Sommerwochen sind Krisenwochen
Warum wir ein halbes Dutzend Artikel über Brandkatastrophen veröffentlichen, ob der Bitcoin scheitert und über welchen Begriff Linke und SPD streiten. Der Telepolis-Wochenrückblick mit Ausblick
Öfter als gewollt bestimmen Krisen die Nachrichtenlage. So auch jetzt, zum Ende des Sommers in Europa, wo Überschwemmungen im Norden und Brände im Süden den Menschen zusetzen. Telepolis ist alleine in den vergangenen Tagen in einem halben Dutzend Beiträgen auf die verschiedenen Feuerherde eingegangen.
Vor allem Südeuropa ist von der Entwicklung betroffen und muss parallel auch noch die Folgen der Corona-Pandemie bewältigen.
Auch dort sorgen die Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus für Kontroversen wie wir sie hierzulande erleben. In Griechenland etwa, wie unser Bild zeigt, ist die Kritik an Quarantäne und Lockdown allgegenwärtig. Kein Wunder: Je weniger die Menschen über private oder berufliche Rücklagen verfügen, desto heftiger sind sie von den erzwungenen Schließungen betroffen.
Das Spardiktat der EU hat in der Hellenischen Republik auch weitere Verheerungen zur Folge. So berichtet unser Autor Wassilis Aswestopoulos, Griechenland habe nach Kürzungen nur noch knapp 11.000 hauptamtliche Feuerwehrleute. Sie würden mit Saisonkräften und Zeitarbeitern verstärkt. "Die besonders unter dem amtierenden konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis immer wieder mit neuer moderner Ausstattung verstärkte Polizei hat rund 55.000 Beamte zur Verfügung", so Aswestopoulos‘ Vergleich.
Hintergrundberichte zu den Krisen und Katastrophen sind ein wichtiger Bestandteil der Berichterstattung von Telepolis. Wir beleuchten auch die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. So beschreibt Telepolis-Redakteurin Claudia Wangerin, wie die Brände in der Türkei die Pogromstimmung gegen die kurdische Minderheit im Erdogan-Staat befördern.
Ebenso wie in anderen Weltregionen gelten Trockenheit und Brände von Westeuropa bis Russland als Ausdruck des Klimawandels. Die russische Führung zumindest ist davon überzeugt, dass die massive Katastrophenlage vom Ural bis Sibirien kein Zufall, sondern eine direkte Folge des Klimawandels ist, schreibt unser Autor Roland Bathon:
Katastrophenschutzminister Jewgeni Sinitschew warnte Russlands Präsidenten Wladimir Putin laut einem Bericht der Tageszeitung Kommersant sogar, dass die Häufung von Naturkatastrophen zum Regelfall werden könnte. Putin betonte daraufhin die Notwendigkeit entsprechender Katastrophenschutzplanungen.
Die Bitcoin-Debatte bei Telepolis
Zu einer heftigen Kontroverse führte noch Ende Juli ein Beitrag des Wirtschaftswissenschaftlers Christian Kreiß zum Bitcoin. Kreiß prognostizierte bei Telepolis den unabwendbaren Kollaps der Kryptowährung, weil der Bitcoin "seit seiner Einführung 2009 immer mehr Strom" verbrauche. "Derzeit entspricht der Stromverbrauch etwa demjenigen der Schweiz oder der Niederlande oder dem von 30 Millionen deutschen Haushalten", so Kreiß, der mit dieser These nicht nur in der Telepolis-Leserschaft erheblichen Widerspruch provozierte.
Grund für den heftigen Gegenwind waren nicht nur die zugespitzten Thesen Kreiß‘ über "dramatisch steigende Stromkosten und die enormen Gewinne der früheren Einsteiger, die den Preis der Kryptowährung immer höher trieben".
Der Wirtschaftswissenschaftler sah gar ein "Schneeballsystem" und sagte voraus: "Der permanent wachsende Stromverbrauch ist ein Konstruktionsfehler von Bitcoin.
Das ließ der Diplom-Informatiker und Gründer des KILT Protocol, Ingo Rübe" so nicht stehen: "Der Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks variiert mit dem Wert des Gesamtnetzwerks. Steigt der Wert aller Bitcoins an, nimmt mittelbar auch der Stromverbrauch zu. Sinkt aber der Wert des Netzwerks, dann reduziert sich auch der Stromverbrauch."
Rübe legte nach, der Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks stehe in keinem Zusammenhang mit der Größe der Blockchain. Wenn man sehr optimistisch annehme, dass es eine Million Betreiber des Netzwerks gebe, "würde das einen Stromverbrauch von 100 GWh pro Jahr und damit etwa 0,1 Prozent des vom Autor angegebenen Stromverbrauchs des Bitcoin-Netzwerks ausmachen".
Telepolis wird mit Kreiß noch einmal über die - nicht neue - These steigender Betriebskosten und seine zentralen Argumente sprechen.
Chinesische Sozialkredite und das Bildungsministerium
Vor einigen Wochen bereits hatte Telepolis-Autor Marcus Schwarzbach über den "Zukunftskreis" des Bundesforschungsministeriums berichtet, der Zukunftstrends erforscht. Dabei sei auch ein Szenario zu Social-Scoring-Praktiken beleuchtet worden, so Schwarzbach:
Was wäre, wenn hierzulande ein Bonuspunktesystem eingeführt wird, dass sich am Sozialkreditsystem Chinas orientiert? Über dieses Szenario, das von dem Wissenschaftsgremium auf Basis einer Wertestudie entwickelt wurde, berichtete unlängst Zukunftskreis-Mitglied Karim Fathi.
Das Thema hatte in sozialen Medien für Furore gesorgt. Verschwörungstheoretiker und rechte Akteure hatten dem Bildungsministerium vorgeworfen, die Einführung von Sozialkrediten nach chinesischem Vorbild zu planen.
Angesichts dieser Falschdarstellung justierten auch wir unseren Text nach und stellten klar: Das Gremium skizziert mögliche Szenarien lediglich, um sie zur Debatte zu stellen. Der beteiligte Zukunftsforscher Christian Grünwald formulierte das im Telepolis-Interview so:
Wir haben zunächst den Arbeitsauftrag, verschiedenen Szenarien explorativ zu durchdenken. Wir wollen künftige Entwicklungen möglichst wertfrei skizzieren, um den Möglichkeitsraum breit aufzuspannen und Denkhorizonte zu öffnen. Dann wiederum ist es Aufgabe der Politik, zu sagen: Diese Zukunft möchten wir haben und jene möchten wir eher vermeiden.
Zugleich ist es uns ein Anliegen - unsere Ergebnisse werden immer auch veröffentlicht - die Debatte über unsere Zukunft anzuregen. Wenn das eine oder andere Szenario auf Ablehnung stößt, dann ist damit schon ein Beitrag zum Zukunftsdiskurs geleistet. Wenn man sich also auch vergegenwärtigt, welche Zukunft man haben möchte.
Zukunftsforscher Christian Grünwald
Kontrovers diskutieren, transparent hinterfragen
Telepolis wird sich als Debatten- und Zukunftsmagazin weiter solch kontroversen Themen widmen. Wichtig ist für uns, dass wir Argumentationen auf den Prüfstand stellen und transparent hinterfragen. Im Fall der Bitcoin-Debatte war uns die Replik des Fachmanns Rübe ebenso wichtig wie das noch folgende Interview mit Christian Kreiß.
Diese Debatten versuchen wir auch in der aktuellen Urlaubssaison zu verfolgen, in der auch die nun beendete mehrwöchige Pause dieser Kolumne begründet war.
Spätestens ab September dann werden wir in voller Redaktionsstärke das Geschäft wiederaufnehmen. Dann wird es - ich hatte das Thema in dieser Kolumne schon einmal gestreift - um das künftige Profil von Telepolis gehen.
Vorab so viel: Telepolis wird seinem Grundauftrag treu bleiben und sich Debatten sowie Zukunftsthemen zuwenden. Es wird aber auch darum gehen, diese Themen, sie sich seit der Gründung unseres Magazins 1996 erheblich verändert haben, neu zu definieren und für Sie seriös aufzubereiten.
Eine wichtige Rolle werden dabei sicherlich die geopolitischen Umbrüche unserer Zeit spielen. In dieser Woche wenden wir uns auch aus diesem Grund in einem Doppelinterview mit den China-Experten Andreas Seifert und Jörg Lang der Entwicklung im Reich der Mitte zu.
Telepolis-Redakteur Thomas Pany widmet sich weiterhin der Lage am Hindukusch, wo nach dem Abzug der Bundeswehr (wie im Grunde schon davor) gar nichts mehr verteidigt, geschweige denn erreicht wird.
Eine Phantomdebatte zwischen Linken und Grünen in der Bundeshauptstadt beleuchtet die Kollegin Wangerin. Dort wendet sich Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) gegen die Verwendung des Begriffs "Ehrenmord", obgleich dieses Kompositum das perverse Motiv solcher Verbrechen durchaus in nüchternen Kontrast zum strafrechtlichen Delikt setzt.
Die Sozialistin Breitenbach will den Begriff "Femizid" genutzt wissen und gibt sich offenbar den Glauben hin, die Begriffsdebatte würde die Lage bedrohter Frauen und Mädchen verbessern.
Ein gutes Thema für Telepolis, wie wir finden.
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