Später Sieg der Reagonomics?

Auf Erwerbslose könnten bei der Umsetzung der aktuell diskutierten Steuersenkungspläne weitere Belastungen zukommen

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Auch im fernen Lateinamerika verfolgt Bundeskanzlerin Merkel der koalitionsinterne Streit um die Steuerpolitik. Während sie beim EU-Lateinamerikagipfel teilnimmt, müssen die CDU-Politiker in Berlin einige Sätze von Merkel zum Steuerstreit interpretieren und natürlich als konsequente Fortsetzung der Unions-Linie definieren.Vor allem eine Äußerung von Merkel sorgte in diesem Zusammenhang für Spekulationen über einen Sinneswandel der Kanzlerin: „Wir werden alles, was wir den Menschen zurückgeben können, natürlich auch zurückgeben - so schnell das möglich ist.“ Es dürfe allerdings auch nicht "auf Kosten der Zukunft gelebt werden".

Diese Äußerung wurde als das Einschwenken der Parteivorsitzenden auf die Linie von schnellen Steuersenkungen verstanden, wie sie ausgehend von der bayerischen CSU von den unterschiedlichsten Fraktionen in der Union artikuliert worden sind. Die Steuersenkungsdiskussion ist insgesamt nicht neu. Die jüngste Runde eröffnete die CSU, die den drohenden Verlust der absoluten Mehrheit bei den nächsten bayerischen Landtagswahlen vor Augen mit ihren Steuerentlastungsplänen einen eigenen bundespolitisch wahrnehmbaren Akzent setzen wollte

Die Christsozialen konnten natürlich darauf vertrauen, dass sich daraus schnell eine bundespolitische Debatte mit Auswirkungen auf die Koalition entwickeln würde. Schließlich sitzt mit Michael Glos ein entschiedener Steuersenkungsbefürworter als Bundeswirtschaftsminister an wichtiger Stelle. Zunächst sah es so aus, als bleibe er mit seiner Forderung ziemlich allein. Nicht nur die SPD, sondern auch Teile der Union warnten davor, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts aufzugeben. Merkel watscht Glos ab, titelte die Frankfurter Rundschau. Doch das war ein Trugschluss. Auf den Meinungsseiten der gleichen Ausgabe wurde Glos auch schon für seine Pläne gefeiert.

„Es fällt nicht leicht, Wirtschaftsminister Michael Glos zu loben. Aber wenn alle gleichermaßen auf den "Populisten" eindreschen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er etwas verdammt Wahres gesagt hat“, heißt es in der SPD-nahen Tageszeitung. Hier zeigt sich wieder einmal, wie kreativ in der öffentlichen Debatte mit dem Populismus-Begriff umgegangen wird. Oft werden damit Politiker belegt, die sich für eine offensivere Ausgabenpolitik einsetzen. Der FR-Kommentator hat den Begriff nun auf diejenigen gemünzt, die sich für eine strikte Haushaltsdisziplin und einen ausgeglichenen Haushalt aussprechen. Dabei schien doch genau diese Linie die Lehrmeinung einer ganz großen Koalition zu sein, die von den Unionsparteien, über die SPD, die FDP und die Grünen bis zum Realoflügel der Linkspartei reichte. Dann ist es schon erstaunlich, wenn es in der FR heißt:

Wohl in keinem anderen westlichen Land wird die Staatsverschuldung so verteufelt wie hierzulande. Dabei ist sie weder gut noch böse. Sie wird nur dann zum Problem, wenn der Staat den Zinsdienst nicht mehr leisten kann.

Ein Satz, der linken Sozialdemokraten, Keynsianisten, und Gewerkschaftern aus dem Herzen gesprochen scheint. Doch auf dem zweiten Blick ist es mit der Einigkeit nicht so weit her.

Mehr Schulden wofür?

Die linken Sozialdemokraten am Rande der SPD, in der Linkspartei und den Gewerkschaften wollen mit zusätzlichen Geldern vor allem die Konjunktur ankurbeln und Bereiche wie Bildung oder Umweltschutz fördern. Sie sprechen sich also für eine aktive staatliche Ausgabenpolitik aus, die in der Regel mit einer Gerechtigkeitskomponente verknüpft ist. Gutverdienende sollen mehr Steuern zahlen, mit denen dann in der Theorie zumindest sozial Benachteiligte gefördert werden.

Die Befürworter von Steuersenkungen hingegen halten von einer solchen staatlichen Ausgabenpolitik wenig. Sie wollen den Steuerzahler entlasten. Für Sozialprogramme, von denen die Menschen profitieren sollen, die gar keine Steuern entrichten müssen, sind dann natürlich weniger Mittel vorhanden. Seit den 80er Jahren gehören massive Steuersenkungen, verbunden mit dem Abbau von Sozialleistungen, zum Repertoire konservativer Politikkonzepte. Darin bestand die Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan, die auch als Reagonomics bezeichnet wurde. In einigen Ländern waren sogar konservative Einpunktparteien entstanden, die sich massive Steuersenkungen auf die Fahnen geschrieben hatten. Die dänische Variante einer Steuersenkungspartei wurde am bekanntesten. Den Titel „Steuersenkungspartei“ wollte sich in den letzten Jahren die FDP gerne selber zuschanzen.

Das dürfte aber jetzt schwieriger werden. Denn schnell wurde klar, dass nicht nur die CSU auf das Thema gestoßen ist. Während noch von der Isolierung von Glos und der CSU geschrieben wurde, hatten der Arbeitnehmer- und der Mittelstandsflügel der Union, die bei sozialpolitischen Themen häufig nicht an einem Strang ziehen, sich schon für massive Steuersenkungen ausgesprochen. Spätestens der Offene Brief von bis zu 200 Unionsabgeordneten zeigt, dass die Konservativen das Thema zu einem ihrer Wahlkampfschlager machen wollen. In dem Brief wird schon für das Jahr 2009 ein höherer Grundfreibetrag und die Anpassung des Einkommenssteuertarifs an die Inflationsrate gefordert.

Links wirkt?

Bemerkenswert ist auch die Begründung für diesen Vorstoß: „Wir alle erleben in unseren Wahlkreisen, dass die Unzufriedenheit gerade der Menschen in den unteren und mittleren Einkommensbereichen bedenklich zugenommen hat. Für diesen Personenkreis, der für uns ein wichtiges Wählerpotential darstellt, nimmt die Attraktivität der Linken zu.“ Ferner wird davor gewarnt, dass ein Teil des Mittelstandes „in eine armutsgefährdete Schicht“ heruntergezogen würden. Für den Kommentator der Tageszeitung Christian Füller ist dieser Hinweis fast schon ein Kotau vor Oskar Lafontaine. SPD und Grüne hätten sich von der Union mal wieder ein Thema aus der Hand schlagen lassen, so sein Lamento.

Dabei können Steuersenkungen doch auch ein linkes Thema sein. Eines, bei dem es um Gerechtigkeit geht. Darf es sein, dass schon kleine Einkommen stark zur Ader gelassen werden? Darf es sein, dass die Steuerprogression Leuten mit einem Einkommen ab 20.000 Euro pro Jahr das Geld aus der Tasche zieht? Dass vermeintliche Spitzenverdiener ein Brutto von rund 4.500 Euro monatlich haben - dass sie also mitten im Mittelstand sitzen? Nein, das sollte es nicht.

So kann man aus dem momentanen Debattenverlauf den Schluss ziehen, dass das Kalkül der CSU aufgegangen ist. Ihre Forderung nach Steuersenkung wird in großen Teilen der Union geteilt. Taktische Auseinandersetzungen gibt es nur über die Frage, ob man damit schon vor den nächsten Wahlen beginnen soll. Doch wenn es nicht klappt, kann man die SPD als Partei der hohen Steuern im nächsten Wahlkampf umso besser angreifen.

Doch auf den Teil der Bevölkerung, die mangels Einkommen keine Steuern zahlt, kommen dann weitere Belastungen zu. Schon werden im Bundeswirtschaftsministerium neue Pläne für eine Workfare genanntes Programm der unentgeltlichen Ausbildung und Arbeit für Erwerbslose diskutiert ("Aktivierungsstrategie" für Arbeutslose) Sollte das Konzept umgesetzt werden, sollen angeblich bis zu 25 Milliarden Euro eingespart werden. Das liegt ganz auf der Linie der Steuersenker in allen Parteien. Geld, das man nicht besitzt, kann man auch nicht ausgeben. Und die Sorge der Unionspolitiker, die den Offenen Brief unterzeichneten, richtete sich auch nicht auf die „armutsgefährdete Schicht“, sondern auf den umworbenen Mittelstand, der dort hinein gezogen werden könnte. Mit der Steuersenkungspolitik könnte man so die Grenzen wieder deutlicher ziehen. Die Lasten trägt das „abgehängte Prekariat“ (Bündnis zwischen Wischmob und Laptop?).