Soll man Kinder kriegen oder nicht?

Seite 3: Die Antinatalisten als Menschenfreunde

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Hier finden wir den Übergang vom subjektiven Empfinden hin zum objektiven Argument. Denn viele Antinatalisten beharren darauf, dass sie gewichtige Gründe für ihre Position haben.

Einer der weltweit führenden Antinatalisten, der Philosophieprofessor David Benatar (*1966), betont ausdrücklich, dass er Kinder nicht hasst und schon gar nicht eliminieren möchte. Allein die Geburt neuer Kinder sei fragwürdig - und zwar aus philosophischen Gründen: Benatar, dessen Schriften ebenfalls einen großen Einfluss auf "True Detective" hatten, schreibt in seinem Buch "Better Never to Have Been" (2006):

Es ist merkwürdig, dass gute Menschen alles dafür geben, ihre Kinder vor Leid zu schützen, während wenige von ihnen zu bemerken scheinen, dass der einzige garantierte Weg, alles Leid von ihren Kindern abzuhalten darin besteht, diese Kinder erst gar nicht in die Welt zu setzen. […] Einige antinatalistische Positionen beruhen entweder darauf, dass man keine Kinder mag oder darauf, dass man die Interessen der Eltern berücksichtigt, die dann mehr Freiheit und Mittel haben, wenn sie keine Kinder haben oder welche aufziehen. Mein antinatalistisches Weltbild ist anders. Es entspringt nicht der Abneigung gegen Kinder, sondern im Gegenteil dem Anliegen, das Leid potentieller Kinder zu verhindern.

David Benatar

Demzufolge bezeichnet sich Benatar nicht als Misanthrop, sondern im Gegenteil als Menschenfreund.

Er geht davon aus, dass jedes menschliche Leben mehr Leid als Glück aufweist. Es gebe beispielsweise chronisches Leid, aber keine chronische Freude. Deshalb sei es moralisch verwerflich, Kinder zu zeugen. Die Kernargumentation von Benatar lautet:

  1. Das Vorhandensein von Leid ist schlecht.
  2. Das Vorhandensein von Glück ist gut.
  3. Das Nichtvorhandensein von Leid ist gut (egal, ob es Menschen gibt oder nicht).
  4. Das Nichtvorhandensein von Glück ist nicht schlecht (außer dann, wenn ein bereits existierender Mensch seines Glücks beraubt wird).

Entscheidend ist die Asymmetrie zwischen Leid und Glück und folglich die Asymmetrie zwischen Punkt 3 und 4. Leid wiegt auf der ethischen Waagschale schwerer als Glück. Daraus folgt: Es gibt eine moralische Pflicht, keine leidenden Menschen in die Welt zu setzen. Es gibt jedoch keine moralische Pflicht, glückliche Menschen in die Welt zu setzen. Deshalb sei es immer eine moralisch schlechte Tat, einen Menschen zu zeugen. Unterlässt man es jedoch einfach, einen Menschen zu zeugen, ist das nicht schlecht.

"Weniger Glück ist nur dann ein Übel, wenn man eine Person ausmachen kann, für die das Fehlen von Glück auch ein Übel ist", schreibt Benatar. Wenn ein Mensch erst gar nicht existiert, dann kann er auch kein Leid erfahren. Ist die Person aber auf der Welt, dann erfährt sie zwangsläufig Leid.

Das fehlende Glück ist kein Glück, dessen jemand beraubt wird. Doch das Leid ist unwiderruflich in der Welt, sobald jemand geboren wurde: "Wenn Menschen Kinder haben, spielen sie russisches Roulette mit der Waffe an der Schläfe ihres Kindes", so Benatar.