So hart und feindlich wie die Wüste selbst

"The Winds of Change" in Saudi-Arabien

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Noch eine "historische Wahl", die gestern zu Ende ging: Saudische Bürger, die Frauen ausgeschlossen, gaben am Donnerstag ihre Stimmen für Kommunalparlamente in der westlichen und nördlichen Region des Königreiches ab. Zu großen Schlagzeilen taugten die "Landmark Elections" (vgl. Saudische Wahlen?) in den westlichen Medien nicht. Die Ergebnisse werden wohl irgendwann in einer kurzen Meldung auf den Nachrichtenseiten der großen Zeitungen auftauchen, Sensationen werden ohnehin nicht erwartet.

Für das Königshaus und dessen Freunde in Washington ist es vor allen Dingen ein Imagegewinn: Auch in Saudi-Arabien bläst der Wind der Demokratie: "The Winds of Change". So oder ähnlich werden die Kommunalwahlen wohl künftig in Reden über die politische Transformation der arabischen Welt gefeiert werden. Tatsächlich aber haben das Königshaus und die religiösen Hardliner das Land im festen, totalitären Griff. Sogar mehr denn je.

In der letzten Phase der "historischen Wahlen" (vgl. Saudische Wahlen?) kamen etwa die Hälfte der registrierten Wähler zu den 258 Wahllokalen in Mekka, Dschedda, Medina und anderen Städten der nordwestlichen Provinzen. Gewählt wurde also in den religiösen Hochburgen, dazu in der Al-Dschuf-Provinz, der Machtbasis des Sudairi-Clans der Königsfamilie, König Fahd zählt dazu und dessen sechs "Vollbrüder", weswegen der Clan auch die Sudairi-Sieben genannt wird.

Große politische Veränderungen müssen die saudischen Royals von den Wahlen nicht befürchten. Die Kandidaten waren vor allen Dingen reiche Geschäftsleute und eine Liste, die von den religiösen Autoritäten abgesegnet worden ist. Wer die "Goldene Liste" ablehnte, weil er sich von Wahhabiten nicht in die Ausübung seines freien Wahlrechts hineinregieren lassen wollte, wählte eben einen der Kandidaten, der sich als Geschäftsmann in einem schön ausgestatteten Zelt präsentierte und zum Essen einlud. Sehr viel Wahlkampf wurde außerdem über SMS-Botschaften ausgetragen, wie die Arab-News berichtete. Eine elitäre Angelegenheit, also.

Ein erster, vorsichtiger, stark reglementierter Schritt zu allmählichen Reformen im besten Fall - als Beispiel dafür ließe sich anführen, dass die diskriminierte schiitische Minderheit des Landes (15%) in der zweiten Runde im Osten auf einige Repräsentanten in den Kommunalparlamenten hoffen durfte). Die Hälfte der Sitze in allen Kommunalparlamenten war ohnehin schon vergeben. Deren Mandate werden nämlich von der Herrscherfamilie vergeben und die zweite Hälfte geht aller Wahrscheinlichkeit nach, wie die Ergebnisse des ersten Wahlgangs in der Hauptstadt Riad zeigen, an bewährte Kräfte - an stark religiös gefärbte Kandidaten, um nicht gleich zu sagen: an wahhabitische Islamisten.

Der Wahhabismus ist Despotismus. Er spricht nie von Liebe. Musik, Kunst, alles Menschliche, Schöne und Zarte ist verbannt. Der Wahhabismus ist eine harsche Theologie, so hart und so feindlich wie die Wüste selbst.

Khaled Abou El Fadl

Teuflischer Pizzaservice

Dass die wahhabitischen Gralswächter trotz der "großen Reformdebatte" im Königreich mit ihren reaktionären unerbittlich strengen Maximen die Erziehung der saudischen Jugend bestimmen und den saudi-arabischen Alltag prägen , kann man beinahe jeden Tag in anekdotischer Form in einem Kommentar der reformfreudigen Arab-News wieder finden. Ob es nun darum geht, wie der Sohn den Vater, der sich eine Show im TV ansieht, in der die Frauen unverschleiert auftreten, darüber aufklärt, dass sie alle "verdammt" sind und in die "Hölle" gehören oder die Geistlichen sich über den Pizza-Homeservice aufregen, da er das Private "beschmutzt" und es Frauen nicht erlaubt ist, die Tür zu öffnen, die Pizza nur in Gegenwart eines männlichen Verwandten oder Beschützers geliefert werden darf, - den Alltagsberichten ist vor allem eins gemeinsam: Es wird keine Alternative zur bestehenden, dogmatischen Sichtweise zugelassen. Die Bevölkerung wird, so gut es geht, blind gehalten.

Auch ins Ausland dringt nur Ausgewähltes. So hat sich Saudi-Arabien in den letzten Monaten nach außen einerseits als Reformen gegenüber aufgeschlossen präsentiert und zum anderen als unerbittlicher, radikaler Kämpfer gegen den Terrorismus, als verlässlicher, zentraler Partner im "War on Terror". Auch heute werden zwei tote Extremisten gemeldet (allerdings bei zwei Verlusten seitens der saudischen Sicherheitskräfte). Anfang des Monats sorgte ein mehrtägiger Schusswechsel zwischen Sicherheitskräften und extremistischen Kräften für internationales Aufsehen. 16 Militante sollen dabei umgekommen sein, darunter Saleh al-Aufi, der im Verdacht stand, Chef der saudi-arabischen Filiale der Al-Qaida gewesen zu sein. Unter den anderen Toten waren, fast schon obligatorisch bei dergleichen Meldungen, noch einige andere gesuchte Topterroristen.

Solche Erfolgsmeldungen bestärken das Bild, das sich Saudi-Arabien in der Folge des 11.9. nach außen geben will. Vergessen oder gar unterschlagen wird dabei aber die andere Seite. Wie viele andere autoritäre Regimes (vgl. In die Welt von Kafka und Orwell) nutzt das Königreich den Kampf gegen den Terrorismus auch dazu, die Schraube für Regimegegner oder einfach nur missliebiger Bürger jeglicher Herkunft stark anzuziehen und scheut dabei kein Mittel, um die Furcht der Bevölkerung lebendig zu halten. Dagegen sind die oben genannten Anekdoten aus der Praxis der Glaubenswächter doch recht harmlos.

So wurden Anfang dieses Monats Rebellen (offiziell "Criminals") in der Al-Dschuf-Provinz gekreuzigt und enthauptet auf dem Marktplatz der Provinzhauptstadt Sakaka präsentiert. Anfang des Jahres wurden Demonstranten, die im Dezember letzten Jahres bei einer Kundgebung eine "gewählte Regierung, unabhängige Rechtssprechung und eine neue islamische Verfassung" forderten, zu 100 bis 250 Peitschenhieben und zwei bis sechs Monaten Haft verurteilt. Dem Organisator dieses "kriminellen Aktes" – die saudischen Behörden meinen damit die Demonstration -, Saad al-Faqih, ein Dissident, der in London lebt, werden unbewiesene Verbindungen zur Al-Qaida unterstellt. Eine Denunzierung, wie der britische Journalist John R. Bradley, der sich lange in dem arabischen Land aufgehalten hat, betont. Gleichwohl haben sich die USA dieser Ansicht (ungeprüft?) angeschlossen.

In dieser Weise lässt sich entsprechend viel als Erfolg im "War on Terror" verbuchen, was im Grunde eine grausame, niederträchtige Verletzung von elementaren Menschenrechten ist. In diesem Jahr wurden in Saudi-Arabien schon 40 Menschen öffentlich enthauptet, mehr als im ganzen letzten Jahr. 2002 wurden noch drei Männer im Süden des Landes enthauptet, weil sie homosexuell und also "unislamisch" waren. Die internationale Gemeinschaft entrüstete sich, die Saudischen Behörden, bang um ihre internationale Reputation, reagierten mit "Verbesserungen": u. a. wurde der Zugang zu einer Webseite, die unter saudi-arabischen Schwulen beliebt war, für kurze Zeit wieder geöffnet. Jetzt ist er erneut blockiert. Mehr als 100 junge Männer, die kürzlich bei Razzien in Dscheddah wegen "Tanzen" und "femininem Gebaren" verhaftet wurden, sind bei Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, ohne Verteidiger zu 14.200 Peitschenhieben verurteilt worden.

Aber mit dem neuen Haushaltsüberschuss von 60 Milliarden lässt sich manches anfangen, um die Politik von "Zuckerbrot und Peitsche" fortzuführen. Ob sich allerdings auch die Hundertschaften von Dschihadi-Heimkehrern aus dem Irak von Infrastruktur-Verbesserungen und manch anderen milden Gaben aus dem Überschusstopf durch solche "Almosen" von ihrem Kampf gegen amerikanische Kollaborateure – Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden hat schon vor längerem zum heiligen Krieg gegen die saudische Herrscherfamilie ausgerufen – ablenken lassen? Die "neue Stabilität" in Saudi-Arabien steht auf dünnem Boden.