Soll man Kinder kriegen oder nicht?

Seite 4: Die Antinatalisten als Menschenfeinde

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Der Antinatalismus kann natürlich auch ganz schreckliche Folgen mit sich bringen, wenn sich ein Staat anmaßt, die Privatangelegenheit der Menschen zu bestimmen. Im 18. Jahrhundert warnte der Ökonom Thomas Robert Malthus (1766-1834) vor einer vermeintlichen Überbevölkerung, forderte eine Abschaffung der ohnehin bescheidenen Armenfürsorge und freute sich sogar über sterbende Menschen:

Kriege - die stille, aber sichere Vernichtung von Menschenleben in großen Städten und Fabriken - und die engen Wohnungen und ungenügende Nahrung vieler Armen - hindern die Bevölkerung daran, über die Subsistenzmittel hinaus zu wachsen und […] vernichten, was überflüssig ist.

Malthus

Chinas antinatalistische Ein-Kind-Politik mag hingegen teils nachvollziehbare Beweggründe haben, doch in der Praxis übt der Staat massiven Zwang aus und bestraft die Eltern von mehreren Kindern mit hohen Geldbußen - die Zweitgeborenen erhalten vom Staat keinen Pass und können somit kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Noch grausamer war der NS-Faschismus, der sogenannte "asoziale Ballastexistenzen" zwangssterilisierte und gemäß seiner menschenverachtenden "Rassenlehre" nur "arischen" Menschen eine Lebensberechtigung zusprach.

Die Befürworter solcher menschenverachtenden Repressionen möchten nicht die Kinder vor dem Leid der Welt bewahren, sondern die Welt (oder sich selbst) vor den Kindern. Der philosophische Antinatalismus hingegen möchte Leid verringern, nicht mehren. Es gibt etliche Berichte von KZ-Überlebenden, die sagen, dass man in einer solch unvorstellbar grausamen Welt keine Kinder zeugen dürfe.

Der Philosoph Robert Nozick (1938-2002) betonte, dass die Menschheit nach der Shoa ihren Anspruch auf ein Fortbestehen verloren habe und sich besser aus dem Universum verabschieden solle. Andere Antinatalisten wiederum, wie etwa Benatar, halten bereits das durchschnittliche Menschenleben - auch eines ohne Armut, Mord und Totschlag - für derart miserabel, dass sie ein Aussterben der Menschheit befürworten.

Einig sind sich die meisten philosophischen Antinatalisten darüber, dass diese Theorie einzig und allein auf freiwilliger Basis umgesetzt werden kann. Ein Beispiel dafür bietet das 1991 gegründete "Voluntary Human Extinction Movement", ein Zusammenschluss von Menschen, die unter dem Motto "mögen wir gut leben - und aussterben" versuchen, die Menschheit argumentativ vom Antinatalismus zu überzeugen.

Erst dann, wenn die Menschen vom Erdball verschwinden, ist auch das Elend aus der Welt. Oder, um es mit Mahatma Gandhi zu sagen: "Ich meine ganz und gar nicht, dass die Fortpflanzung eine Pflicht ist oder dass die Welt ohne sie einen Verlust erleiden würde. Stell dir vor, jegliche Fortpflanzung würde eingestellt, diese würde nur bedeuten, dass es keinerlei Zerstörung mehr gibt."

Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin. Kaum ein Weltbild provoziert so sehr wie der Antinatalismus. Der Autor vertritt in diesem Artikel nicht die Position des Antinatalismus, sondern möchte lediglich dieses oft ignorierte und verdrängte Thema zur Diskussion stellen.