So praktisch wie eine gute Theorie

Fragestunde mit dem Bundespräsidenten: Johannes Rau in der Humboldt-Universität

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Wie gut, dass Johannes Rau schon vorher gesagt hat, "vor allem zum Zuhören" gekommen zu sein. Denn es gibt Sätze, die tarnen sich zwar als Fragen, enden aber nach langer, viel zu langer Zeit nicht mit einem Fragezeichen, sondern mit einem Punkt. Manchmal auch mit einem Ausrufezeichen. Eine Antwort ist oft nicht erwünscht.

"Vielen Dank", sagt der Bundespräsident dann freundlich, der sich gestern im Senatssaal in der Humboldt-Universität den Fragen von Studierenden und Wissenschaftlern zur Situation an den Hochschulen gestellt hat, und gibt das Mikrofon an den nächsten weiter. Zum Zuhören ist er aber auch deshalb gekommen, weil seine aktive Zeit als Wissenschaftsminister der SPD in Nordrhein-Westfalen schon mehr als 20 Jahre zurückliegt. Mit Details ist er daher nicht mehr vertraut. "Seither habe ich die Bildungspolitik etwas vernachlässigt, weil ich als Ministerpräsident auch allen anderen Bereichen der Gesellschaft gerecht werden musste", erklärt er.

Und einer kontroversen Diskussion um tagesaktuelle Probleme stehe sein jetziges Amt als Bundespräsident ja sowieso im Weg. Als eine Studentin von ihm wissen will, wie er denn zur Einführung von Studiengebühren stehe, sagt er entschuldigend: "Dazu darf ich meine Meinung leider nicht äußern." In seinem Amt habe er sich aus der Parteipolitik herauszuhalten. "Aber das sind doch meist die spannendsten Fragen", protestiert die Studentin. "Ja, schon", gibt Johannes Rau zu, "aber das ist der Preis des Amtes". Und nach einem Augenblick des Nachdenkens fügt er noch an: "Aber das Amt ist trotzdem sehr schön."

Zur Studienberatung, um die ihn ein anderer Student bittet, dessen Fachbereich kurz vor der Streichung steht, kann er "im Einzelfall" ebenfalls nichts sagen. Dafür macht er ihm ein erstaunliches Angebot: "Wissen Sie was? Wenn Sie mir ihre Adresse geben, dann kümmere ich mich darum." Ansonsten spricht er in der Fragestunde, die nach exakt 60 Minuten "nicht langsam, sondern sofort" beendet ist, eine Reihe von allgemeinen Weisheiten aus ("Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie"). Für andere hat er Nettigkeiten übrig: "Ich bewundere Sie allein schon für Ihre Fächerkombination", sagt er zu einer Studentin der Mathematik und Volkswirtschaft. Ganz am Ende macht er doch noch eine Bemerkung zur Hochschulpolitik und den Reformanstrengungen der Länder: "In manchen Punkten würde ich den Finanzministern widersprechen", lässt er sich entlocken. Aber dann setzt er hinzu: "Nur beeindrucken kann ich sie damit leider nicht." Macht ja nichts, Johannes Rau ist ja in die Humboldt-Universität auch vor allem zum Zuhören gekommen.