Spar- und Asyl-Debatten auf SPD-Parteitag: "Mein Kanzler kennt meinen Standpunkt"

Will sich nicht an der Boulevardpresse orientieren: Serpil Midyatli. Foto: Frederik Digulla / CC-BY-SA-4.0

Die SPD ringt um Wege aus der Haushaltskrise. Zugleich geht es um Grundsatzfragen in der Asylpolitik. Das sagt die stellvertretende Vorsitzende.

Die SPD-Politikerin Serpil Midyatli ist seit 2009 Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Seit 2017 engagiert sie sich im Bundesvorstand ihrer Partei. Seit März 2019 ist sie Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein und seit Dezember 2019 stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Mit Telepolis sprach sie anlässlich des heute begonnenen Bundesparteitags in Berlin.

Frau Midyatli, wie würden Sie den derzeitigen Zustand der SPD beschreiben?

Auch wir spüren die Unsicherheit in der Bevölkerung. Wir leben in Krisenzeiten und viele Bürger sind erschöpft. Politiker sollten dies zunächst einmal anerkennen - und es nicht sofort schönreden. Die Lage ist schwierig, aber es war schon immer die Stärke der SPD, in solchen Situationen einen Plan für eine gute Zukunft zu gestalten.

In aktuellen Umfragen liegt die SPD bei 14 Prozent, die AfD bei über zwanzig. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

Es ist nicht das erste Mal, dass die Zustimmung zur Koalition in der Mitte einer Regierungszeit deutlich sinkt. Das hat ja schon fast Tradition. Aber 14 Prozent, puh, das ist natürlich kein Zustand, mit dem wir zufrieden sein können. Ich hielte es allerdings für einen Fehler, wenn wir uns davon treiben ließen.

Laut RTL/ntv-Trendbarometer trauen nur 23 Prozent der Bundesbürger Kanzler Olaf Scholz zu, Vertrauen in die Bundesregierung zurückzugewinnen.

Da müssen wir durch, wir konzentrieren uns derzeit auf unser Brot- und Buttergeschäft. In erster Linie geht es darum, dass wir alle gut durch die Krisen kommen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen im Bundeshaushalt für das kommende Jahr rund 17 Milliarden Euro. Wie kann angesichts der Debatten um einen Sparkurs Vertrauen zurückgewonnen werden?

"Wir könnten beispielsweise noch mal an die Erbschaftssteuer ran"

Wir haben jetzt zusätzlichen Druck, das ist richtig. Aber darin besteht auch eine Chance. Wir haben in der Koalition bereits eine Menge geschafft, was in den öffentlichen Diskussionen oft untergeht. Für uns als SPD geht es nun darum, klare Beschlüsse zu fassen. Wir sollten dazu stehen, dass wir auch in dieser prekären Lage keine Kürzungen im Sozialbereich vornehmen werden.

Die FDP hält Einsparungen bei den Sozialausgaben für nötig.

Wir lassen uns da nicht treiben. Das wäre genau der falsche Weg. Auf unserem Parteitag werden wir viele spannende Anträge zu dem Thema diskutieren - und darauf freue ich mich. Zudem werden wir mit Lars Klingbeil und Saskia Esken die großen Themen Transformation und Bildung diskutieren. Unter anderem wollen wir die Verteilungsfrage neu stellen. Es wird ja immer so getan, als wäre überhaupt gar kein Geld mehr da. Das ist Quatsch.

Werden Sie bitte konkreter.

Wir könnten beispielsweise noch mal an die Erbschaftssteuer ran.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte kürzlich, Steuererhöhungen müssten ausgeschlossen bleiben.

Das sehe ich anders. Unsere Aufgabe ist es nicht, aus ideologischen Gründen Vorhaben auszuschließen, sondern dafür zu sorgen, dass es der Gesellschaft insgesamt gut geht. Daher müssen wir sicherstellen, dass der Wohlstand des Landes unter allen Bürgern gerecht verteilt wird. Nur dann können wir die Gesellschaft zusammenhalten.

Wir halten fest: Neuer Streit ist programmiert.

Wir können unser Programm nicht immer davon abhängig machen, wie es auf die Koalition wirkt. Auf einem Bundesparteitag der SPD geht es logischerweise um sozialdemokratische Ziele und Ideen. Richtungsentscheidungen sind wichtig.

Es wäre doch tragisch, wenn wir die Debatte darüber aus taktischen Gründen beiseiteschöben. Und eines ist ebenfalls klar: Niemand geht davon aus, dass all die Beschlüsse, die wir ab heute hier in Berlin treffen, übermorgen in der Regierung umgesetzt werden. Ich bin sicher, die Wähler können das gut einschätzen.

Haben Sie sich die Zusammenarbeit mit der FDP einfacher vorgestellt?

Wir haben vieles gemeinsam auf den Weg gebracht - das ist positiv.

Aber?

Man muss anerkennen, unter welchen Bedingungen wir gestartet sind. Es gab bekanntlich das große Bedürfnis all das, was in der Großen Koalition liegen geblieben ist, schnell anzupacken. Ich denke da nur an die Bezeichnung "Fortschrittskoalition". Viele sprachen auch von einer Aufbruchsstimmung. So manche Detaildebatten haben sicherlich nicht dazu beigetragen, den positiven Eindruck aufrechtzuerhalten. Das ist schade.

Wie meinen Sie das?

Insgesamt ist es an der einen oder anderen Stelle schwieriger gewesen als ich es mir vorgestellt hatte, das will ich nicht verschweigen. Wir sollten uns wieder stärker auf den Kern fokussieren. Das Land gemeinsam modernisieren, das ist unser Ziel, ich nenne nur die Stichworte Digitalisierung, Infrastruktur und Gesellschaftspolitik. Wichtig: Am Ende jeder Diskussion haben wir stets gemeinsam eine Lösung gefunden. Und darauf setze ich auch weiterhin.

Was antworten Sie jenen Kritikern, die sagen, die Ampel habe fast alle Probleme bislang mit Geld gelöst?

"Wir haben die Krise angenommen"

Niemand hat mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und der Energiekrise gerechnet. Das war nicht absehbar. Wir haben in dieser Situation schnell reagiert und Hilfen auf den Weg gebracht. Das war unheimlich stark, finde ich. Wir haben die Krise angenommen, Sicherheit ausgestrahlt und Verantwortung übernommen – alle gemeinsam. Dass es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht einfacher wird, ist ein Fakt. Aber es handelt sich hierbei eher um ein technisches Problem.

Sie sprechen von einem technischen Problem, der Kanzler sagte mit einem Lächeln im Bundestag den Satz: "Ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir die Urteile auch dann beachten, wenn wir vorher anderer Meinung waren." Viele fragen sich nun, wo die Selbstkritik bleibt, nach diesem folgenschweren Urteil.

Natürlich haben wir aus dem Urteil gelernt. Aber im Kern geht es doch darum: Wir dürfen Kredite für Notlagen aufnehmen. Das Gericht hat das nicht beanstandet, sondern nur, wie es handwerklich umgesetzt wurde. Das Ausland schaut staunend auf uns und fragt, weshalb wir dieses technische Problem nicht schon längst gelöst haben.

Das sollte auch den Kritikern zu denken geben. Denn eines steht fest: Wir brauchen auch weiterhin unbedingt Investitionen, damit wir unsere Industrie am Laufen halten und die Klimaschutzziele einhalten. Wir wollen eine starke Wirtschaftsnation bleiben.