Spanien: Lockdown zu spät umgesetzt und zu früh aufgehoben
Obwohl es in Spanien, anders als Italien, keinen klaren Trend beim Rückgang der Todeszahlen gibt, lockert Madrid die strengen Maßnahmen wieder, sogar ohne das Expertenteam befragt zu haben
Offiziell hat die spanische Regierung den Alarmzustand im Land gerade bis zum 26. April verlängert. Real steht aber die Rückkehr zum abgeschwächten Alarmzustand an, wie er am 14. März verkündet wurde. Es war vor vier Wochen unverantwortlich, Ansteckungsherde wie Madrid nicht abzusperren, und sehr fahrlässig, dass Menschen weiter in die Fabriken geschickt wurden. Erst tausende Tote später und dantesken Szenen in Alten- und Pflegeheimen, wo alte Menschen zum Sterben zurückgelassen wurden, kam nach massiver Kritik von Experten die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Podemos nicht mehr darum herum, wie Italien einen realen Lockdown anzuordnen, um nur noch Basisversorgung zu sichern.
Doch nicht einmal zwei Wochen sind seither vergangen - Italien befindet sich schon vier Wochen im Lockdown -, da lockert diese Regierung unverantwortlich die Maßnahmen wieder, während Maßnahmen in Frankreich und in Deutschland verschärft werden. Das geschah, ohne das erst kürzlich gebildete Expertenteam zu hören, wie das Mitglied Antoni Trilla bestätigt hat. So sollen die Menschen am Montag wieder arbeiten, um sich im öffentlichen Nahverkehr der Ansteckungsgefahr wieder aussetzen. Es ist eine Beleidigung der Intelligenz, wenn die Regierung den Leuten nun erklärt, dass Menschen "mit dem geringsten Coronavirus-Symptom zu Hause bleiben sollen". Hat es sich etwa noch immer nicht bis nach Madrid durchgesprochen, dass die Mehrzahl der Infizierten keine Symptome zeigt? Es muss befürchtet werden, dass die Ansteckungsketten, die mühevoll unterbrochen wurden, nun wieder aktiviert werden.
Italien hat den Lockdown derweil erneut verlängert, obwohl sich dort - anders als in Spanien - schon länger eine Tendenz bei der Abschwächung der Todeszahlen zeigt. Vermutlich erst nächsten Freitag wird die Conte-Regierung leichte Lockerungen verkünden. Das Land hatte zuletzt eine höhere Zahl von neuen Infektionen registriert. Und die Zahl der Todesfälle verharrt in Italien weiter auf hohem Niveau. Zuletzt wurden am Donnerstag 610 gezählt.
In Spanien gibt es keine klare Tendenz zur Abschwächung, bestenfalls eine Stabilisierung
Nach einer angeblichen Senkung der Zahl der Todesfälle am vergangenen Wochenende ging die offiziellen Zahl, ohnehin geschönt, da Tote in der eigenen Wohnung oder Altenheimen nicht gezählt werden, im Laufe der Woche wieder deutlich bergauf.
Es ist bezeichnend, wenn nun sogar die regierungsnahe El País am Donnerstag titelt, dass "Spanien unfähig ist, die Coronavirus-Opfer zu zählen". In der Zeitung wird nun sogar von einer noch höheren Übersterblichkeit ausgegangen, als Telepolis mit Leserunterstützung berechnet hatte. Und es spricht Bände, dass das Justizministerium von den Gemeinden reale Daten zu Beerdigungen übermittelt haben will, weil es Zweifel an bisherigen Corona-Todesfällen gibt. Allein in Madrid gab es in der zweiten Märzhälfte mehr als 9000 Beerdigungen, obwohl es im gesamten Monat sonst nur 4000 sind.
Auch am Freitag wurden in Spanien wieder 605 offizielle Coronavirus-Tote gemeldet, nach 683 am Donnerstag. Offiziell registriert Spanien schon fast 16.000 Tote, real liegt die Zahl aber deutlich darüber. Umgerechnet auf die Bevölkerung ist Spanien aber auch mit offiziellen Zahlen nun mit gut 311 Toten pro Million Einwohner inzwischen Weltmeister. Angesichts der Lockerungen ab Montag, darf nun davon ausgegangen werden, dass Spanien auch die offizielle italienische Zahl von nun gut 18.000 Todesfällen überschreitet und dem Land auch diesen Spitzenplatz abnehmen wird.
EU-Kommission und Regionalregierungen sind gegen zu frühe Lockerungen
Das Vorgehen von Spanien widerspricht auch Vorgaben der EU-Kommission. "Jede schrittweise Lockerung der Ausgehbeschränkungen wird unausweichlich zu einer Steigerung neuer Fälle führen", hat Brüssel in einem Papier dargelegt, aus dem die Nachrichtenagentur dpa zitiert hat. Spanien setzt sich darüber unverantwortlich hinweg. Auch die europäische Gesundheitsbehörde ECDC meint, dass der Höhepunkt der Pandemie noch nicht erreicht ist. Erwartet wird eine weitere Ausbreitung. Es sei zu früh, um plötzlich alle Maßnahmen zur Vermeidung körperlichen Kontakts in der Region aufzuheben.
Gegen Lockerungen sprechen sich diverse Regionalregierungen aus. Der katalanische Regierungschef Quim Torra führt die Kritikerfront an. Torra, selbst infiziert, hatte von Madrid wochenlang erfolglos einen realen Lockdown und die Abriegelung der Ansteckungsherde gefordert. Neben Torra stemmt sich aber auch die Parteifreundin von Sanchez gegen die Lockerungen. Die Chefin der Balearen-Regierung Francina Armengol will einen Lockdown für weitere drei Wochen. Auch der PSOE-Regionalchef von Kastilien-La Mancha, Emiliano García-Page, ist nicht begeistert, den Lockdown so früh zu lockern.
Aber das alles ficht den Sozialdemokraten Pedro Sánchez nicht an, der allein auf die Unternehmerverbände zu hören scheint. Der linke Partner Podemos ist ohnehin völlig abgetaucht und unterstützt den fatalen Kurs offenbar kritiklos.