Starke Generalstreiks in Spanien und Portugal
Obwohl die Lage in Spanien zugespitzter ist, haben sich in Portugal mehr Menschen an den Streiks beteiligt, allerdings dürften Hunderttausende an den Demonstrationen in Madrid und Barcelona teilnehmen
Die spanischen und portugiesischen Gewerkschaften bezeichnen den Generalstreik am Mittwoch als vollen "Erfolg", die mit starker Beteiligung gestartet waren. "Wir müssen für unsere Rechte, die Zukunft unserer Kinder und für die Arbeitsplätze im Land kämpfen", sagte der Chef des großen portugiesischen Gewerkschaftsverbands CGTP, Arménio Carlos. Er hatte den Anstoß zum ersten gesamtiberischen Generalstreik im Oktober gegeben.
Er nannte den "Kampftag" auf einer Pressekonferenz "einen der größten und wichtigsten Generalstreiks", denn das Land jemals erlebt habe. Besonders stark war er im öffentlichen Dienst, wo sogar 80% der Justizangestellten gestreikt haben sollen. Schulen waren geschlossen, der Müll blieb liegen, in Krankenhäusern gab es nur Notdienste. Auch im Transportsektor wurde gestreikt. Züge, Fähren, Metros und Busse fielen in den Städten fast vollständig aus, weil Minimaldienste oft nicht eingehalten wurden. Stark war auch die Beteiligung in den Häfen und der Industrie.
Der CCOO-Generalsekretär sprach zunächst von einer größeren Beteiligung als am 29. März, als gegen die Arbeitsmarktreform der konservativen Regierung gestreikt wurde. Toxo behauptete gar, der erste gemeinsame Streik auf der "iberischen Halbinsel wäre praktisch total. Sein UGT-Kollege Cándido Méndez sagte, die Arbeiter in Spanien hätten sich mehrheitlich an dem Streik beteiligt, "um nicht unumkehrbar in den Abgrund" gestoßen zu werden. Sie hoben es als "historisch" hervor, dass es Proteste in 23 Ländern gab und werfen ihrer Regierung Wahlbetrug vor. Vor einem Jahr hatte der Konservative Mariano Rajoy die Wahlen mit den Versprechen gewonnen, die Steuern zu senken, den Kündigungsschutz nicht anzugreifen, die Schere nicht am Bildungs- und Gesundheitssystem anzusetzen und auch keine Banken mit Steuermilliarden zu retten. Das Gegenteil hat er getan und das soll mit dem Haushalt 2013 weiter verschärft werden.
Anders als die Empörten-Bewegung und die CGTP in Portugal, die auch von vielen Militärs unterstützt werden, setzen die Gewerkschaften in Spanien aber nicht den Sturz der Regierung auf die Tagesordnung. Sie wollen Rajoy nur zur Umkehr zwingen. Die kleineren anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CGT und CNT und die Empörten trauen ihnen nicht. Sie verweisen darauf, dass CCOO und UGT 2010 auch die Rentenreform mit Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 abgenickt hatten. CGT und CNT demonstrierten deshalb nicht gemeinsam mit den großen Gewerkschaften.
In Portugal nehmen CGTP und Empörte die Stimmung der Bevölkerung auf. Viele Menschen fühlen sich von Coelho verraten und verkauft. Seine Partei hatte die sozialistische Regierung im Frühjahr 2011 wegen ihres Sparkurs nicht mehr unterstützt (Mit dem Absturz Portugals drängt die Euro-Krise auf Tagesordnung des EU-Gipfels) und Neuwahlen erzwungen. Seit Coelho regiert, hat er deren Kurs aber verschärft. Durch Steueranhebungen sollen die Beschäftigten ab 2013 erneut bis zu zwei Monatslöhne verlieren. Positive Effekte blieben bisher aus, die Arbeitslosigkeit ist auf den Rekordwert von 16 gestiegen.
Dass die Beteiligung in Portugal größer als im März war, ist dem Unmut zu verdanken, der schon im September fast eine Million Menschen gegen den Sparkurs auf die Straßen trieb, fast jeder zehnte Einwohner. Der CGTP hat geschafft, dass sich nun aus dem kleineren Gewerkschaftsverband UGT 30 Einzelgewerkschaften und dazu 28 unabhängige angeschlossen haben. Im März hatte die UGT-Spitze den Streik noch als "Pseudo-Streik" bezeichnet, denn sie hatte der Arbeitsmarktreform ihren Segen erteilt, die Portugal ausbluten lässt.
Obwohl die Lage in Spanien mit einer Arbeitslosenquote von 26% deutlich zugespitzter ist, gelingt es CCOO und UGT nicht wirklich, das in Kraft für sich umzumünzen. Zwar ist untertrieben, dass die Beteiligung bei 12% lag, wie der Unternehmerverband beziffert, es konnte aber bezweifelt werden, ob sie real höher war als im März. Zwar ging der Stromverbrauch um acht Uhr gegenüber dem Mittwoch vor einer Woche um 18% zurück, doch im März betrug der Rückgang 23%.
Das hat damit zu tun, dass im Baskenland außer in wenigen Großbetrieben wie Volkswagen, Mercedes, Michelin und dem Flughafen Bilbao kaum gestreikt wurde. CCOO und UGT sprechen aber übertrieben von 40 bis 50%. Anders sah es im September aus, als die baskischen Gewerkschaften die Region praktisch lahmgelegten. Fast alle Betriebe, Geschäfte, Kneipen, Schulen waren geschlossen und auf dem internationale Filmfestival in San Sebastian nur ein Notprogramm lief. Statt zehntausenden demonstrierten gestern hier nur etwa 3000 Menschen.
Der UGT-Gewerkschafter Marcelino Salvador bedauert, dass die baskischen Gewerkschaften nicht mit aufgerufen haben. "Die Uneinigkeit schadet uns Arbeitern enorm", sagte er. Die Sekretärin für Gewerkschaftsaktionen der anarchosyndikalistischen CNT hätte sich einen gemeinsamen Streik wie im März gewünscht. Sie kann das Vorgehen der Basken nachvollziehen. CNT und CGT demonstrierten auch getrennt mit knapp 1000 Beteiligten und den Opfern der Zwangsräumungen.
Spanische Polizei geht wieder einmal brutal vor
Wie Videos ging die spanische Polizei zum Teil wieder mit massiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten vor, wie in Madrid auf der zentralen Straße "Gran Via". Ähnlich brutale Bilder kommen auch aus Katalonien, wo die Regionalpolizei sogar einen 13-jährigen in Tarragona verletzt hat. In Murcia wurde auf von Zwangsräumung Betroffene eingeprügelt, die vor einer Bank protestierten. Insgesamt gab es bisher etwa 120 Festnahmen und Dutzende Verletzte.
Auseinandersetzungen gab es in Barcelona, als unter Streikende eingeschleuste Zivilpolizisten enttarnt und aus der Demo geworfen wurden. Es ist bekannt, zuletzt bei der Einkreisung des Parlaments durch die Empörten, dass es vermummte Polizisten waren, die Krawalle aus der Demo angezettelt haben. "Ich bin ein Kollege", rief einer, als auf ihn am Boden liegend Knüppel einprasselten. Andere vermummte Polizisten eilen herbei, um ihn zu schützen. Bei Barcelona wurden auch brennende Barrikaden errichtet. Weiterhin sind einige regionale öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten außer Betrieb. In der Luft hängt, ob das Fußball-Länderspiel Spanien-Panama im ersten Kanal des spanischen Rundfunks ausgestrahlt werden kann.
Die großen Gewerkschaften haben nun die Streikbeteiligung nach unten revidiert. Sie erklären, es hätten mehr als neun Millionen Menschen gestreikt, die Beteiligung wird mit fast 77% angegeben. Das sind 12% weniger als im März. Das dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass eben im Baskenland kaum gestreikt wurde. Zudem sind seit März zahllose Menschen entlassen worden, weil die Arbeitsmarktreform den Kündigungsschutz praktisch beseitigt hat, gegen die damals gestreikt wurde, weshalb die Arbeitslosigkeit immer neue Rekorde aufstellt und Spanien schon Weltmeister ist.
Die Regierung spricht dagegen von einem "normalen Tag" und der große Unternehmerverband CEOE von schlappen 12%. Allerdings fragen sich hier viele, warum der CEOE-Chef Juan Rosell von einem "Torpedo auf die Erholung" redete, wenn die Beteiligung angeblich so schwach war. Das Vorgehen der Regierung und der Unternehmer erinnert an 2002, als die Volkspartei (PP) an der Regierung behauptet hatte, es habe praktisch keinen Generalstreik gegeben. Das wurde auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verkündet, weshalb der Ex-Informationschef vom Nationalen Gerichtshof danach wegen "Manipulation" verurteilt wurde. Der angeblich inexistente Streik führte aber dazu, dass die PP ihre Reform fast vollständig zurücknehmen musste.
In den großen spanischen Städten haben die Abend-Streikdemonstrationen begonnen. Es zeichnet sich ab, dass sie in Madrid und Barcelona sehr groß sind. Der Zug in der katalanischen Hauptstadt Barcelona bewegte sich lange Zeit nicht, weil viele Menschen zum Versammlungsort strömen. Die Gewerkschaften sprechen von einer Million Teilnehmern, sogar die Polizei von 110.000. Die Demonstration in Madrid ist ebenfalls gewaltig und bewegt sich praktisch auch nicht, weil die Straßen mit Menschen verstopft sind. Mehrere Millionen dürften im Land gegen die Sparpolitik derzeit demonstrieren.
Auch in Portugal kam es vor dem Parlament zu Prügelszenen. Tausende waren vor das Gebäude gezogen und durchbrachen die Absperrung. Es wurden Flaschen werden geworfen und Böller kommen zum Einsatz. Die Demonstranten skandieren immer wieder in Richtung Parlament: "Zurücktreten". Derlei Bilder sind in Portugal genauso ungewöhnlich wie brennende Barrikaden und Müllcontainer im Umfeld des Parlaments. Der Feuerwehr wurde der Zugang zudem verwehrt, die die Barrikaden nicht löschen konnte. Die Polizei spricht von "extremer Gewalt" und es zeigt sich, dass sich nun auch im friedliebenden Portugal der Frust gewaltsam Bahn bricht.