Sollen die US-Präsidentschaftswahlen kurz nach einem Terroranschlag verschoben werden?
Der von US-Präsident Bush berufene Vorsitzende der Election Assistance Commission macht sich darüber Gedanken - zurecht aus unterschiedlichen Gründen
Die vom US-Präsidenten Bush einberufene Election Assistance Commission hat vor den Präsidentschaftswahlen mit dem Misstrauen gegenüber Wahlcomputern zu kämpfen: Nach dem Debakel bei den letzten Wahlen mit alten Wahlmaschinen hatte die US-Regierung mit dem Help America Vote Act ein milliardenschweres Programm aufgelegt, um den Kauf von Wahlcomputern zu unterstützen (Das Problem mit den elektronischen Wahlsystemen und der amerikanischen Demokratie). Es stellte sich aber heraus, dass hier die Möglichkeit einer Manipulation besteht, weswegen Kritiker neben anderen Verbesserungen vor allem einen Ausdruck als Sicherung verlangen (Kalifornien verbietet elektronische Wahlsysteme von Diebold). Doch DeForest Soaries, der Vorsitzende der Kommission, macht sich auch noch seine Gedanken, was geschehen sollte, wenn zur Wahl ein Terroranschlag erfolgen sollte.
Ob Soaries, den Bush letztes Jahr zum Vorsitzenden der Kommission berief, gerade für die Aufgabe, das Vertrauen in die Wahlcomputer wiederherzustellen, die nötigen Kenntnisse besitzt, ist zweifelhaft. Soaries ist Republikaner, ein Theologe und Geistlicher in der baptistischen Kirche. Seine Ernennung dürfte also vorwiegend politischen Zielen gehorchen. Auch wenn die Kommission nur beratend tätig ist und keine Änderungen durchsetzen kann, empfahl sie unlängst immerhin, dass die Wahlcomputer-Hersteller die Quellcodes der Software den Wahlhelfern offenlegen sollen, die dafür vertraglich die Vertraulichkeit zusichern müssten. Zudem sollten für die Wahlen im November verstärkte Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden, beispielsweise eine Bestätigung der Stimmabgabe durch einen Ausdruck, Verschlüsselung oder parallele Kontrolle.
Ob die Umsetzung der Vorschläge geschieht, muss abgewartet werden. Inzwischen macht sich Soaries aber auch andere Gedanken. Was soll geschehen, wenn wieder Terroranschläge wie am 11.9. 2001 in den USA ausgeführt werden und möglicherweise Wahlen abgesagt oder verschoben werden müssten? Dafür gäbe es noch keine Richtlinien, daher hat sich Soaries an die Sicherheitsberaterin Rice und den Heimatschutzminister Ridge gewandt, um das Thema anzusprechen. Bislang hätte er aber noch keine Antwort erhalten, eine Diskussion habe noch nicht stattgefunden.
Terroristenstrategie zur Beeinflussung von Wahlen
Auch wenn manche Verschwörungsliebhaber sich gleich ihre Gedanken über diesen Vorstoß machen werden, ist das Problem zumindest seit dem 11. März akut (Blutiger Wahlkampf in Spanien). Mit Absicht hatten die Terroristen kurz vor den spanischen Wahlen die Terroranschläge in Madrid ausgeführt, um die Wahlen zu beeinflussen. Die konservative Regierung war ein enger Alliierter der Bush-Politik und hatte auch Soldaten in den Irak geschickt, was weite Teile der Bevölkerung ablehnte. Schon vor dem März hab es Angriffe auf Spanier im Irak. Die anstehenden Wahlen war dann ein gutes Mittel, um durch Wahlen die konservative Regierung aus dem Amt zu treiben, wenn Terroranschläge in Spanien als Folge der spanischen Unterstützung der amerikanischen Besetzung erscheinen.
Die in einem Papier, das al-Qaida zugeschrieben wurde, ausgeführte Strategie, hatte denn auch Erfolg, auch wenn die konservative Regierung durch unglaubwürdiges taktisches Verhalten und Verschleiern dazu ein gutes Stück beigetragen hat (Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien). Der Erfolg dürfte islamistische Terroristen bestätigt haben, dass die Zeit vor Wahlen eine günstige Gelegenheit ist, um durch Anschläge die Politik in einem Land zu beeinflussen.
Natürlich bringen Terroranschläge nicht notwendig die Opposition an die Macht. Sollten diese zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen geplant werden, so wäre der Ausgang wohl ungewiss. Womöglich könnte der demokratische Kandidat Kerry gestärkt werden, wenn er argumentiert, dass der Irak-Krieg wichtige Ressourcen für den Kampf gegen und den Schutz vor Terroristen abgezogen hat. Begünstigt könnte aber auch Bush werden, weil er den Kampf gegen den Terrorismus zu einer primären Aufgabe gemacht hat. Anders als in Spanien könnten al-Qaida oder andere islamistische Gruppen durchaus auch eher ein Interesse an einer Wiederwahl von Bush haben, der bislang für eine Stärkung des islamistischen Terrorismus und eine anti-amerikanische, aber auch anti-westliche Haltung in den muslimischen Ländern viel getan hat.
Eine Bush-Regierung wäre - auch wenn der Unterschied zu einer Kerry-Regierung bislang nicht allzugroß sein dürfte - sicherlich der Wunschpartner der Terroristen. Andererseits könnte es der Bush-Regierung, die unerschütterlich eine "erhöhte" Gefährdung meldet, durchaus gelegen kommen, wenn erneut und dann noch kurz vor der Wahl ein Terroranschlag geschehen würde. Der 11.9. hatte ihr schließlich auch einen Feind und lange Zeit eine Grundlage geliefert, fast alles, einschließlich des Irak-Krieges und einer massiven Law-and-Order-Politik, durchsetzen zu können, während die Opposition keine Chance hatte. Kerry als der Gegner, der übrig geblieben ist, mag dafür symptomatisch sein.
Wer entscheidet aus welchen Gründen?
Soaries stellt erst einmal ganz praktische Fragen. Sollte ein großer Terroranschlag kurz vor den Wahlen stattfinden, so hätte sowohl die Absage oder Verschiebung als auch das Stattfindenlassen der Wahlen politische Folgen, die sich vorneweg kaum bestimmen lassen. Richtig ist, dass es für jede Entscheidung - nicht nur in den USA - rechtliche Richtlinien geben muss, um Willkür in einem solchen Fall zu vermeiden, der eine der entscheidenden Grundlagen der Demokratie betrifft. Die Frage ist denn auch, wer im Rahmen der Verfassung darüber entscheiden kann, ob im Fall von terroristischen Anschlägen, die kurz vor den Wahlen stattfinden, diese verschoben werden müssen.
Soaries will, dass die von ihm geführte Kommission aus Republikanern und Demokraten Vorschläge macht. Mitarbeiter des Weißen Hauses sollen gesagt haben, dass es für die Präsidentschaftswahlen bereits eine Vorentscheidung gebe, nämlich dass sie auf jeden Fall stattfinden sollen. Offenbar geht man im Weißen Haus davon aus, dass vor den Wahlen ein Terroranschlag in den USA geschehen wird. Ziel könnte Washington und hier das Capitol sein, aber man geht auch davon aus, dass es eine Welle kleinerer Anschläge in mehreren Städten geben könne.
Man habe sich jedenfalls in der Administration darauf vorbereitet, dass nach einem Anschlag kein Chaos eintritt. Im Weißen Haus scheint man überdies überzeugt zu sein, dass bei einem Anschlag die Bürger wieder hinter dem Präsidenten stehen werden. Ein Mitarbeiter sagte: "Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden nicht wie Spanien sein." Aber sicher dürfte es auch nicht sein, dass die Menschen ein zweites Mal genauso reagieren wie nach dem 11.9. Dafür ist seitdem zuviel passiert.