Spanien will katalanische Parlamentsdebatte verbieten
Seite 3: Zuspitzung statt Entspannung, Repression statt Dialog
- Spanien will katalanische Parlamentsdebatte verbieten
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Die Klage gegen die Parlamentsdebatte am kommenden Montag ist der erste Vorstoß an der spanischen Front, die der Ministerpräsident Mariano Rajoy gegen die Katalanen schmiedet. In einer plötzlichen Dialogfreude, die er vier Jahre vermissen ließ, versucht er nun mit den spanisch-nationalistischen Kräften einen "Staatspakt" gegen die Katalanen einzubinden, auch um sich vor den Wahlen am 20. Dezember als Retter Spaniens aufzuspielen. Deshalb traf er sich zwar zunächst mit dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez. Doch die größte Hoffnung setzt er auf den Ciudadanos-Chef und ehemaligen PP-Mitglied. Dessen "Bürger" haben ohnehin nach den Regionalwahlen im Mai überall die PP wieder an die Macht gehievt, wo das nach deren Absturz noch möglich war.
Bei dem jungen Rechten sieht Rajoy die größte Übereinstimmung. Dieser will sogar Autonomierechte anderer Regionen schleifen. Offen macht er Front gegen das erfolgreiche baskische Finanzierungmodell. Er fordert, dass die Region 25 bis 30 Prozent mehr an den Staat abführen soll. Er will dieses System schleifen, weshalb er die Wahlen in Spanien zu gewinnen trachtet. Damit würde neuer Konfliktherd aufflammen, weil sich auch die bürgerlichen Nationalisten im Baskenland das Werkzeug nicht nehmen lassen, mit dem sie eine eigene Wirtschaftspolitik machen können, die erfolgreich ist, was man an Beschäftigungsquoten, Verschuldung und Lohnniveau sehr einfach ablesen kann.
Erst an zweiter Stelle setzte Rajoy auf dem PSOE-Chef Sánchez, um auch den Weg in eine große Koalition nach deutschem Vorbild nicht zu verschließen, für die er immer zwischenzeitlich immer einmal wieder geworben hat. Doch der Sozialist ist ihm, auch nach den Vorgängen im Nachbarland Portugal nicht geheuer. Denn auch der könnte nach den Wahlen auf ein Linksbündnis setzen, um die PP in Madrid abzulösen, wie es in vielen Regionen (Bundesländern ähnlich) im Sommer schon geschah.
Vor allem rückt hier Podemos (Wir können es) ins Blickfeld. Denn Podemos hat nach den Wahlen im Mai die Sozialisten in vielen Regionen an die Macht gebracht, um endlich die PP-Vorherrschaft zu brechen. Rajoy und Rivera gefällt auch nicht, dass Sánchez eine Verfassungsreform anstrebt, um es auch den Katalanen zu ermöglichen, im spanischen Staat zu bleiben. Besonders glaubhaft ist der Vorstoß aber nicht. Eine Föderalisierung des Zentralstaats verspricht die PSOE praktisch vor jeden Wahlen. Das hatte sie auch vor ihrem Wahlsieg 2004 getan. Doch nicht einmal der überflüssige Senat wurde in acht Jahren PSOE-Regierung in eine Art Bundesrat umgewandelt, um den Regionen wenigstens zu ermöglichen, Einfluss auf die Entscheidungen im Staat nehmen zu können.
Allerdings könnte Sánchez für eine Unterstützung von Podemos und der Vereinten Linken (IU) tatsächlich gezwungen werden, die Föderalisierung voranzutreiben. Dass die Linke gemeinsam aber eine so große Mehrheit erhalten kann, um die antiquierte Verfassung zu reformieren, ist mehr als unwahrscheinlich. Klar ist aber, dass sich der Podemos-Chef Pablo Iglesias wie der der IU-Chef Alberto Garzón weigert, in die nationalistische spanische Front einzusteigen. Es scheint, dass nur noch bei Podemos (als einflussreiche Formation) gesunder Menschenverstand vorherrscht.
Als Rajoy dann Iglesias doch noch in seine Konsultation zur "Katalonien-Krise" einbezog, machte der ihm klar, dass die Frage politisch gelöst werden muss. "Mich überzeugt keine Front" gegen die Katalanen, erklärte Iglesias nach dem Gespräch. Weil sich auch Podemos für das Selbstbestimmungsrecht einsetzt, schlug Iglesias eine schottische Lösung vor. "Bei der PP und ihren Partnern PSOE und Ciudadanos nehme ich Bewegungslosigkeit wahr. Die drei Parteien der großen Koalition sitzen im Bunker", sagte er und stellte Podemos als einzige Opposition für die Wahlen dar. Es sei jetzt aber nicht die Zeit der Bunker, sondern die Zeit des Dialogs, fügte er an.
Er fordert, die Katalanen in einem Referendum entscheiden zu lassen. Spanien müsse akzeptieren, dass es "eine Nation mit Nationen ist". Das Referendum über die Unabhängigkeit, bei dem Podemos für einen Verbleib Kataloniens in Spanien werben will, müsste von einer Abstimmung in Spanien über eine Verfassungsreform begleitet werden. Darin müsse das "Selbstbestimmungsrecht, eine Justizreform, eine Wahlrechtsreform, die Absicherung sozialer Rechte" und anderes beschlossen werden. Auch damit setzte er auf eine Formel, wie sie auch in Schottland angewandt wurde.
Auch dort gab es kurz vor der Abstimmung eine "Front". Doch die großen Parteien haben keine Gegenfront aufgebaut, sondern gemeinsam den Schotten mehr Autonomierechte und eine bessere Finanzierung angeboten, wenn sie für den Verbleib im Königreich stimmen (Nach Finanzversprechen für Schottland:). Diese Strategie war letztlich erfolgreich. Angesichts der Unwägbarkeiten einer Unabhängigkeit und den Drohungen aus Brüssel, dass Schottland damit außerhalb der EU stehen würde, griffen viele Schotten lieber nach dem Spatz statt nach der Taube auf dem Dach.
Dass die Briten (wie Kanada mit Quebec) demokratisch mit solchen Fragen umgehen und auch die Möglichkeit der Unabhängigkeit akzeptieren, macht es Spanien nun besonders schwer, mit den Katalanen umzugehen. Mit ihrer Repressionspolitik kommt das Land immer stärker in Erklärungsnot. Spanien wusste deshalb sehr genau, warum es sich gegen die Unabhängigkeit des Kosovo aussprach, die von der EU gefördert und betrieben wurde. Doch es ist Spanien nicht gelungen, die Anerkennung dieses Staats durch die EU zu verhindern, der sich sogar einseitig unabhängig - ohne Referendum - erklärt hat. Spanien hat wegen seiner internen Probleme mit Katalanen und Basken bisher den Kosovo nicht anerkannt (Spanien will Truppen aus dem Kosovo abziehen).
Mit größter Sorge studierte und studiert man auch in Madrid das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag. Das Gericht hatte 2010 sehr klar gemacht, dass sogar die einseitige Erklärung der Unabhängigkeit "das allgemeine internationale Recht nicht verletzt". Es gäbe keine internationale Rechtsnorm, die es einem Volk verbiete, sich auch einseitig für Unabhängig zu erklären. Die Parallelen zum Fall Katalonien zwingen sich geradezu auf. Denn auch hier war es eine Autonomieregierung, im Fall Kosovo sogar eine "provisorische", die per Parlamentsentscheidung die Unabhängigkeit erklärt hat. Im IGH-Urteil heißt es dazu eindeutig:
122. The Court has concluded above that the adoption of the declaration of independence of 17 February 2008 did not violate general international law, Security Council resolution 1244 (1999) or the Constitutional Framework. Consequently the adoption of that declaration did not violate any applicable rule of international law.
IGH-Urteil
Es brauchte schon eine enorme Heuchelei, die weit über die in Europa übliche hinausgeht, nun in der EU und Katalonien das Gegenteil zu vertreten. Im Kosovo hat Europa die Büchse der Pandora aufgemacht und muss nun mit den Konsequenzen umgehen.