In Portugal warnt auch das Militär die konservative Regierung
Portugal steht vor einem "großen Generalstreik" zum Sturz der Regierung und Spanien steht vor dem Auftakt zu einem sehr heißen Herbst
In Portugal haben Hunderttausende am Samstag deutlich gemacht, dass die Regierung zurücktreten muss. Auch die Polizei hat sich an den friedlichen Protesten beteiligt. Anders als im Nachbarland Spanien allerdings nicht, um als Provokateure Krawalle anzuzetteln. In Portugal setzen Gewerkschaften und Empörte nun einen Generalstreik an, um die konservative Regierung zu stürzen. In Spanien ist es der rechten Regierung nicht gelungen, die Proteste über die Krawalle zu diskreditieren. Sie werden über massive Einschnitte im Sparhaushalt vor dem Rettungsantrag noch deutlich stärker werden. Nach dem baskischen Generalstreik in der vergangenen Woche führt nun auch für die großen Gewerkschaften kein Weg am Generalstreik vorbei, womöglich mit den portugiesischen Kollegen.
Der große portugiesische Gewerkschaftsverband CGTP hat auf der Massendemonstration am Samstag in Lissabon den Generalstreik angekündigt. Nachdem die kommunistisch dominierte CGTP das ambitionierte Ziel erreichte, erstmals in der Geschichte den großen Platz "Terreiro do Paço" zu füllen, kündigte Gewerkschaftschef Arménio Carlos an, das Datum des Generalstreiks werde nach der Versammlung am 3. Oktober bekanntgegeben. Dann setzen sich alle Gewerkschaften zusammen, um den wohl größten Generalstreik zu organisieren. "Wir wollen eine breite einigende Aktion", sagte Carlos den versammelten Pressvertretern. Anders als im März wird dann auch die kleinere UGT streiken, die sich im März nicht beteiligt hatte. Auch die UGT, welche der Arbeitsmarktreform zugestimmt hatte, erwartet neue massive Einschnitte mit dem Haushalt 2013.
Deshalb drohte Carlos der konservativen Regierung von Pedro Passo Coelho vor Hunderttausenden auf dem Platz deutlich. Nun sei der Moment gekommen, wo sie "das Volk hören" müsse: "Entweder die Regierung hört freiwillig zu oder wir werden sie dazu zwingen." Er spielte auf die Nelkenrevolution 1974 an, als linke Militärs friedlich die Diktatur stürzten, weshalb er sich eine rote Nelke ins Knopfloch des Hemds gesteckt hatte. "Man muss einer Regierung ein Ende bereiten, bevor sie dem Land ein Ende bereitet."
Seinen Worten stimmte die Bewegung der Empörten zu, die sich dem Protest angeschlossen hatte. Sie hatte über die sozialen Netzwerke im Internet vor zwei Wochen spontan gegen die Sparpolitik die bisher größten Proteste seit 1974 organisiert (Portugiesen platzt der Kragen). Auch sie fordert den Rücktritt Coelhos. Die Proteste müssten sich "radikalisieren", denn Coelho sei nur eine Marionette der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU‑Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF). Die Troika "bläht eine soziale Blase auf, die kurz vor dem Platzen" sei. Ohne sich um die sozialen Belange der Bevölkerung zu scheren, seien "ihnen alle Mittel recht, um Banker und Reiche noch reicher zu machen", meinen die Empörten.
Dass sich eine revolutionäre Stimmung entwickelt, wird dadurch deutlich, dass der Protest breiter kaum sein könnte. Auch Gewerkschaften von drei Polizeieinheiten nahmen an den Protesten teil. Militärs machen ihren Unmut sehr deutlich. Der Offiziersverband stellte heraus, dass man sich, "wie es uns die Verfassung vorschreibt, niemals als Repressionsinstrument gegen unsere Mitbürger" instrumentalisieren lasse. Man habe "geschworen, sie zu verteidigen". Oberst Manuel Martins Pereira, der die Erklärung unterzeichnet hat, steht damit nicht allein.
Er erinnert auch an die Aussagen, mit der auch der Generalstabschefs kürzlich die Regierung auf die Aufgaben der portugiesischen Militärs hingewiesen hatte. Der Oberst warnt angesichts "gebrochener Versprechungen" der Regierung, die ihre Politik als "alternativlos" darstelle, die Bevölkerung "betrüge" und immer die gleichen zur Kasse bitte, "während hier und an anderswo von Anderen grenzenlose Reichtümer angehäuft werden". Otelo Saraiva de Carvalho, Führer der Nelkenrevolution, hatte schon vor einem Jahr erklärt, dass dann, wenn bestimmte Grenzen überschritten würden, "die Antwort ein Militärputsch sein kann, der einfacher wäre als der vom 25. April 1974" (Trügerische Ruhe in Portugal).
Die Reichen sollen besteuert werden
In Portugal sind sich Militärs einig mit kommunistischen Gewerkschaftern, dass endlich die großen Einkommen und die Reichen besteuert werden müssen. Statt Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu im öffentlichen Dienst zu streichen und den Anteil der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung von 11 auf 18 Prozent zu steigern, um den Arbeitgeberanteil zu senken , fordert der CGTP-Chef eine Finanzmarktsteuer von 0,25 Prozent auf jede Transaktion. Dividenden und andere Kapitalerträge sollen zudem mit zehn Prozent besteuert, die Steuerhinterziehung massiv verfolgt und die Körperschaftssteuer auf 33,33 Prozent für Firmen erhöht werden, die mehr als eine Million Euro Gewinn machen.
Damit würde der gesamten Bevölkerung nicht erneut die Kaufkraft von einem Monatslohn entzogen und den Beschäftigten im öffentlichen Dienst sogar zwei. "Wir werden nicht aufhören, für die Zukunft unserer Kinder zu kämpfen", schreit deshalb der CGTP-Chef ins Mikrophon und spricht der 54-jährigen Beamtin Maria aus der Seele. Sie ist gekommen, um die "Zukunft ihrer Kinder und Enkel" zu verteidigen. "Während dieses Land untergeht, hören die Politiker nicht auf, die Arbeiter zu berauben, während es den Kapitalisten prächtig geht", sagt sie.
Obwohl Coelho angesichts der massiven Proteste schon zurückgerudert ist und Alternativen suchen will, erwarten die Gewerkschaften, dass Einsparungen nur verlagert werden und wieder die einfache Bevölkerung getroffen wird. Die CGTP wird deshalb die Mobilisierung mit Blick auf den Generalstreik verstärken. Für Montag hat sie "nationalen Kampftag " aufgerufen, mit dem der Verband das 42. Jubiläum begehen will. Am 5. Oktober wird zudem der "Marsch gegen die Arbeitslosigkeit" im nordportugiesischen Braga starten und gen Lissabon ziehen. Er wird am 13. Oktober in der Hauptstadt ankommen, das ist der Tag, bevor die Regierung den Haushalt vorstellt.
Repression schüchtert spanische Proteste nicht ein
Auch in der spanischen Hauptstadt Madrid sind am Samstag erneut viele tausend Menschen zum Parlament gezogen. Nachdem die Polizei am vergangenen Dienstag brutal (http://www.heise.de/tp/artikel/37/37707/1.html) gegen Demonstranten vorging, die das Parlament belagern wollten (Einkreisung des Parlaments in Madrid endet in Gewalt), reißen die Proteste in der Hauptstadt nicht ab. Am Samstag wurde nun nicht nur gegen die Sparpolitik, sondern auch gegen Polizeibrutalität demonstriert. Auch wenn die Polizei ihre Zahl mit 4.000 angibt, sprechen die Bilder vom Neptun-Platz eine andere Sprache. Der Platz vor dem hermetisch abgesperrten Parlament war noch stärker gefüllt als am Dienstag, als die Regierung die Zahl schon untertrieben mit 6000 beziffert hatte.
Obwohl die Regierung von einer "illegalen Versammlung" sprach, diesmal hatte sie niemand angemeldet, hielt sich die Polizei nach den Attacken vom Dienstag stark zurück. Die Regierung geriet in die Defensive, nachdem mit Videos nachgewiesen wurde, dass die Krawalle vom Dienstag auch von eingeschleusten Polizisten angezettelt wurden. Bei ihrer Verhaftung durch die Kollegen gaben sie sich zu erkennen. "Ich bin ein Kollege", riefen sie, als am Boden liegend die Knüppel auf sie einprasselten. Andere vermummte Polizisten eilen herbei, um ihn zu schützen Ob erneut Provokateure an kleineren gewalttätigen Scharmützeln beteiligt waren, die in der Nacht zum Sonntag nahe dem Parlament zu beobachten waren, ist unklar.
Der Empörten-Bewegung ist es erneut gelungen, die Versuche, sie von Straßen und Plätzen zu vertreiben, in noch größere Proteste zu verwandeln. Wegen ungerechtfertigter Angriffe am Dienstag, bei denen auch Reisende verprügelt und Journalisten angegriffen wurden, fordert sogar der Chef der Polizeigewerkschaft (SUP) José Manuel Sánchez Fornet, dass bei Verantwortlichen "Köpfe rollen" müssten. Vertreter der Regierung hatten den brutalen Einsatz als "außerordentlich gut" und "makellos und professionell" bewertet. Die Proteste in Spanien dürften gerade den Auftakt zu einem heißen Herbst markiert haben. Massive Einschnitte, die mit dem Haushaltsentwurf bekanntgegeben wurden, fachen den Unmut weiter an. Das Bildungs- und Gesundheitswesen und die Kultur müssen erneut besonders bluten, um Zinsen für die steigende Staatsverschuldung zu bezahlen. Fast ein Viertel der gesamten Ausgaben gehen in den Schuldendienst. Finanzminister Montoro hat zugegeben, dass Spanien 2012 das schon zweimal angehobene Defizitziel wegen der Bankenrettung deutlich verpassen wird. Statt den angehobenen Wert von 6,3% zu erfüllen, werden es 2012 nun mindestens 7,4% sein, räumte Montoro ein. Verantwortlich ist dafür vor allem die Bankenrettung verantwortlich, mit der die Staatsverschuldung ausufert.