Spanien: "Egal wer regiert, die Antwort ist immer Repression"
Sozialdemokratische Regierung spricht gerne vom Dialog, dabei weitet sie die Repression gegen Katalanen immer weiter aus, die nun auch eine "kriminelle Vereinigung" gebildet haben sollen
Ein Jahr nach seiner Amtseinführung hat Spanien nun auch den katalanische Regierungschef Quim Torra am Mittwoch vor Gericht gezerrt. Wie Telepolis berichtet hatte, wird ihm aus Spanien "Ungehorsam" vorgeworfen, weil er Spruchbänder und gelbe Schleifen, die für die Solidarität mit den politischen Gefangenen stehen, am Regierungssitz in Barcelona nicht entfernt hatte. Wie immer in solchen Fällen war die Justiz nach der Klage des Ministeriums für Staatsanwaltschaft sehr schnell. Nicht einmal zwei Monate später wurde er vor Gericht vernommen und könnte mit einem Amtsverbot belegt werden.
Vor dem Obersten Gerichtshof in Katalonien, zu dem ihn hunderte Menschen in Barcelona solidarisch begleitet hatten, erklärte Torra, dass weder die gelbe Schleifen noch die Spruchbänder für die Gefangenen eine Parteiangelegenheit seien. Tatsächlich stellen sich in Katalonien drei Parteien, die die Mehrheit im Parlament halten, hinter die politischen Gefangenen. Deshalb könne der Zentrale Wahlrat (JEC) keine Beseitigung fordern, da er dafür auch nicht kompetent sei. Dazu kommt, dass die Abnahme schon lange vor dem Beginn des offiziellen Wahlkampfs am 12. April verfügt worden war.
Der katalanische Regierungschef sieht sein Vorgehen durch die Meinungsfreiheit gedeckt. "Illegal" sei nur die Anordnung des JEC gewesen. "Man kann keine ungerechte und illegale Anordnung befolgen", sagte Torra. Er könne als Präsident Rechte und Freiheiten nicht einfach aufgeben. Wenn die spanische Demokratie ihre Verteidigung nicht aushalte, werde er den nötigen Preis dafür zahlen. "In der Verteidigung der Meinungsfreiheit werde ich bis zur letzten Konsequenzen in der vordersten Reihe stehen", erklärte. Die kollektiven Rechte und Freiheiten wurden mit großen Anstrengungen und Opfer erkämpft. Auf die Fragen der rechtsextremen VOX-Partei, die auch in diesem Fall als Nebenkläger auftritt, antworte er aus "demokratischen Anstand" nicht.
Nach dem letzten illegalen Vorgehen des Wahlrats, über das auch spanische Gerichte längst geurteilt haben, ist es erstaunlich, dass dieses absurde Verfahren gegen Torra weitergeführt wird. Schließlich steht dahinter erneut der Wahlrat, dem man ohne Zweifel Rechtsbeugung gegen Katalanen vorwerfen darf. Denn ohne jede juristische Basis hatte der JEC versucht, Torras Vorgänger von den Europawahlen auszuschließen und damit seine klare Parteilichkeit offenbart. Die Ausschlüsse wurden mit Blick auf ein Eilverfahren am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Spanien auch von der spanischen Justiz schnell gekippt. Sonst hätte eine peinliche Wiederholung der Wahlen auf die Tagesordnung gerückt werden können.
Auch das Ministerium für Staatsanwaltschaft hatte dabei ein Einlenken gefordert, aber bisher keine Klage wegen Rechtsbeugung gegen die JEC-Mehrheit eingeleitet, denen wie dem Richter Betancor sehr bewusst war, dass es keine Grundlage für einen Ausschluss von Carles Puigdemont, Clara Ponsatí und Toni Comín gab. Trotz allem stimmte der von den rechten Ciudadanos (Bürger) entsandte Richter für den Ausschluss. Deshalb hat inzwischen Puigdemont eine Klage auch gegen diesen Richter eingereicht.
Auch nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten hat sich nichts geändert
Torra spielte mit Blick auf sein Verfahren auch auf die spanischen Kloaken an, die aus dem Innenministerium gerne Anschuldigungen gegen Oppositionspolitiker erfinden. Torra meint, heute sei man nun da angelangt, "dass das nun der Wahlrat anpasst". Für ihn ist klar: "Egal wer regiert, die Antwort ist immer Repression."
Und diese Meinung ist nicht unbegründet. Auch nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten hat sich nichts geändert. Der inhaftierte Oriol Junqueras und andere gewählte Abgeordnete für das spanische Parlament, müssten nach Ansicht von hochrangigen Verfassungsrechtlern seit der Wahl ins spanische Parlament frei sein. Junqueras durfte aber nicht einmal per Videoschaltung aus dem Gefängnis an einer Wahlkampfdebatte teilnehmen. Dabei garantiert die spanische Verfassung ihm ohne Einschränkung Immunität. Die kann nur die zuständige Parlamentskammer aufgehoben werden.
Der zentrale Wahlrat folgte aber der Begründung der Gefängnisleitung und damit ebenfalls der sozialdemokratischen Regierung. Obwohl der lokale Wahlrat in Katalonien die Videoschaltung erlaubt hatte, erklärte das Gefängnis, die Debatte liege außerhalb der vorgesehenen Benutzungszeit für den Raum für Videokonferenzen. Mit formalen Begründungen wird hier die Demokratie ausgehebelt. Das reichte dem Zensurrat JEC, um die Kandidatur von Junqueras zu behindern. Dass der katalanische Sender TV3 angeboten hatte, die Debatte zu einem anderen Zeitpunkt aufzuzeichnen, brachte auch keine Änderung, da die Uhrzeit offensichtlich nur eine Ausrede war. Aus seinem belgischen Exil in Waterloo hat deshalb auch Puigdemont solidarisch auf eine Teilnahme per Videoschaltung verzichtet.
Der Oberste Gerichtshof hat zwischenzeitlich auch entschieden, gegen die klare Einschätzung von Verfassungsrechtlern und Artikel 71 der Verfassung, dass die die fünf neu gewählten Parlamentarier keine Haftverschonung erhalten. Der absurde Prozess wegen eines angeblichen "bewaffneten Aufstands" (Rebellion) wird auch nicht ausgesetzt, weshalb man es mit der nächsten Rechtsbeugung zu tun hat. Denn die Verfassung ist, wie in der Frage eines Ausschlusses von Kandidaten, ebenfalls eindeutig.
Vom "Augenblick" der Wahl genießen die gewählten Vertreter "parlamentarische Immunität". Sie können "nicht angeklagt" werden. "Über sie kann ohne Zustimmung der zuständigen Parlamentskammer nicht verhandelt werden." Davon ist keine Ausnahme vorgesehen. Der Parlamentspräsident hätte "sofort die notwendigen Maßnahmen ergreifen" müssen, damit sie bei der "Ausübung ihres Mandats" nicht behindert werden. Das Gegenteil ist der Fall.
Allerdings, das ist neu, traut sich der Oberste Gerichtshof nicht, den gewählten Parlamentariern den Gang in die konstituierende Sitzung zu verweigern. Sie dürfen am 21. Mai daran teilnehmen. Damit zeigt sich, wie willkürlich die früheren Entscheidungen auch der Berufungskammer waren. Denn es wurde Jordi Sànchez untersagt, ins katalanische Parlament zu gehen, damit er zum katalanischen Präsident gewählt werden kann, womit seine Rechte ausgehebelt wurden. Und das geschah gegen die Auflagen der UN-Menschenrechtskommission. Jordi Turull wurde sogar noch schnell nach dem 1. Wahlgang verhaftet, um seine Amtseinführung im 2. Wahlgang zu verhindern.
Der Verfassungsrechtler Javier Pérez Royo kritisiert diese neue Entscheidung des Obersten Gerichtshof erneut. Der Andalusier schreibt, dass mit der Entscheidung die zentrale Frage nicht beantwortet wird. Man habe die Reihenfolge der Beantwortung der Anträge verändert. Und dahinter stecke die Absicht, die "juristischen Konsequenzen" zu umgehen. Das hält er erneut für "verfassungswidrig". Für ihn ist klar: "Das Ende der Untersuchungshaft ergibt sich automatisch", und der Oberste Gerichtshof kann "in keiner Form die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft" begründen.
Pérez Royo ist gespannt, was das Verfassungsgericht zu dieser neuerlichen abstrusen Rechtsauslegung sagt. Der Anwalt von Puigdemont hat nach all den Erfahrungen dort allerdings wenig Hoffnung. "Jeden Tag wird klarer, dass die einzige Verteidigungslinie in Europa liegt, wo man gewinnen wird… auf juristischer und politischer Ebene", twitterte Gonzalo Boye.
"Bildung einer kriminellen Vereinigung"
Dass in Spanien, egal wer gerade regiert, die Repression stets die Antwort ist, zeigt heute auch der Antrag der Staatsanwaltschaft, die Anklage gegen 28 Katalanen auszuweiten. Ihnen wird nun auch "Bildung einer kriminellen Vereinigung" vorgeworfen. Das "kriminelle Ziel" der Führungsbeamten und Direktoren des öffentlich-rechtlichen katalanischen Rundfunks habe darin bestanden, ein "Referendum für die Unabhängigkeit" durchzuführen, erklärt das Ministerium für Staatsanwaltschaft.
Schon zuvor war verfügt worden, dass sie eine exorbitante Kaution von 5,8 Millionen hinterlegen müssen, da sonst ihr Privatvermögen gepfändet wird. Mit der Identifizierung wurde inzwischen begonnen. Damit macht das Ministerium für Staatsanwaltschaft, also die spanische Regierung, sehr deutlich klar, wie ihr Weg aussehen soll. Angemerkt sei hier, dass im Jahr 2005 ausdrücklich die Durchführung von Referenden straffrei gestellt wurde.
Klar wird der Versuch, die Betroffenen ökonomisch zu ruinieren. Sie sollen die volle Summe wegen der angeblichen Veruntreuung von Steuergeldern für das Referendum hinterlegen, obwohl schon 2,1 Millionen von den Angeklagten im Rebellionsprozess gefordert werden. Deshalb hat die Verteidigung über die Solidaritätskasse 3,7 Millionen aufgebracht, was der Staatsanwaltschaft aber nicht reicht. Was noch dramatischer ist: Im schon laufenden Verfahren gegen die ehemaligen Minister konnte bisher nicht keine einzige Rechnung präsentiert werden, um von Nachweisen über Geldflüssen nicht zu sprechen, welche diese Anschuldigung belegen könnten.