Spanische Migrationspolitik: "Deckungsgleich mit der des rechtsradikalen Salvini!"

Seite 2: Der europäische Tauschhandel

In der Westsahara, von Marokko illegal seit 1975 besetzt, dessen Entkolonisierung auch die UNO fordert, wird die westliche Doppelmoral auf den Punkt gebracht. Auch dort gibt es einen Krieg, für den Marokko genauso verantwortlich ist wie für massive Menschenrechtsverletzungen. Doch darüber geht man in Europa geflissentlich hinweg, was in Afrika den Unmut vergrößert. Welche Gründe stecken ihrer Meinung neben Rassismus dahinter?

Helena Maleno: Seit vielen Jahren wird dieses Territorium von Europa, vor allem von Spanien, als Objekt für einen Tauschhandel benutzt. Jetzt hat die Regierung unter Pedro Sánchez plötzlich die Politik völlig verändert, ohne jede Erklärung das besetzte Gebiet Marokko zugeschlagen.

Es gibt viele Interessen, nicht nur am Territorium selbst, sondern auch an den Ressourcen in der Region, auch im Meer. Die USA und auch Israel sind an der Ausbeutung von Rohstoffen vom Meeresgrund, auch um dort Gas über Fracking zu fördern. Es wird dort im Meer allerdings auch zu territorialen Konflikten mit Spanien vor den Kanarischen Inseln kommen, die jetzt schon aufbrechen. In den Hoheitsgewässern tauchen jetzt schon marokkanische Boote auf.

Gibt es eine Untersuchung über die mörderischen Vorgänge an der Mauer zu Melilla?

Helena Maleno: Von offizieller Seite nicht. Es ist sogar so, dass die Flüchtlinge kriminalisiert werden. 33 wurden zu einer Gefängnisstrafe von 11 Monaten und zu einer Geldstrafe verurteilt. Etlichen drohen demnächst in Verfahren Haftstrafen von bis zu 20 Jahren, unter anderem, weil sie Schlepper seien. Menschenrechtsorganisationen haben zwar Aufklärung gefordert, aber das lehnt Marokko ab. Es gab nur einen Bericht von einer regierungsnahen Organisation, der nichts erklärt und nichts aufdeckt.

Seit den Vorgängen am Strand Tarajal in Ceuta, wo 15 Menschen ertrunken sind, sehen wir auch, dass auch die spanische Justiz nichts aufklären will. Wir überlegen deshalb, welche juristischen Schritte wir unternehmen, damit nicht wieder die Rechte der Opfer und ihrer Angehörigen mit Füßen getreten werden.

Kriegssprache und Kriegskonzept

Ist es nicht wahrscheinlich, dass wie am Tarajal, wo die Guardia Civil mit Gummigeschossen und Tränengas auf schwimmende Menschen schoss, dass die Täter auch in diesem Fall wieder straflos bleiben? 15 Menschen ertranken damals.

Helena Maleno: Das ist vor allem auch aus der Kriegssprache zu erwarten, die gerade zum Tragen kommt und auch, dass die Nato nun Migration als Bedrohung einstuft, dass an den Grenzen weiter aufgerüstet wird. Verbrechen in Kriegen werden selten bestraft, da mischt sich die Justiz nicht oder nur zaghaft ein.

Da ist egal, dass wir schon etwa 1000 Tote allein in diesem Jahr verzeichnen, im vergangenen Jahr waren es 4000. Will eine Gesellschaft, die angeblich für Menschenrechte eintritt, ein Kriegskonzept für seine Grenzen akzeptieren?

Was halten Sie von den Worten von Pedro Sánchez, der einst mit dem Versprechen angetreten ist, die Migrationspolitik zu humanisieren, der nun "die außergewöhnliche Arbeit der marokkanischen und spanischen Sicherheitskräfte" lobt?

Helena Maleno: Es ist klar, dass keine Regierung in Europa eine andere Politik macht. Es ist egal, wer da gerade regiert. Die Politik des Sozialisten Sánchez ist praktisch deckungsgleich mit der des rechtsradikalen Salvini. Die Regierung, die sich als progressivste in der spanischen Geschichte nennt, macht die gleiche Politik wie Rechtsradikale in Italien. In der Ausführung ist sie genau gleich.

Das sehen wir auch am Umgang mit Minderjährigen wie auf den Kanarischen Inseln. Dort ist es sogar Podemos, welche dafür zuständig ist. Kinder werden auch dort von den Eltern getrennt gehalten. Die handeln genauso rassistisch in einem strukturellen Rassismus. Und Europa erlaubt und fördert diese tödliche Politik.

Es waren die Sozialisten, die in Spanien dies vorangetrieben haben. Die Worte von Sanchez hat schon 2005 der Außenminister Moratinos in Marokko gesagt und damit begrüßt, dass Marokko die Menschen von der Mauer in die Wüste gebracht hat, wo viele einfach umgekommen sind.

Sklavenarbeit in der Landwirtschaft

Und haben Sie eine so schwache Antwort auf die Vorgänge von der Linkskoalition "Unidas Podemos" angesichts von Dutzenden Toten und der Tatsache erwartet, dass Migration jetzt eine Bedrohung für die Nato sein soll? Angeblich ist die spanische Linke doch gegen die Nato.

Helena Maleno: In einer so komplizierten Regierung mit einem so schwierigen Gleichgewicht haben wir erwartet, dass die ersten, die man für den Koalitionsfrieden opfern würden, die sind, die nicht wählen dürfen. Das kann man auch in dem sehen, was man als Sklavenarbeit in der Landwirtschaft bezeichnen muss.

Die hat niemand bisher angerührt. Es gab einige Verbesserungen im Arbeitsleben für den Rest der Bevölkerung, aber Sklavinnen und Sklaven ernten weiter Erdbeeren und Tomaten in Andalusien. Das strukturell rassistische System erlaubt es, diese Leute zu opfern. So ist das rassistische System, das Kinder und Eltern trennt, in Ceuta, Melilla und Andalusien, wo die rechte regiert, genau gleich wie auf den Kanaren, wo Podemos dafür verantwortlich ist.

Gibt es noch etwas, was Sie anfügen wollen?

Helena Maleno: Es ist klar, dass die Zahl der Toten zunimmt. Wir gehen nicht davon aus, dass positive Entwicklungen aus dem Norden und aus Europa kommen. Das wird aus dem Süden kommen und das entwickelt sich zum Beispiel in Afrika schon, dass auch die Familien der Opfer Gerechtigkeit einfordern.

Das sind schon Zehntausende Menschen und in einigen Jahrzehnten werden sie die einfordern. Wir haben es mit einer Fortführung des europäischen Kolonialismus zu tun, wie die steigende Zahl der Toten zeigt.

Es ist auch offensichtlich, dass der Krieg um die Rohstoffe schon in vollem Gange ist, dazu kommt der Klimawandel in einer begrenzten Welt. Das führt zu weiteren gewaltsamen Vertreibungen und noch mehr Tote. Wenn es eine Lösung gibt, dann kommt die aus dem Süden und nicht von einer Linken aus Nordeuropa, die letztlich auch Komplizen dieser Politik sind.