Spanische Verhältnisse nun auch in Griechenland?

Seite 4: Generation Facebook = Generation Verschwörungstheorie?

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Bei solchen Hiobsbotschaften war es für die seltsamerweise immer noch weitgehend anonymen Organisatoren der Massendemos ein Leichtes, "wütende Bürger" zu finden. Ohne Parteifahnen aber mit dem Willen das Vaterland zu retten, sollten die Griechen auf die Straße gehen. Anonym bleiben die Organisatoren vor allem deshalb, weil die gewählten Facebookprofile keine Realnamen enthielten.

Linke Gruppen vermuten, dass hinter der Aktion ultrarechte Patrioten stehen würden. Die Kommunisten diagnostizieren gar ein "fehlendes Klassenbewusstsein". Dennoch gab der Parteichef der linken SYRIZA, Alexis Tsipras, am Montag seinen Segen. "Es ist nicht die Zeit um mit der PASOK über eine politische Einigung beim Verbrechen gegen die Griechen zu diskutieren", meinte er nach dem Treffen mit Georgios Papandreou, "vielmehr sollten die Menschen wie in Spanien auf die Straße gehen."

Facebook-Gruppen mit Demonstrationsaufrufen erschienen am Dienstagmorgen und waren trotz 50.000 Mitgliedern bereits am Abend wieder gelöscht. Gerüchte über staatliche Hacker, gar Zensur machten die Runde und gaben so der Bewegung weiteren Rückenwind.

Weitere Zufälle sorgen für verschwörungstheoretischen Gesprächsstoff. Am Mittwoch herrschte in der gesamten Umgebung des Syntagmaplatzes Funkstille. Kein Mobiltelefon funktionierte mehr, selbst das öffentliche Wifi-Netz der Stadt Athen lag lahm. Zunächst verschwiegen die größeren Rundfunkanstalten das Thema, räumten aber im Lauf des Abends ein, dass sich mehrere Tausend Menschen vor dem Parlament getroffen hätten.

Kein Handyempfang. Bild: W. Aswestopoulos

Na, wie viele waren es denn? Das übliche Zahlenspiel

Die Zahlenangaben zur Demoteilnahme weichen je nach Sichtweise des Berichterstatters immens voneinander ab. Die regierungsfreundliche Presse vermeldet zehn- bis zwanzigtausend Menschen in Athen. Die Polizei vermutet, dass sich über Stunden ständig 35.000 Menschen auf dem Platz befanden. Oppositionelle Medien sprechen von bis zu 80.000 Personen, da sie die Fluktuationen eines ständigen Kommens und Gehens von Demonstrationsteilnehmern mit berücksichtigen, und die verschnupften Linken registrieren zumindest, dass die Versammlung fast an ihre Rekorddemos, die über 50.000 Teilnehmer hatten, heran kam.

Wichtiger jedoch als solche Zahlenspiele, die von Politikern wie Pangalos gerne mit Hinweis auf die Bevölkerungsstärke des Großraums Attika relativiert werden, ist jedoch die Tatsache, dass auch am Donnerstag eine weitere gut besuchte Veranstaltung stattfand. Bei schwerem Gewitterregen harrten erneut zehntausende "wütender Bürger" über Stunden auf dem Parlamentsvorplatz aus. Erneut bestand die bunte Gruppe aus Menschen jeden Alters. Familien mit Kindern waren ebenso zugegen wie Behinderte mit Rollstühlen. Vermummte Molotowwerfer fehlten. Verschämt vermerkten einige selbst erklärte Anhänger des Anarchismus auf ihrer Facebook-Pinnwand, dass im Februar eine von autonomen Gruppen organisierte Demonstration für die Rechte von Immigranten (Griechische Regierung gibt erstmals dem Druck der Straße nach) bei Dauerregen buchstäblich ins Wasser fiel.

Eine Diskussionen anheizende Panne gab es erneut. Diesmal funktionierten die Handys, dafür fiel aber die Straßenbeleuchtung aus.

Für heute und das Wochenende sind weitere Aktionen bereits angekündigt. Am Sonntag möchte eine Gruppe von namhaften Künstlern ein Gratiskonzert für die Demonstranten organisieren. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Bewegung weiter entwickelt. Die Forderungen nach Wiederherstellung einer funktionierenden Demokratie, Abschaffung der gescheiterten Parteien, IWF-Austritt und Bestrafung der Schuldigen mögen zum aktuellen Zeitpunkt utopisch klingen. Ebenso weltfremd klingen derzeit aber auch die Befürchtungen, dass in naher Zukunft Notstandsgesetze gelten könnten. Falls die spontane Bewegung ihre Dynamik beibehält, dann sind politische Konsequenzen unumgänglich.