Spanien gießt in Katalonien weiter kräftig Öl ins Feuer
Statt auf den allseits geforderten Dialog zu dringen, stellt sich auch König Felipe hinter das brutale Vorgehen der Regierung und fordert, die "Ordnung wiederherzustellen"
Viele in Spanien hatten gehofft, König Felipe werde seiner Aufgabe nachkommen, die ihm die spanische Verfassung zuschreibt, und in den Konflikt mit Katalonien "vermittelnd" eingreifen. Während die rechte Zeitung El Mundo beklatscht, dass der König gegen den Verfassungsauftrag das Gegenteil getan hat, titelt sie auf der Startseite im Netz, dass die "Börse die Rede des Königs negativ aufgenommen hat". Im Text spricht man sogar von einem "Absturz", denn auch die Finanzmärkte hatten nicht erwartet, dass König Felipe sogar noch Öl ins Feuer gießen würde.
Statt zu vermitteln und einen Dialog zu fordern, der am Mittwoch auch im Europaparlament verlangt wurde, hat der Staatschef, dessen Vater 1975 vom Diktator Franco als Nachfolger bestimmt wurde, das Gegenteil getan. Felipe, der auch das Amt des Militärchefs vor drei Jahren mit der Abdankung des Franco-Nachfolgers Juan Carlos vererbt bekam, zeigte sich in seiner Rede am späten Dienstag kriegerisch.
In Straßburg wurde Spanien zum Teil heftig attackiert, auch von rechten Abgeordneten. Auch die EU-Kommission wurde angegriffen, die nicht einschreitet, wenn Spanien Grundrechte verletzt. Quer durch alle Fraktionen wurde Spanien heftig dafür kritisiert, mit brutaler Gewalt gegen Menschen vorzugehen, die an einer Abstimmung teilnehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie im Deutschlandfunk berichtet wird, da wird plötzlich von Rajoy als "Christdemokraten" gesprochen. Dann müsste man wohl so dann auch die AFD bezeichnen. Die könnte als Vorteil noch anführen, wenigsten nicht von Ministern einer Diktatur gegründet worden zu sein. Zudem haben sich Rajoys Postfaschisten auch nie von Putsch, Folter und Massenmord distanziert, der im Bund mit Nazi-Deutschland verübt wurde.
Es ist immer wieder erstaunlich, wer alles sich hinter das Vorgehen der spanischen Regierung gegen das Referendum und ihren Kurs stellt, eine friedliche Abstimmung "mit allen Mitteln" zu verhindern. Daraus hatte sie nie einen Hehl gemacht, was Anlass hätte sein müssen, sie zur Besinnung zu rufen. Ihr brutales und repressives Vorgehen gegen alle, die ihre Austeritätspolitik in Frage gestellt haben, ist bekannt (Madrid im Ausnahmezustand. Bekannt sind die Knebelgesetze und die Kriminalisierung von Streikenden. Auch vor Folter an Journalisten schreckt man in Spanien nicht zurück, was bei der UNO und am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gut bekannt ist.
Allerdings ließen sich die Menschen in Katalonien nicht einmal von der Abstimmung abhalten, als die paramilitärische Guardia Civil und die Nationalpolizei sogar verbotene Gummigeschosse einsetzten, mit denen Menschen zum Teil sehr schwer verletzt wurden. Es gelang immerhin mehr als 2,2 Millionen Wählern in 2000 Wahllokalen ihre Stimme abzugeben, wovon mehr als 90% Ja zur Unabhängigkeit sagten. Beschlagnahmt werden konnten nur die Urnen in knapp 100 Wahllokalen.
König Felipe verlangt die Wiederherstellung der "verfassungsgemäßen Ordnung"
König Felipe sprach von einer "nicht hinnehmbaren Untreue" Kataloniens. Er forderte Regierungschef Mariano Rajoy zum Durchzugreifen auf. "Vor dieser extrem schwerwiegenden Situation, die eine klare Verpflichtung aller mit dem allgemeinen Interesse bedarf, ist es die Verantwortung der legitimen Staatsorgane, die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen". Kein Wort an seine Untertanen, die ja die Unabhängigkeit wollen, die Millionen hat er wohl schon abgeschrieben.
Mit Ausnahme der Parteien am rechten Rand - von den rechten Ciudadanos über die postfaschistische Volkspartei (PP) bis hin zur Falange hat dies alle enttäuscht. Der angesehenste Journalist in Spanien zog einen Vergleich zu den Vorgängen 1981, als Militärs geputscht und die Guardia Civil das Parlament bewaffnet gestürmt hatte. Iñaki Gabilondo, der die Vorgänge einst im TV aus dem Parlament übertrug, stellte fest. "Die Worte von König Juan Carlos stoppten den Staatsstreich, die von Felipe VI werden die Revolte nicht stoppen, vielleicht das Gegenteil erreichen."
Dessen Rede sei der Ausdruck eines "kolossalen Scheiterns der Regierung". Verantwortlich seien abgestuft aber alle Parteien. "Die historische Inkompetenz der Regierung hat die Unabhängigkeitsbefürworter befördert und den Staatschef an den Rand des Abgrunds gebracht, dem er sich gestern genähert hat."
Wirkung zeigte die Rede eines Mannes, der offensichtlich als Brandstifter in die Geschichte eingehen will, sofort. Noch in der Nacht strömten Gewalttäter aus und zerstachen Reifen in fünf katalanischen Gemeinden, in denen die Unabhängigkeitsbewegung besonders stark ist. Die Polizei hat etwa 140 Anzeigen aus Verges, Medinyà, Sarrià de Ter, Llagostera und Girona registriert. Allen ist gleich, dass meist mehrere oder alle Reifen zerstochen wurden. Man kann das als Strafexpedition werten. Aus Verges kommt zum Beispiel der Sänger und Parlamentarier Lluis Llach, der die Angriffe per Twitter bekanntgemacht hat. Er setzt sich besonders für die Unabhängigkeit ein.
Enttäuschung über mangelnde Dialogbereitschaft
Die Enttäuschung geht aber weit über den Sozialdemokraten Gabilondo hinaus. Dass der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu "maximal enttäuscht" ist, erstaunt vielleicht nicht so sehr. Der Christdemokrat ist "verstört", da mit der Rede keine "Brücken geschlagen" wurden. Ihr habe es an "Realismus und der Anerkennung legitimer Rechte gefehlt, die einen Ausdruck brauchen". Die regierende PP, die für den Haushalt auf Urkullus Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) angewiesen ist, hat ein Problem, da die PNV der PP alle Unterstützung entzogen hat.
Urkullu hat sich inzwischen der EU-Kommission als Vermittler angeboten, nachdem sich der König mit seiner Brandrede selbst in dieser Rolle verbrannt hat, die ihm eigentlich die Verfassung zuweist. Dessen PNV stand einst der Partei des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont nahe. Die Beziehungen haben sich aber in den letzten Jahren deutlich abgekühlt, und als Urkullu sich im Frühjahr kaufen ließ und für mehr Geld in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft die Kartoffeln für Rajoy aus dem Feuer holte, sind sie auf einem Gefrierpunkt.
Urkullu sitzt wegen den Ereignissen in Katalonien längst selbst auf dem Schleudersitz und kämpft auch mit dem Angebot um sein politisches Überleben. Sowohl die starke baskische Linke als auch die eigene Parteibasis drängen ihn, sich endlich auch auf den katalanischen Weg zu machen. Dass seine PNV am vergangenen Samstag ebenfalls zur Großdemonstration zur Unterstützung des Prozesses in Katalonien aufgerufen hatte, zeigt, wie stark der Druck ist. Noch eine Woche zuvor taten sie dies nicht.
Erstaunlicher ist, dass bis tief ins sozialdemokratische Lager Entsetzen herrscht. Deutlich wurde der Generalsekretär der Jugendorganisation der Sozialisten (PSOE). Omar Anguita erklärte per Twitter: "Heute machen wir uns auf den Weg. Gesundheit und Republik". Vor drei Jahren konnte die PSOE-Führung noch die Debatte abwürgen, als Juan Carlos abdankte. Die Debatte über die Rückkehr zur Republik, in der Regionen wie Katalonien sich wiederfinden könnten, und die Abschaffung der vom Diktator restaurierten Monarchie wurde nicht geführt. Mit der PP peitschte die PSOE ein Abdankungsgesetz durch, um Felipe auf den Thron zu heben.
Ausweitung der Repression
Klar müsste Felipe sein, dass Rajoy schon für das bisherige Vorgehen keinen Rückhalt im Parlament hat. Die Mehrheit verweigerte seinem Kurs die Unterstützung, die Legitimität der Repression ist damit noch fraglicher. Rajoy und König überhören auch weiter alle Dialogforderungen und weiten die Repression aus. So wird weiter gegen 14 hohe katalanische Beamte wegen "Aufruhr" am Nationalen Gerichtshof ermittelt. Nachdem die Richterin Carmen Lamela auch gegen 40.000 Teilnehmer einer friedlichen Demonstration ermittelt, wurden nun auch der Chef der katalanischen Polizei Mossos d'Esquadra und die Präsidenten der beiden großen zivilgesellschaftlichen Organisationen unter diesem Vorwurf vorgeladen.
Am Freitag soll auch der Mossos-Chef Josep Lluis Trapero, der sich nach den Anschlägen in Katalonien mit Effizienz einen Namen gemacht hatte, der Präsident der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) Jordi Sànchez und Jordi Cuixart, Präsident der Kulturorganisation Òmnium Cultural, vor Gericht in Madrid erscheinen. ANC und Òmnium standen lange mit ihren starken Frauen Carme Forcadell und Muriel Casals hinter den riesigen Demonstrationen für die Unabhängigkeit.
Während Forcadell inzwischen Parlamentspräsidentin und spanische Staatsfeindin Nummer 1 ist, starb Casals inzwischen bei einem Unfall. Forcadell hat, wie sie im Telepolis-Interview erklärte, nicht im Sinn, wegen Aufruhr für 15 Jahre in spanischen Kerkern zu schmoren, sondern sie sieht sich bald in einem unabhängigen freien Staat. Was den Ablauf des Referendums anging, sollte sie Recht behalten, gespannt darf man nun sein, ob ihre Vorhersagen auch eintreffen, dass ein unabhängiges Katalonien anerkannt und in der EU bleiben wird.
Provozierte Unruhen am Wochenende?
Die Anklagen werden immer absurder, schließlich sorgen Trapero und die anderen dafür, dass bisher aus Katalonien nicht mit Gegengewalt auf die brutale Repression reagiert wird. In Spanien schäumen einige aber vor Wut, dass es ohne die Mossos nicht gelang, das Referendum zu verhindern, da die das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wahrten und nur dort Wahllokale schlossen, wo kein Einsatz von Gewalt nötig war.
Dass Guardia Civil und Nationalpolizei Hotels in Calella und Pineda del Mar verlassen mussten, sorgt für neue Wutschübe bei der spanischen Rechten. Die Vizeministerpräsidentin Soraya Sáenz de Santamaría sprach vom "mafiösen Auftreten", weil Menschen die von der Verfassung garantierten Rechte wie Versammlungsrecht, Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben. Im Hintergrund stehen die Vorgänge in Calella, wo die Mobilisierung gegen die "Besatzungskräfte" begannen, nachdem die Guardia Civils in Zivilkleidung aus dem Hotel stürmten und mit verbotenen Totschlägern auf friedliche Demonstranten einprügelten. Das ist durch diverse Videos belegt, wobei sie sich nicht einmal von der Regionalpolizei abhalten ließen. Seither, besonders am Generalstreiktag am Dienstag, ziehen die Menschen überall zu Kasernen, Hotels und Schiffen, in denen Paramilitärs und Polizei untergebracht sind und fordern ihren Abzug.
Zuspitzen will Rajoys Volkspartei auch am Wochenende. Demonstrierten schon am vergangenen Wochenende in Barcelona - großzügig geschätzt - 5000 rechtsradikale Falangisten und schrien immer wieder, dass "Katalonien Spanien bleibt", darf nun davon ausgegangen werden, dass aus ganz Spanien Busse in Richtung Katalonien starten. Das macht die PP immer wieder und nahm zum Beispiel Gesetze der sozialistischen Zapatero-Regierung aufs Korn, wie der Versuch im Baskenland einen Friedensprozess einzuleiten, die Homoehe einzuführen oder die Opfer des Franquismus anzuerkennen. Stets wurden Menschen von der PP angekarrt, die dafür keinen Pfennig zahlen mussten. Für solche Vorgänge verfügt die Partei, das ist ja inzwischen gut bekannt, über ihre Schwarzgeldkonten, die über Schmiergelder gut gefüllt waren.
Inzwischen gibt es eine Aktion, um internationalen Druck auf die EU-Kommission aufzubauen, damit sie Druck auf Rajoy macht und ihn zum Rücktritt zwingt. Zahllose Menschen haben schon den Aufruf unterschrieben, auch viele aufrechte Demokraten aus Spanien. "Whatever our views on the referendum in Catalonia and its legality, we all agree on one thing: the violent repression we witnessed on Sunday is repugnant, and the brutal police deployment ordered by Mariano Rajoy's government proves his inability as a leader of a democratic country. We ask you to urge Rajoy to resign immediately. The chaos and disproportionate police intervention in Catalonia on Sunday crossed a red line for democracy that cannot be tolerated."