Stadtplanung, Politik und debattierfreudige Bürger

Streit um S21 in Stuttgart, das Tempelhofer Feld in Berlin, Hochhäuser in München: Urbanität ist ein emotionsgeladenes Gebiet. Brauchen wir ein neues demokratisches Verständnis von Planung?

Es gibt eine Fotografie, die zeigt, wie Le Corbusiers Arm von oben gebieterisch auf die Ville Radieuse deutet, seine moderne Idealstadt im Einklang mit den Bedingungen der Zeit. Die Selbstinszenierung des Architekten vor seiner Musterstadt erinnert an das zentrale Motiv von Michelangelos Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle.

Dort streckt Gott seine Hand energisch in die Richtung von Adams noch schwachem Arm und erfüllt dessen Körper mit Lebenskraft. Im Falle von Le Corbusiers schwebendem Arm könnte man sagen: Der Schöpfer denkt Stadt und dadurch wird Stadt.

Falsch gedacht! Mit Hypertrophie kommt man in der Urbanistik heute nicht weit. Im Gegenteil, sie ist ein kooperatives kollektives Unternehmen, dessen Ziel (hoffentlich) ein systematischer gemeinsamer Gewinn ist, auch wenn vorab nicht unbedingt zu sehen ist, welche Form dieser Gewinn annehmen wird.

Zudem kann man eine Stadt mit einem Buch vergleichen: das Verhältnis zwischen Plan und Wirklichkeit ist ebenso unberechenbar wie das zwischen Autor und Leser. Und dennoch verändert sich etwas – mal dynamisch, mal fast unsichtbar, mal gesteuert, mal eher zufällig.

Wo Stadtplanung beginnt

Die Begriffe "Stadt", "Planung" und "Politik" bilden ein zwar wichtiges, aber seltsam unbestimmtes Dreieck. Stadtplanung beginnt nicht mit einem Plan, sondern mit dem Diskurs über Szenarien. Möglichkeiten, Wünsche, Ziele, Defizite und Machtverhältnisse schließen die Frage ein, welchen Beitrag einzelne Projekte für die Stadtentwicklung leisten können.

Das ist heute der wichtigste Job für die Stadtregierung und ihre Behörden.

Denn Städte – bzw. deren öffentlichen Hände – verfügen nicht mehr über die ökonomische Potenz, um die Stadtentwicklung mit eigenen Projekten zu lenken, oder allenfalls punktuell. Traditionelle Städtebaupolitik geht insofern über in Entwicklungspolitik und Promotion.

Städte im Konkurrenzkampf

Wenn man dies mit der vergangenen projektbezogenen Städtebaupolitik vergleicht, handelt es sich um einen Paradigmenwechsel. Er hat zwar auch mit politischen Deregulierungen zu tun, vor allem aber damit, dass Städte als Unternehmensstandorte nur noch eine Option unter anderen sind.

Städtebaupolitik bedeutet also nicht nur ein Konkurrenzkampf um Standortvorteile unter Städten, sondern auch unter Regionen und Agglomerationen.

Doch interessiert sich überhaupt noch jemand für Stadtplanung? Wer durch die Städte und Dörfer reist, wer sich das lieblose Nebeneinander von Industriehallen, Discountmärkten, Tankstellen und Wohnhäuschen ansieht, kommt nicht unbedingt auf die Idee, dass den Menschen besonders viel an ihrer gebauten Umwelt läge.

Heftige Emotionen, Zorn, Kampfeslust und Liebe

Und doch ist sie den meisten alles andere als gleichgültig. Sie weckt heftige Emotionen, Zorn, Kampfeslust und Liebe. Ob nun der Bahnhof in Stuttgart, eine Konzerthalle in Bonn, das Tempelhofer Feld in Berlin, Hochhäuser in München oder die Elbtalbrücke in Dresden – wenn es um Fragen der Architektur und Stadtplanung geht, erweisen sich die Bürger, denen so oft apolitische Lethargie attestiert wird, als überaus debattierfreudig.

Meist sind sie dagegen: gegen Abriss und neue Großprojekte. Doch anders als der Spiegel Ende August 2010 meint, ist es nur selten ein Protest aus Eigennutz und Blockadelust.

Oft geht es den Menschen um etwas Grundsätzliches. Oft ist für sie die Planung nur der äußere Anlass für weit größere Debatten: Darüber, was eine demokratische Gesellschaft eigentlich ausmacht und wie sich das, was wir Öffentlichkeit nennen, bewahren lässt.

"Planung erzeugt Betroffene"

Die Frage, ob ein soziales System wie die Stadt sich selbst planen kann und mit welchen Problemen man rechnen muss, wenn diese versucht wird, hat auch den berühmten Soziologen Niklas Luhmann beschäftigt.

Diese Frage zu stellen bedeutete für ihn nicht, sie mit der trivialen Feststellung zu beantworten, dass alle Planung unzulänglich sei.

Nicht dass sie ihre Ziele verfehlte oder hinter ihnen zurückblieb, nicht ihre unintendierten Nebenfolgen standen zur Debatte, das eigentliche Problem war vielmehr,

"daß(!) Planung Betroffene erzeugt – sei es, daß sie Benachteiligte werden, sei es, daß nicht alle ihre Wünsche erfüllt werden. Die Betroffenen werden wissen wollen und sie werden freie Kapazitäten im System nutzen wollen, um zu erfahren und möglichst zu ändern, was geplant wird".

Wir haben es offenbar mit einem Paradox zu tun: im gleichen Maße, wie Urbanität und Urbanness hip wurden, musste man lernen, dass Planbarkeit des Urbanen gewisse Grenzen hat.

Offene Punkte

Die offenen Punkte muss man endlich angehen. Beispielsweise: Was kann und was soll ein Plan definieren? Und was muss er offenlassen? Wie geht man um mit Ungewissheiten?

Mit diesen Fragestellungen baut man gewissermaßen eine Brücke zur Welt der Ökonomie: Auch dort durfte man doch die Erfahrung sammeln, dass kurzfristige Renditeüberlegungen eher Monokultur erzeugen.

Weitsicht und Ausgleich wäre demnach zwei wichtige Schlagworte. Da wir nicht in einem absolutistischen Staat leben, scheint eine Planung nur dann wirkungsvoll, wenn sie die Wirtschaft zu überzeugen vermag.

Gestaltung: Von Profis vorgegeben oder Ergebnis eines Dialogs?

Ihr angestammtes Mittel dazu ist die Gestaltung. Das ist nicht viel, aber auch nicht wenig. Gestaltung schafft nicht automatisch Stadt; sie ist aber ein unverzichtbarer Bestandteil des Urbanismus.

Doch muss man in Bezug auf den integrativen und integrierenden Raum die Frage stellen, ob die Schönheit der Stadt von professionellen Gestaltern vorgegeben werden oder ob sie das Ergebnis eines intensiven Dialogs in der Gesellschaft sein soll.

Die Wohnungsfrage

Als nicht weniger von innerer Ambivalenz geprägt erweist sich die Wohnungsfrage, zumindest aus der Vogelschau: Hinterher ist man immer schlauer. Es wäre billig, im Rückblick verächtlich auf das Scheitern vieler Ideen und das Platzen vieler Prognosen zur Wohnungspolitik, daraus abgeleitete Erwartungen und Handlungsoptionen zu schauen.

Was von manchen als Trägheit bezeichnet wird, kann durchaus ein im positiven Sinne entschleunigendes, ausgleichendes Moment sein. Alle Themen hinterlassen Spuren – und so bereichern sie gewissermaßen die Städte –, aber keines hat erdrückende Dominanz über alle anderen gewonnen.

Mobilität

Und natürlich wäre auch über die Mitverantwortung der Stadtplaner und Städtebauer für die Entwicklung der Mobilität zu reden.

Immer wieder hat sich doch gezeigt, dass die raumstrukturierende Wirkungsmacht des Autos in einer Mischung aus Faszination und Resignation bloß hingenommen und der Konfrontation der Verkehrsentwicklung mit einem Gestaltungswillen auf der Basis von Konzepten lieber ausgewichen wird.