Spanien: Warum so viele junge Menschen nicht "auf eigenen Füßen" stehen
Seite 2: Rasant steigende Mieten
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Um in Barcelona zu bleiben, mussten durchschnittlich für eine Wohnung im Monat schon 2018 fast 930 Euro hingeblättert werden. Hier sind wir, neben der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen beim zweiten zentralen Faktor, warum sie sich nicht emanzipieren können. Ist es für junge Menschen ohne Job meist ohnehin undenkbar, außer durch Hausbesetzung, das Elternhaus zu verlassen. Und das ist auch für die nicht wesentlich anders, die einen Job haben. Meist stellen hohe Mieten eine unüberwindbare Hürde dar.
Steigende Mieten führen zudem zu Zwangsräumungen von denen, die den Auszug geschafft haben, weil sie unbezahlbar werden. An den Kauf einer Wohnung, der traditionell in Spanien bis zum Platzen der Immobilienblase 2008 üblich war, ist gar nicht zu denken.
"Entweder du ziehst mit deinem Partner oder Partnerin zusammen oder du wohnst in einer Wohngemeinschaft, wenn du eine findest", erklärt die junge Baskin Ane Urzelai gegenüber Telepolis, die seit Jahren in Wohngemeinschaften lebt. "Du musst aber dazu bereit sein, mit fremden Menschen zusammenzuwohnen, was viele nicht wollen", fügt die alleinstehende junge Frau an, die diese Lebensform nach sieben Jahren endlich beenden will.
Die 33-jährige Sozialpädagogin gehört noch zu einer "privilegierten" Gruppe. Sie konnte wegen einer guten Ausbildung und im Baskenland, wo die Arbeitslosigkeit ohnehin auch in der Krise nur etwa halb so hoch wie in Spanien stieg, das Elternhaus schon mit 26 Jahren verlassen. Sie gehört zu der Gruppe, die mit 62% die höchste Emanzipationsquote aufweist, weil sie eine unbefristete Stelle hat. Und die ist sogar im spanischen Vergleich noch relativ gut bezahlt.
Doch sie hat wiederum das Pech, dass ihre Heimatstadt Donostia (spanisch: San Sebastian) mit Madrid und Barcelona zu den teuersten Städten gehört, wo der Tourismusboom die Mieten derzeit regelrecht explodieren lässt und auch sonst das Leben deutlich teurer als im Rest des Landes ist.
"Fast 90% des Einkommens"
Mit einem einzigen Einkommen eine Wohnung zu mieten oder zu kaufen, ist unter 30 praktisch unmöglich. Das schaffen offiziell nur noch gut 19%. 2008 waren es dagegen noch 26%. Im Durchschnitt frisst die Miete für eine Alleinverdienerin wie Urzelai fast 90% des Einkommens auf. Daran ändert nicht viel, dass der Mindestlohn inzwischen aus wahlkampftechnischen Gründen deutlich auf 900 Euro angehoben wurde.
Im Fall eines Kaufs sieht es sogar besser aus. Dann gehen nur 61% für den Schuldendienst drauf, da die Leitzinsen von der Europäischen Zentralbank praktisch inexistent gehalten werden. Aber dazu muss man auch einen Kredit bekommen.
Bei der Vergabe sind die Banken zwar wieder etwas lockerer geworden - zum Teil wieder zu nachsichtig -, doch davon lässt sich die junge baskische Sozialarbeiterin nicht verleiten. Kredite über 30 oder 40 Jahre Laufzeit, die einem dann bei einem Zinsanstieg angesichts variabler Zinsen das Genick brechen, darauf hat sie keine Lust. "Und dann kommen plötzlich Kosten für den Einbau eines Fahrstuhls, ein neues Dach…. womit alle Planungen über den Haufen geworfen werden."
Deshalb zieht sie eine Mietwohnung vor und spiegelt damit einen klaren Wandel in den Gewohnheiten wider. Sie hofft noch, über ein Programm der baskischen Regierung zu einer bezahlbaren Mietwohnung zu kommen, um endlich mal allein wohnen zu können. Im Baskenland wird vergleichsweise viel sozialer Wohnungsbau betrieben und nun wurde auch ein Programm mit billigen Mietwohnungen für junge Menschen bis 35 Jahre aufgelegt.
Urzelai traut aber auch den offiziellen Zahlen über Emanzipation nicht. Sie geht davon aus, dass auch unter denen, die offiziell als emanzipiert in der Statistik geführt werden, noch viele junge Menschen sind, die gar nicht von eigenen Einkommen leben. Viele seien über ein Studium in einer fremden Stadt dazu gezwungen "unabhängig" zu werden. Tatsächlich zahlten aber die Eltern die Miete, wie sie in ihrem Freundeskreis immer wieder beobachten konnte. Gehört man nicht zu dieser privilegierten Gruppe, mit einer Festanstellung und relativ guter Bezahlung, sieht die Lage für einen Auszug furchtbar aus.
Prekäre Arbeitsverhältnisse
Damit kommen wir zum dritten zentralen Faktor, warum die Quote derer zunimmt, die sich nicht von den Eltern emanzipieren konnten, obwohl doch auch die Jugendarbeitslosigkeit und die Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Hier sind die prekären Arbeitsverhältnisse zu nennen, zu denen auch die Sozialdemokraten sehr stark beigetragen haben, auf die viele der jungen Menschen nun Hoffnungen setzen.
Da sind zum Beispiel die vielen ungewollten Teilzeitstellen. Ein Drittel aller Jobs sind nur Teilzeitstellen. Junge Leute müssen oft mehrere Jobs machen und es reicht dann trotz allem nicht, um über die Runden zu kommen, wie sie in Interviews erklären. Dazu kommt, dass 90% aller Verträge zudem auch noch befristet sind. In Spanien sind das inzwischen schon 22% aller Verträge. Die Quote der befristeten Beschäftigung ist nun schon doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt!
Und fast ein Drittel dieser sehr prekären Arbeitsverhältnisse hat sogar nur eine Laufzeit von weniger als einer Woche und diese Zahl hat sich seit Beginn der Krise praktisch verdoppelt. Dabei sollten zwei Arbeitsmarktreformen, eine von den Sozialdemokraten, für mehr unbefristete Beschäftigung sorgen, gerade mit Blick auf junge Menschen.
Denen sollte angeblich der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Dafür wurde der Kündigungsschutz abgebaut und Abfindungen deutlich verringert. Deshalb bietet nun auch eine unbefristete Stelle, zumal meist schlecht bezahlt, keinerlei Sicherheit mehr, da es nun praktisch keinen Kündigungsschutz mehr gibt..
Von dieser prekären Situation sind junge Leute unter 30 ganz besonders und immer stärker betroffen. Die Quote der befristeten Verträge ist bei ihnen mit 60% etwa drei Mal so hoch wie bei Arbeitnehmern, die älter als 30 Jahre sind. Und die Lohnsenkungen in der Krise haben die jungen Menschen besonders hart getroffen, erklären die Gewerkschaften.
Damit sind die drei zentralen Faktoren benannt, warum in Spanien die jungen Menschen sich besonders spät emanzipieren. Der Zusammenhang mit der Lage am Arbeitsmarkt ist mehr als deutlich. Die Bedingungen dort sind oft nicht geeignet, um eine Wohnung finanzieren zu können, falls man tatsächlich einen Vermieter findet, der an einen jungen Menschen vermietet, der in diesen prekären Arbeitsverhältnissen steckt. Dazu kommt, dass sich diese Verhältnisse ausweiten und längst nicht nur auf junge Leute beschränkt sind.
"Die Hälfte meiner Freunde wohnt mit 40 bei ihren Eltern"
Telepolis hatte schon vor etlichen Jahren darauf hingewiesen, dass viele Leute, die sogar längst emanzipiert waren, wegen Arbeitslosigkeit oder prekären Beschäftigungsverhältnissen wieder zu ihren Eltern zurückziehen müssen. Für viele war und ist die Perspektive deshalb oft auszuwandern. In einem Artikel machte gerade auch die französische Zeitung Le Monde darauf aufmerksam, dass der Weg zurück zu den Eltern für viele weiter Realität ist.
"Die Hälfte meiner Freunde wohnt mit 40 bei ihren Eltern", titelt die Zeitung und zitiert einen Betroffenen. Sie macht deutlich, dass die Mittelklasse in Spanien längst in der Armutsfalle hängt. Dass der Sozialdemokrat Sánchez an dieser Situation viel ändern wird, darf indessen nicht erwartet werden, auch wenn viele junge Menschen per Stimmzettel nach diesem glühenden Nagel greifen.
Der Sozialdemokrat Sánchez schielt ohnehin weiter auf ein Bündnis mit den ultra-neoliberalen Ciudadanos. Das hatte er schon vor den Wahlen im Blick und die Wahlergebnisse geben eine stabile Koalition mit der Partei her. Diese beginnt inzwischen auch die totale Abwehrhaltung aufzugeben. Auf lokaler und regionaler Ebene deuten sich Bündnisse schon an.
Dass dann wenigstens "besonders schädlichen" Auswirkungen der sehr aggressiven Arbeitsmarkreform der Vorgänger annulliert wird, ist mehr als fraglich. Eigentlich sollte die längst geschleift sein. Sie ist für die Präkarisierung der Verhältnisse besonders verantwortlich. In einer Koalition mit den Ciudadanos kann man das abschreiben. Das gilt auch für Maulkorbgesetze und Strafverschärfungen, die die treffen, die gegen diese Zustände auf die Straße gehen.