Spaniens Regierung: Corona Fälle nur noch als Grippe überwachen
Seite 2: Von der Politik im Stich gelassen
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Nicht nur auf den Balearen beklagt man sich über fehlendes Personal und über eine nach sechs Wellen ausgebrannte Belegschaft. "Das System der medizinischen Grundversorgung kollabiert", erklärt zum Beispiel die Medizinerin Arantxa gegenüber Telepolis. Ihr vollständiger Name ist Telepolis bekannt, den will die baskische Ärztin aber aus Angst vor Repressalien nicht nennen.
Auch sie und ihre Kolleginnen und Kollegen im Baskenland fühlen sich von der "Politik im Stich gelassen", sagt Arantxa, die als Hausärztin in einem Gesundheitszentrum arbeitet. Freie Arztwahl gibt es in Spanien nicht. Sie will dem Aufruf der Gewerkschaften folgen und am 23. Januar gegen den "Kollaps des Gesundheitssystem" auf Straße gehen. "Wie wir diese Woche überstehen, ist mir unklar", sagt Arantxa. Denn auch hier werden so viele Infektionen wie nie zuvor registriert, etliche Beschäftigte befinden sich deshalb in Quarantäne wie Tausende Beschäftigte.
In diesem Fall sind sich die baskischen und spanischen Gewerkschaften einig, was eher selten der Fall ist. Gemeinsam kritisieren sie, dass man es mit strukturellen Problemen zu tun hat, die durch die Pandemie nur weiter verschärft wurden. "Seit Jahren kritisieren wir, dass die Lage in der Grundversorgung schlecht ist", erklärte schon im Dezember Pilar Mendia angesichts erster Proteste vor Gesundheitszentren und Hospitälern.
Die Sprecherin der Gewerkschaft für Ärzte und Krankenpfleger (Satse) verwies dabei auf das Jahr 2019: "Schon damals haben wir drei Tage gestreikt." Nun sei es nicht mehr zum Aushalten. Man sei "physisch, psychologisch und emotional an alle Grenzen gelangt", sagt Mendia. Dass die baskische Regierung im Oktober die befristeten Verträge von 4.000 Beschäftigten habe auslaufen lassen, erregt besondere Wut bei Arantxa.
Dass jetzt eine neue Protestwelle im Baskenland beginnt, hat weniger damit zu tun, dass die Lage im Gesundheitswesen hier besonders schlecht ist. Das baskische Gesundheitswesen zählt zu den Besten im spanischen Staat. Es hat einerseits damit zu tun, dass die Omikron-Welle im Norden schon besonders heftig zuschlägt und die Inzidenz mit 3.500 mehr als doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt ist. Zudem sind die baskischen Gewerkschaften, wie die Mehrheitsgewerkschaft ELA, sehr kämpferisch.
So finanziert ELA zum Beispiel einen Streik von Beschäftigten, der bereits seit mehr als 900 Tagen, also schon fast drei Jahre lang, für einen würdigen Tarifvertrag bei Novaltia kämpft. Nicht selten haben soziale Kämpfe, auch der für lebenswürdige Renten, ihren Ausgangspunkt im kämpferischen Baskenland und sie breiten sich dann über den gesamten spanischen Staat aus. Zur Unterstützung der Pensionisten gab es sogar einen Generalstreik.
Bekannt ist, dass schon seit Dezember die medizinische Grundversorgung in der Hauptstadt Madrid kollabiert, wie auch die größte Tageszeitung El País berichtete. Eine "Überfüllung" hatten die Gewerkschaften in einem von Privatisierung besonders betroffenen Gesundheitssystem festgestellt.
Fehlendes Personal für die Grundversorgung
"Faktisch ist das System der Grundversorgung schon kollabiert", erklärte Ende Dezember der Madrider Arzt Javier Padilla. "Zum Glück ist das in den Hospitälern, mit Ausnahme einiger Notaufnahmen, noch nicht der Fall", fügt Padilla an, der für die Partei "Más Madrid" (Mehr Madrid) im Regionalparlament sitzt.
Die rechte Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso machte die "Linke" für die Lage verantwortlich. Die Beschäftigten, die das Telefon nicht abnehmen oder einfach wieder auflegten, seien für die Lage in Gesundheitszentren verantwortlich, behauptete Ayuso und löste einen Entrüstungssturm aus. Zum 1. Januar hat sich die Lage zugespitzt, weil 65 Prozent der 11.200 Covid-Verträge für Ärzte und Pfleger, die ab März 2020 geschlossen worden waren, ausgelaufen sind.
Hospitäler im ganzen Land bereiten sich, derart noch schlechter aufgestellt als bisher, angesichts extremer Infektionsraten auf einen baldigen Ansturm vor. Die Ärztin Arantxa macht für die Lage die Führungslosigkeit der Regierung Sánchez verantwortlich. Um Aktivität zu zeigen, hatte der vor Weihnachten mit der Maskenpflicht im Freien "die Maßnahme verordnet, die am wenigsten bringt", meint die Ärztin.
Denn nach dem Gang durch ungefährliche Straßen saßen die Leute danach in gut gefüllten Bars, Restaurants oder Wohnungen, nahmen beim Essen und Trinken die Maske ab und infizierten sich. So erklärt sie sich die Explosion der Infektionen.
Steigende Infektionszahlen und das Prinzip Hoffnung
Denn mit den Feiern über Weihnachten und Neujahr sind die Neuinfektionen mit der Omikron-Variante explodiert. Das dicke Ende wird erst in den kommenden beiden Wochen erwartet. Denn der große Weihnachtsfeiertag mit vielen Zusammenkünften und Festlichkeiten fand in Spanien erst am 6. Januar statt.
Deshalb rechnen die Experten damit, dass der Peak längst noch nicht erreicht ist. Und etwa eine bis zwei Wochen nach diesen hohen Infektionsraten zeigt sich, wie stark der Ansturm auf die Hospitäler ist und ob das Gesundheitssystem kollabiert.
Die spanische Regierung setzt nun, wie oben ausgeführt, nur noch auf das Prinzip Hoffnung. "Augen zu und durch" scheint nun die Devise zu lauten. Dass Sánchez jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ebenfalls angekündigt hat, endlich die exorbitanten Preise für Selbsttests zu regulieren, halten Ärztinnen wie Arantxa auch für einen schlechten Witz.
"Wie immer viel zu spät", erklärt sie. Nicht einmal die Versorgung mit Tests war gesichert. Es war vor den Feierlichkeiten um Weihnachten und Neujahr praktisch unmöglich, einen Test in einer Apotheke kaufen zu können.
Nun gibt es sie wieder. Auch die Apotheke um die Ecke des Autors ist wieder versorgt. Der Preis wurde dort aber inzwischen von 3,90 Euro auf 4,90 angehoben. Damit liegt meine Apotheke aber noch am unteren Rand, denn meist oszilliert der Preis zwischen fünf und zehn Euro. Seit Wochen haben Supermärkte gefordert, wie in Frankreich oder Portugal, ebenfalls Selbsttests verkaufen zu dürfen.
In Frankreich wurde damit zum Jahresende 2021 begonnen und dort kosten die Tests oft keine zwei Euro. In Portugal werden die Tests seit Langem in Supermärkten für etwa zwei Euro verkauft. Doch billige Tests in Supermärkten lehnt Sánchez auch ab, denn er will der Apotheker-Lobby keine Konkurrenz machen.
Man darf gespannt sein, ob seine Wette aufgeht, dass die Omikron-Welle angesichts leichterer Verläufe und einer relativ hohen Impfquote den Kollaps landesweit und über die Primärversorgung hinaus verhindert.