Ursprünglich waren die Ausstiegspläne aber 2011 von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) unter dem Schock der Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeleitet worden – die Debatte um die Laufzeitverlängerung war 2022 wegen des befürchteten Gasmangels nach Beginn des Ukraine-Kriegs aufgekommen.

Damals waren in Deutschland noch drei Atomkraftwerke in Betrieb, deren Abschaltung für Ende 2022 geplant war. Als im Sommer die Gaslieferungen aus Russland zunächst gedrosselt und später gestoppt worden waren, hatte die Bundesregierung beschlossen, die Laufzeiten der drei Kernkraftwerke bis Mitte April 2023 zu verlängern.

Habeck: Akw-Akten erzählen andere Geschichte

Habeck verwies vor einer Sondersitzung des Ausschusses auch auf die "Drucksituation" im Frühjahr 2022. "Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte", sagte er in Bezug auf die Akw-Akten, über die Cicero berichtet hatte.

Im März des vorvergangenen Jahres hätten Akw-Betreiber mitgeteilt, die Brennelemente seien "ausgelutscht", da ginge nichts mehr, so Habeck. Er und sein Ministerium seien schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs auf die Betreiber zugegangen, um zu fragen: "Geht denn noch was?"

Erst Ruf nach Habeck-Rücktritt, dann versöhnliche Töne

Auch der Koalitionspartner FDP hatte am Freitag auf Transparenz gedrungen – ein Vorstandsmitglied forderte laut einem Bericht der Bild sogar Habecks Rücktritt.

Nach der Befragung Habecks im Ausschuss schlugen FDP-Politiker aber ganz andere Töne an: Es mache keinen Sinn, "über irgendwelche Rücktritte zu philosophieren" sagte der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, nach der Sondersitzung.

"So wie der Minister es heute dargestellt hat, ist es völlig logisch, wie er entschieden hat", so der FDP-Politiker laut einem Bericht des Magazins Der Spiegel. Im Moment sei Habeck kein Fehlverhalten nachzuweisen. Ein Sturm im Wasserglas also.

CDU und BSW für Untersuchungsausschuss?

CDU-Politiker hatten diesbezüglich einen Untersuchungsausschuss gefordert, die Ko-Vorsitzende des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) – Sahra Wagenknecht – meinte im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Solange die Vorwürfe, dass der Sicherheit der Energieversorgung aktiv geschadet wurde, nicht ausgeräumt sind, darf auch ein Untersuchungsausschuss kein Tabu sein".

"Eher würden sich die Grünen selbst eine Hand abhacken, als das für die Ideologen der Partei wichtigste Ziel zu gefährden: das endgültige Aus für die Atomkraft in Deutschland", hieß es in einem Kommentar von Thomas Berbner in den ARD-Tagesthemen.

Ganz andere Sorgen dürften am Freitag Menschen aus der umweltbewussten Zielgruppe der Grünen gehabt haben, denn was da als Reform des Klimaschutzgesetzes im Bundestag beschlossen wurde, muss aus ihrer Sicht eine weitere Enttäuschung sein.

Viel Frust für die klassisch grüne Zielgruppe

Sowohl ältere Basis-Grüne als auch viele der 2021 erstmals Wahlberechtigten aus dem Spektrum von Fridays for Future waren schon vom Ergebnis der Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien enttäuscht, nachdem sie den Grünen in der Hoffnung auf mehr Klimaschutz ihre Stimme gegeben hatten.

Die Grünen ließen sich vom kleinen, aber dominanten Koalitionspartner FDP am Nasenring durch die Manege ziehen – so gibt es bis heute in Deutschland kein allgemeines Tempolimit, im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas und selbst zu den USA, dem Land der Roadmovies.

Tempolimit mehrheitsfähig, aber für Grüne undurchsetzbar?

Dabei gibt es selbst laut einer Umfrage im Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) eine Mehrheit für eine solche Geschwindigkeitsbegrenzung: 54 Prozent der ADAC-Mitglieder sprachen sich 2023 dafür aus.

In Umfragen, an denen auch Menschen aus Haushalten ohne Pkw teilnehmen, sind es teils über 60 Prozent, die die Frage nach einem Tempolimit von 130 Stundenkilometern mit "ja" oder "eher ja" beantworten.

Die FDP lässt diesbezüglich nicht mit sich reden – was nicht der Hauptgrund sein dürfte, warum sie als Partei der sozialen Kälte in Umfragen an der Fünf-Prozent-Marke herumdümpelt – und die Grünen haben diese Kröte geschluckt.

Weitere Enttäuschungen für Umweltbewusste

Mit dem Bau von LNG-Terminals für fossiles Flüssigerdgas in der Ostsee und langfristigen Lieferverträgen hat Robert Habeck als grüner Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz die umweltbewusste Zielgruppe noch einmal enttäuscht.

Nun ist am Freitag auch noch das Klimaschutzgesetz vor allem zugunsten eines Ministers mit FDP-Parteibuch aufgeweicht worden – und das mit Zustimmung eines Großteils der Grünen-Abgeordneten im Bundestag.

Klimaschutz aufgeweicht: FDP-Minister profitiert am meisten

Die Bundestagsgruppe Die Linke spricht von einer "Lex Wissing", weil Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) derjenige ist, der am meisten vom Wegfall der Sektorziele im Klimaschutzgesetz profitiert. Schließlich hatte er für die Einhaltung dieser Sektorziele nie einen Plan und glänzte stets durch Arbeitsverweigerung, während er für ein Flugtaxi-Startup 150 Millionen Euro an Steuergeldern locker machen will.

Im Ampel-Kabinett zählt also nur noch, wie viele Emissionen insgesamt eingespart werden; vergleichbar mit dem Notendurchschnitt einer Schulklasse, in der nicht mehr die Leistung des Einzelnen über seine Versetzung entscheidet. Die FDP wäre überall sonst gegen ein solches "Leistungsprinzip"; und Wissings Motivation dürfte damit weiter sinken.

Nur wenige Abweichlerinnen bei den Grünen

Nur wenige Abweichlerinnen aus den Reihen der Grünen haben dieser Verwässerung des Klimaschutzgesetzes nicht zugestimmt.

"Wer sich als Minister dem Klimaschutz verweigert, muss dafür zur Verantwortung gezogen werden können, notfalls vor Gericht. Ich möchte den Klimaschutz nicht um diese Stärke berauben", begründete die Grünen-Politikerin Jamila Schäfer am Freitag ihre Nein-Stimme auf der Plattform X. Auch ihre Fraktionskollegin Lisa Badum stimmte dagegen. Sie befürchte, "dass so nicht ausreichend Maßnahmen im Verkehrssektor verabschiedet werden", schrieb sie zur Begründung.

Aber dieser Konflikt ging am Freitag in Medien und "sozialen Netzwerken" beinahe unter. Zu groß war die Aufregung der Atomkraft-Fans und rechtspopulistischer Kreise, die den Grünen nicht zu viel, sondern zu wenig Opportunismus vorwerfen.