Spione im Schlauchboot?

Gefangennahme von britischen Marinesoldaten durch Revolutionäre Garden löst größere Krise aus

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Die Krise zwischen Großbritannien und Iran spitzt sich zu: Nach jüngsten Informationen aus der englischen Presse sollen die 15 britischen Marinesoldaten, die am Freitag von Mitgliedern der Revolutionären Garden gefangen genommen wurden, als Spione vor Gericht gebracht werden.

Die britische Sonntagsausgabe der Zeitung Times beruft sich allerdings nicht auf offizielle Verlautbarungen der iranischen Regierung, sondern „auf eine Webseite, die von Verbündeten des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad betrieben wird“. Dort soll von einer möglichen Anklage wegen Spionage die Rede sein:

Wenn es erwiesen ist, dass sie mit Vorbedacht in iranisches Hoheitsgebiet eindrangen, dann werden sie vor Gericht der Spionage angeklagt. Wenn sich das als richtig erweist, dann können sie sich auf ein erhebliches Strafmaß gefasst machen, da nach iranischem Recht Spionage ein schwerwiegender Verstoß ist, der ernsthaft geahndet wird

Zitiert nach der Sunday Times

Da die britischen Marinesoldaten - „sailors and marines“ im englischen Wortlaut – von Mitgliedern der Revolutionären Garden gefangen genommen wurden, fügt sich das Ereignis vom Freitagvormittag in der Sichtweise der englischen Zeitung in einen Plot, vor dem die Zeitung schon vergangene Woche gewarnt hat (vgl. Hick-Hack der Kampfhähne): Demnach könnte es sich um eine Vergeltungsmaßnahme der Revolutionären Garden für „Entführungen“ und Gefangennahmen von hochrangigen Mitgliedern, bzw. geförderte Überlaufaktionen durch amerikanische und britische Kräfte handeln. Gestützt wird diese Annahme u.a. von Informanten aus Geheimdienstkreisen:

Laut Geheimdienstquellen musste der Marschbefehl für die Verhaftung (der britischen Marinesoladten, Anm. d.A.) wahrscheinlich von Generalmajor Jahia Rahim Safavi, dem Kommandeur der Revolutionären Garden, kommen.

Mit einer ähnlichen Lesart wird von der Sunday Times auch die von Saudis in London herausgegebene Zeitung As-Sharq al-Ausat herangezogen; dort wird eine iranische Geheimdienstquelle mit der Ausage zitiert, wonach das Ziel der Aktion darin bestünde, die britischen Marinesoldaten gegen vom Westen gefangene Mitglieder der Revolutionären Garden auszutauschen. Andere Quellen in Teheran sollen diese Behauptung bekräftigen: „Sobald die fünf Mitglieder der Revolutionären Garden frei sind, können die Briten nach Hause“, soll eine anonyme Quelle mit Verbindungen zu den Revolutionären Garden gesagt haben. Das Vorgehen soll zudem vom obersten Führer in Iran, Ayatollah Khamenei, abgesegnet worden sein.

Doch das ist bislang vor allem Spekulation, wenn auch die Androhung von Gerichtsverhandlungen vom Guardian in Andeutungen bestätigt wird. Bis zum heutigen Mittag ist von iranischer Regierungsseite allerdings nur ein Statement des Sprechers des Außenminsteriums Mohammad-Ali Hossein bekannt, der am gestrigen Samstag das Eindringen der britischen Seeleute in iranisches Hoheitsgebiet scharf als „illegal“ verurteilte: "..suspicious move and contrary to international rules and regulations."

Der große Streitpunkt in der Krise zwischen Großbritannien und Iran ist die Frage, ob die englischen Seeleute sich auf irakischem Hoheitsgebiet oder doch schon im iranischen aufgehalten haben. Während die Briten auf dem Standpunkt bestehen, dass ihre Seeleute mit abgesichertem Auftrag einen Frachter, der Gebrauchtwagen geladen hatte, im irakischen Teil des Shatt al-Arab-Wasserweges überprüft habe, insistieren iranische Repräsentanten darauf, dass die Gefangennahme im iranischen Hoheitsgebiet, im Arvand Fluss des nördlichen Teils des persischen Golfes, vollzogen worden sei.

Für die britische Sicht sprechen bislang nur eigene Angaben sowie die Zeugen-Aussage eines irakischen Fischers. Die iranische Nachrichtenagentur IRNA veröffentlichte demgegenüber gestern, dass die britischen „Sailors“ verhört worden und gestanden hätten, dass sie iranisches Hoheitsgebiet verletzt hätten:

They are currently being questioned and have admitted to violating the territorial waters of the Islamic republic.

Gen Alireza Afshar, Sprecher des iranischen Generalsstabs.

Nach Informationen des Guardian soll ein hochrangiger iranischer Vertreter gegenüber der Nachrichtenagentur Fars zudem auf Dokumente und Beweise, wie etwa das GPS-Equipment, angespielt haben, die eindeutig belegen würden, dass die britischen Marinesoldaten, die mittlerweile nach Teheran verbracht wurden, wussten, dass sie in iranische Gewässer eingedrungen seien. Unterstützung bekommt diese Sichtweise durch einen irakischen Regierungsvertreter, der ebenfalls behauptet, die Briten hätten auf der iranischen Seite operiert.

Dem widerspricht ein Reporter des Independent, der an Bord der Fregatte HMS 'Cornwall' war, von dem aus die britischen Seeleute am Freitag in Spezialschlauchbooten (rigid hull inflatable boats - rhibs) ausschwärmten, um eine Schiff, das Gebrauchtwagen geladen hatte, zu überprüfen. Reporter Terri Judd liefert zwar einen detaillierten Hergang der Abläufe im Shatt al-Arab, doch bei der entscheidenden Frage, muss auch er sich auf Angaben des britischen Kommandanten der „Koalitions-Task-Force“ in diesem Gebiet, Nick Lambert, stützen. Nach dessen Aussagen komme es in dem Gewässer immer wieder zu derartigen Zwischenfällen, die aber meist harmlos ausgingen:

This time, however, he insisted, the Iranians were clearly half a mile into Iraqi waters around Marakkat Abd Allah and in vast numbers..

Lambert hoffte laut gestrigem Bericht noch darauf, dass die Sache das Ergebnis eines Mißverständnis sei; die Grenzverläufe in diesem „Teil der Welt“ seien „sehr kompliziert“:

There is absolutely no doubt in my mind that they were in Iraqi territorial waters. Equally, the Iranians may well claim that they were in Iranian territorial waters...The extent and definition of territorial waters in this part of the world is very complicated. We may find, and I hope we will find, that this is a simple misunderstanding at a tactical level.

Wie es derzeit aussieht, könnte das Missverständnis jedoch zu einer Geiselkrise eskalieren. Iran ist sehr empfindlich (vgl. Generation persischer Golf), was die Verletzung seines Hoheitsgebiets im Golf anbelangt. Dazu kommen die in letzter Zeit von britischen und amerikanischen Vertretern öfter geäußerten Anklagen Richtung Iran, wonach sich iranische Kräfte mit Waffenlieferungen und anderer Unterstützung im Irak zuungunsten der Koalitionstruppen einmischen würden.

Die gestern vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen verschärften Sanktionen gegen Iran dürften in die Geiselaffäre ebenfalls hineinspielen. Jedenfalls hat Iran schon klar gemacht, dass man den Forderungen nach Freilassung der 15 Marineangehörigen, die neben der britischen Regierung auch die USA und die EU geäußert haben, nicht nachkommen will.