So rüstet Deutschland auf

Seite 3: Handlungsdruck statt Zwei-Prozent-Ziel

Der auf Grundlage der Einigung zwischen Ampel und Union ebenfalls vorgelegte Entwurf für ein "Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘" gibt Aufschluss über gleich mehrere bislang unbekannte Faktoren, namentlich Anfang und Gesamtdauer sowie die Bemessungsgrundlage für die Verrechnung mit dem Zwei-Prozent-Ziel:

Mit Hilfe des Sondervermögens werden im mehrjährigen Durchschnitt von maximal f ünf Jahren zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Basis der aktuellen Regierungsprognose für Verteidigungsausgaben nach NATO-Kriterien bereitgestellt. […] Das Sondervermögen hat den Zweck, die Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zu stärken und dazu ab dem Jahr 2022 die Fähigkeitslücken der Bundeswehr zu schließen, um damit auch den deutschen Beitrag zu den geltenden NATO-Fähigkeitszielen gewährleisten zu können.

Nach Nato-Kriterien, die viele versteckte Kosten mit berücksichtigen, belief sich der deutsche Militärhaushalt 2021 auf 53 Milliarden Euro (offiziell: 46,9 Milliarden Euro).

Die neuen Zahlen liegen noch nicht vor, aber auch für 2022 ist von einer mindestens ebenso großen Differenz auszugehen, bei der Nato dürften also nicht unter 56 Milliarden Euro angezeigt werden (offiziell: 50,4 Milliarden Euro).

Laut Prognose des Deutschen Institut für Wirtschaft vom Mai 2022 soll das BIP in diesem Jahr um drei Prozent auf rund 3,68 Billionen Euro steigen – das Zwei-Prozent-Ziel würde demzufolge 73,5 Milliarden Euro betragen, es ergäbe sich also eine Deckungslücke von 17,5 Milliarden Euro, die bereits dieses Jahr dem Sondervermögen entnommen werden müssten.

In den aktuellen Eckwerten des Bundeshaushaltes vom 16. März 2022 sind für die Jahre 2023 bis 2026 jährliche offizielle Militärausgaben von 50,1 Milliarden Euro vorgesehen, was bedeutet, dass die Lücke bei steigendem BIP und unter Berücksichtigung der Nato-Kriterien im Schnitt mindestens rund 20 Milliarden Euro betragen dürfte.

In diesem Fall wäre das Sondervermögen dann in der Tat, wie im Gesetzentwurf bereits angedeutet, spätestens nach fünf Jahren aufgebraucht. Berechnungen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) gehen sogar davon aus, dass der Topf wäre bereits 2025 leer sein wird. Die entscheidende Frage ist: Was passiert danach mit dem offiziellen Militärhaushalt und dem Zwei-Prozent-Ziel?

Eine Option wäre es, den offiziellen Haushalt tatsächlich, wie in den Eckwerte-Planungen vorgesehen, bei etwa 50 Milliarden Euro zu belassen, dann müsste man sich 2025/2026 aber entweder vom Zwei-Prozent-Ziel verabschieden oder das Budget schlagartig um 25 bis 30 Mrd. Euro anheben – und das bei Einhaltung der "Schwarzen Null", das heißt auf Kosten massiver Einsparungen in anderen Haushalten.

Vor diesem Hintergrund beharrte die Union lange darauf, sogar das Zwei-Prozent-Ziel als verbindliche Untergrenze des Militärhaushaltes mit in die Grundgesetzänderung aufzunehmen. Das zumindest ist nach der Einigung erst einmal vom Tisch. Die Union habe sich in dieser Frage "nicht durchsetzen" können, ist in der Presse zu lesen.

Allerdings heißt es nun aus den Reihen der Unionsfraktion, das sei ohnehin nie das Ziel gewesen, das Zwei-Prozent-Ziel solle vielmehr über ein kommendes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz auch nach Aufbrauchen des Sondervermögens gewährleistet werden:

Union-Fraktionsvize (Johann) Wadephul betont, ein eigenes Bundeswehr-Finanzierungsgesetz solle die Details zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels absichern. Die Lösung sieht nun so aus, erläutert er auf Tagesspiegel-Anfrage: Der Bund verpflichte sich mit dem Bundeswehr-Finanzierungsgesetz erstmalig per Gesetz, die zwei Prozent, also aktuell rund 70 Milliarden Euro im Jahr, für die Bundeswehr und Verteidigung, dauerhaft einzuhalten. ‚Das geschieht zunächst durch den Bundeshaushalt plus Sondervermögen. Wenn dieses aufgebraucht ist, muss der Bundeshaushalt entsprechend erhöht werden‘, so Wadephul.

Tagesspiegel

Gemeint ist hier wohl das bereits erwähnte "Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘" – die Interpretation von Wadepuhl, dadurch werde die Regierung verpflichtet, dauerhaft die zwei Prozent einzuhalten, ist aber gelinde gesagt gewagt.

Im Gesetzentwurf heißt es: "Nach Verausgabung des Sondervermögens werden aus dem Bundeshaushalt weiterhin die finanziellen Mittel bereitgestellt, um das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr und den deutschen Beitrag zu den dann jeweils geltenden Nato-Fähigkeitszielen zu gewährleisten."

Die Verpflichtung auf die Nato-Fähigkeitsziele ist allerdings mehr als vage, schließlich hat die Bundesregierung einen weiten Spielraum, selbst zu entscheiden, wie viel sie ins Bündnis einbringen will, wobei die Bundeswehr noch im Februar 2022 berechnete, für die bisherigen Zusagen würden "nur" 1,5 Prozent des BIP benötigt.

Wie es weitergeht, ist also relativ unklar – wahrscheinlich werden die Eckwerte im kommenden Jahr aber wieder einkassiert und der offizielle Haushalt zwar nicht sofort komplett, wohl doch substanziell weiter in Richtung Zwei-Prozent-Ziel angehoben, um das Sondervermögen zu strecken.

Denn der von der Regierung parallel vorgelegte Wirtschaftsplan zum Sondervermögen enthält Rüstungsprojekte, mit denen ein enormer Druck in diese Richtung erzeugt wird.