Spanien schließt "ohne juristische Basis" Puigdemont von Wahlen aus
Hochrangige spanische Juristen sind entsetzt, dass die Wahlbehörde zu einer neuen Rechtsumgehung ansetzt, um Exilanten von Europawahlen fernzuhalten
Gerade wurden vier katalanische politische Gefangene zu Mitgliedern des spanischen Parlaments gewählt, da die Unabhängigkeitsparteien bei den spanischen Parlamentswahlen ein Rekordergebnis erzielt haben. Die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) hat erwartungsgemäß die Wahlen erstmals gewonnen und zieht nun sogar mit 15 statt mit 9 Parlamentariern in den Kongress ein.
Viele in Katalonien halten es für eine direkte Reaktion, dass der Wahlrat (JEC), der im vergangenen Wahlkampf schon diverse skandalöse Entscheidungen getroffen und sich wie eine Zensurbehörde aufgeführt hat, nun einen neuen "antidemokratischen Amtsmissbrauch" durchzieht, wie der andalusische Verfassungsrechtler Joaquín Urias hart kritisiert. Der JEC versuchte sogar zu verhindern, dass die inhaftierten Kandidaten Wahlkampf machen können, was durch internationalen Druck zum Teil aufgebrochen werden konnte.
Der JEC hat, diesmal gespalten, auf Antrag der großen Wahlverlierer nämlich am späten Montag entschieden, dass der katalanische Exil-Präsident Carles Puigdemont und die ehemaligen Minister Toni Comín und Clara Ponsatí nicht zu den Europaparlamentswahlen antreten dürfen. Angeblich seien sie "nicht wählbar", obwohl ihnen durch kein rechtskräftiges Urteil das passive Wahlrecht abgesprochen wurde, wie es als Bedingung in spanischen Gesetzen vorgesehen ist.
Und nun kommen die Tricks, die man schon vom Verfassungsgericht kennt, mit denen verhindert wurde, dass Puigdemont erneut zum katalanischen Regierungschef gewählt werden konnte. Nun argumentiert der Wahlrat, um wählbar zu sein, müsse man ins spanische Wahlregister eingetragen sein. Und sogar das ist erfüllt, wie die Anwälte der Katalanen in ihren Erwiderungen auf die Ausschlussanträge der ultrakonservativen Volkspartei (PP) und der ultranationalistischen Ciudadanos dargelegt hatten. Sie hatten deshalb auch einen Auszug des spanischen Wahlregisters beigefügt. Daraus geht hervor, dass die drei Kandidaten im Wahlregister eingetragen sind.
Der JEC sieht darin aber eine "Fehlerhaftigkeit". Es sei bekannt, dass sie "nicht dort ihren Wohnsitz haben, wo sie angemeldet sind und sich seit zwei Jahren außerhalb des Staatsgebiets aufhalten, um sich der Justiz zu entziehen". Nicht einmal die Zeitangabe stimmt, denn es wären erst im Oktober zwei Jahre. Die Verteidiger von Puigdemont, Ponsatí und Comín machen aber zudem unmissverständlich klar, dass auch "kein" Eintrag ins spanische Wahlregister für die Kandidatur zu Europaparlamentswahlen nötig wäre.
Den Antragstellern von Cs und PP wird eine "totale Rechtsunkenntnis" vorgeworfen. Sie zitieren auch den entsprechenden Logse-Artikel. Der Artikel 7.2 sagt eindeutig, dass kein Eintrag ins Wahlregister nötig ist, um wählbar zu sein. Verletzt würden zahlreiche Abkommen, wie die Grundrechtecharta der Europäischen Union oder der Vertrag von Maastricht, die Europäischen Menschenrechtskonvention und die UN-Sozialcharta, argumentieren die Verteidiger mit ihren Einwendungen, die von der Mehrheit der JEC-Mitglieder übergangen wurden.
Mit "blinder Wut gegen die Kandidaten"
Deshalb entbehrt auch für den Verfassungsrechtler Urias die JEC-Argumentation "jeder juristischen Basis". Auch der JEC-Präsident, der Vizepräsident und zwei weitere Mitglieder des Wahlrats haben deshalb gegen den Mehrheitsbeschluss gestimmt. Urias erinnert daran, dass Spanien die Europäischen Haftbefehle gegen die Exilierten sogar zurückgezogen hat, auch deshalb "müssen ihre Rechte gewahrt" werden. Es werde mit "blinder Wut gegen die Kandidaten" gehandelt. Eine "Erfindung" wirft der Professor der Universität in Sevilla dem JEC vor: "Furchtbar".
Zu erinnern sei daran, worauf Urias abstellt, dass Deutschland Puigdemont sogar ausgeliefert hätte, allerdings nicht wegen der spanischen Erfindung einer Rebellion oder Aufstand, sondern nur wegen angeblicher Untreue, die deutsche Richter nicht prüfen durften. Doch es reichte Spanien nicht, ihn nur dafür anzuklagen. Sie wollen ihn für erfundene und im Prozess nicht belegte Vorwürfe für bis zu 25 Jahre ins Gefängnis stecken, wie sie für den ERC-Chef Oriol Junqueras gefordert werden, der gerade ins spanische Parlament gewählt wurde. Deshalb wurden die internationalen Haftbefehle gegen die Exilierten zurückgezogen.
Verfassungsrechtler: Entscheidung entbehrt jeder juristischen Basis
Allein steht Urias mit seiner Einschätzung nicht. Wie schon zahlreiche hochrangige Juristen von einer Banalisierung von Vorwürfen wie Rebellion und Aufruhr im Prozess gegen die Katalanen gesprochen haben, kritisiert auch Javier Pérez Royo die Entscheidung des Wahlrats nun scharf. Auch er ist Verfassungsrechtler und kommt aus Andalusien. Er stellt fest, dass die Entscheidung "jeder juristischen Basis entbehrt". Royo verweist in einem Artikel für eldiario.es darauf, dass sich Puigdemont, Comín und Ponsatí nie der Justiz entzogen und Richter in Deutschland, Belgien und Schottland ihre Auslieferung auf Basis von absurden Vorwürfen verweigert haben.
"Die drei katalanischen Politiker verfügen über alle politischen Rechte und haben bisher nichts anderes getan, als ihre Grundrechte auszuüben, die ihnen als spanische Staatsbürger zustehen." Konkret bezieht sich der sehr angesehene Jurist auf die freie Wahl des Orts, an dem man sich in der Europäischen Union aufhält. "Dieses Recht kann nicht aus politischen und ideologischen Gründen beschränkt werden", zitiert er Artikel 19 der spanischen Verfassung.
Erst nach ihrer Ausreise nach Belgien seien die Haftbefehle gegen sie gestellt wurden. Puigdemont, Comín und Ponsatí hätten sich der juristischen Verfolgung nicht entzogen, sondern seien stets vor der kompetenten Justiz in "Belgien, Deutschland oder Schottland erschienen, wenn sie dazu aufgefordert wurden". Mit Bezug auf das Urteil der deutschen Richter schreibt er: "Es war also nicht Carles Puigdemont, der vor der spanischen Justiz geflohen ist, sondern die spanische Justiz, die vor der deutschen Justiz geflohen ist, weil sie die Entscheidung des Oberlandesgericht in Schleswig nicht akzeptiert."
Hart kritisiert Royo den Obersten Gerichtshof in Spanien. Während Puigdemont die Autorität der Justiz in europäischen Ländern akzeptiert hat, "ist der Oberste Gerichtshof nicht bereit, diese Autorität der Gerichte anderer EU-Länder zu akzeptieren, wenn die in einer anderen Form entscheiden, als es der Oberste Gerichtshof für richtig hält". Der Verfassungsexperte führt weiter aus, dass die drei katalanischen Kandidaten nicht einmal in Abwesenheit in Spanien angeklagt werden.
Europawahl gefährdet?
Dass man es wieder einmal mit einer klaren politischen Entscheidung zu tun hat, zeigt sich auch am Vorgehen des Wahlrats. Den Betroffenen wurde erst am späten Montagnachmittag (zudem zunächst ohne Begründung) die Entscheidung zugestellt. Das war kurz vor der Frist zur Vorstellung der Kandidaturen. Trotz allem fanden sich in aller Schnelle mit der Madrider Journalistin Beatriz Talegón, dem ehemaligen Bürgermeister Barcelonas Xavier Trias - ein Opfer der spanischen Kloaken - und dem Anwalt Gonzalo Boye Vertreter.
Der "provisorische Vertreter" von Puigdemont ist sich sicher, dass man mit dem Einspruch durchkommen wird. Boye erklärt, dass danach "Präsident Puigdemont" den Platz wieder einnehmen kann. Der Wahlrat habe entschieden "wie die Türkei", meint Boye. Er kündigte den Gang vor internationale Gerichte an. Der Jurist geht wie die Journalistin Talegón davon aus, dass damit vom Wahlrat die Europaparlamentswahlen in Spanien gefährdet sind, die möglicherweise widerholt werden müssen, wenn das Vorgehen des JEC nicht vor den Wahlen korrigiert wird. Die Madrider Journalistin hatte schon zuvor auf ein Editorial der großen spanischen Zeitung El País mit dem unzweideutigen Titel verwiesen: "Puigdemont abwenden", womit das Frontblatt der spanischen Sozialdemokraten die Richtung vorgegeben hat. Darin ist sie sich mit den Ultranationalisten von Cs und PP einig.